Religionen

»Wir brauchen einen Dialog der Tat«

Günther Bernd Ginzel über Gespräche mit Muslimen und die »Woche der Brüderlichkeit«

von Ayala Goldmann  05.03.2018 20:25 Uhr

Der Publizist Günther Bernd Ginzel Foto: Jörn Neumann

Günther Bernd Ginzel über Gespräche mit Muslimen und die »Woche der Brüderlichkeit«

von Ayala Goldmann  05.03.2018 20:25 Uhr

Herr Ginzel, der interreligiöse Dialog sei nicht zwingend nötig oder erfolgreich – denn Religionen seien nicht geschaffen worden, um miteinander ins Gespräch zu kommen, sagte kürzlich Michael Borgolte, Gründungsdirektor des Instituts für Islamische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität. Was sagen Sie?
Es ist die Frage, was wir unter Dialog verstehen. Es hat immer wieder, etwa auch schon in Spanien zur Zeit des jüdischen Philosophen Moses Maimonides (1135–1204), intensive Berührungen zwischen den Religionen gegeben. Das hat man damals nicht »interkonfessionellen Dialog« genannt. Aber es besteht gar kein Zweifel, dass sich Juden seit den Zeiten der Bibel mit ihrer Umwelt auseinandergesetzt und von ihr vieles übernommen haben. Selbstverständlich ist es gerade heute sinnvoll, miteinander zu reden – vorausgesetzt, man ist ehrlich genug, auch über das Trennende zu sprechen.

An diesem Sonntag wird wieder die »Woche der Brüderlichkeit« eröffnet – mit den traditionellen Veranstaltungen von Juden und Christen. Wäre es nicht an der Zeit, auch Muslime offiziell miteinzubeziehen?
Die Muslime sind als Gäste eingeladen, und man freut sich, wenn sie kommen. Aber die Woche der Brüderlichkeit hat einen historischen, politischen und religiösen Hintergrund, der Juden und Christen exklusiv betrifft. Nach 1945 haben erschütterte Christen erkannt, dass die christliche Schuldgeschichte der Judenfeindschaft den Weg nach Auschwitz geebnet hat. Dazu kamen Juden, die bereit waren, mit diesen »geläuterten« Christen zu sprechen. Und daraus hat sich viel Positives entwickelt – übrigens auch eine tiefe gemeinsame solidarische Arbeit für Israel. Das kann man Muslimen nicht einfach überstülpen. Da müssen andere Formen und andere Tage gefunden werden. Aber ich bin ein großer Verfechter eines jüdisch-muslimisch-christlichen Dialogs.

Sie haben in der Vergangenheit gesagt, Sie hätten den Eindruck, die muslimische Seite spreche lieber mit Christen als mit Juden. Sehen Sie das heute auch noch so?
Das ist nicht mehr so stark ausgeprägt wie früher. Trotzdem kann von einem funktionierenden christlich-muslimisch-jüdischen Gespräch keine Rede sein – es sei denn, auf akademischer Ebene.

Woran liegt das?
Es gibt mittlerweile eine große Zurückhaltung – sowohl in den jüdischen Gemeinden als auch (und ganz besonders) in den Moscheevereinen. Die Moscheevereine, allen voran DITIB, praktizieren einen Dialog der Begegnung. Das heißt, sie laden etwa am Ende des Ramadan zum Essen ein. Alle kommen zusammen, alle freuen sich, und man nennt das Dialog. Ja, es ist schön, wenn man zusammenkommt und zusammen isst. Aber wir brauchen eine Begegnung in den Moscheen mit den normalen Besuchern, und das wird im Großen und Ganzen verhindert.

Es gibt also Happenings, bei denen alle sich gut fühlen, aber keine richtige Auseinandersetzung zwischen »einfachen Menschen«?
Das passiert im Umfeld der Moschee leider nicht, und auf diese Art und Weise lernen diese Menschen keine Juden kennen. Der Koran ist ja sehr vielfältig. Aus dem Koran können Sie einerseits ableiten, dass Juden von Muslimen hochgeschätzt werden müssen, und Sie können sehr unerfreuliche Dinge über Juden finden. Gleichzeitig gibt es seit etwa 200 Jahren in islamischen Ländern einen politischen Antisemitismus, der sich vor allem aus den Klischees von Europa speist und seine Höhepunkte in der antiisraelischen Propaganda in praktisch allen arabisch-muslimischen Ländern, aber auch in der Türkei findet.

Ist das auf jüdischer Seite ein Grund, sich nicht für einen Dialog mit Muslimen zu interessieren oder ihn sogar abzulehnen?
Nein, der Hauptgrund ist Unsicherheit. Denn wenn man mit Muslimen zusammenkommt, wird man ganz schnell feststellen, dass es – wie es schon immer war – auch eine breite muslimische Toleranz gegenüber Juden gibt, und auch große Bewunderung für Israel. Manche Muslime sagen: Wie ist es nur möglich, dass das kleine Israel schafft, was wir als superreiche Ölstaaten oder Staaten mit ungeheuren Menschenmassen nur ansatzweise hinbekommen? Warum funktioniert unsere Wirtschaft so schlecht? Warum haben wir keinen Rechtsstaat? Warum sind wir in vielen Erhebungen das Schlusslicht?

In Deutschland gibt es zunehmend Berichte über jüdische Kinder, die von Mitschülern mit Migrationshintergrund aus muslimisch geprägten Ländern angefeindet oder sogar angegriffen werden. Können Sie nachvollziehen, wenn diese jüdischen Schüler oder ihre Eltern sagen: Wir haben keine Lust auf einen Dialog?
Ich weiß, dass es diese Probleme gibt – die gab es übrigens schon, bevor die große Flüchtlingswelle im Herbst 2015 begann. Auch in meiner eigenen Schulzeit gab es Antisemitismus. Das ist doch kein neues Phänomen. In Deutschland wächst kein jüdisches Kind auf, das nicht irgendwann einmal mit Antisemitismus konfrontiert wird. Das Problem ist, dass Lehrer nicht genügend geschult werden und Schulen oft nicht angemessen auf solche Vorfälle reagieren.

Sie haben einmal angeregt, den »Dialog der Religionen« durch einen Dialog der Kulturen zu ersetzen – auch deshalb, weil die Säkularisierung fortschreitet und immer weniger Menschen in Deutschland einer christlichen Kirche oder jüdischen Gemeinde angehören.
Der christlich-jüdische Dialog, so wie er einmal mit enormer Wirkung und großem Aufschwung begonnen wurde, hat jahrzehntelang zu vielen Veränderungen geführt. Die Kirchen von heute sind in ihrem Verhältnis zur Synagoge nicht identisch zu denen von 1945. Aber das ist nun Geschichte. Bei den Veranstaltungen zum christlich-jüdischen Dialog treffen wir nur vereinzelt auf junge Menschen. Der religiöse Dialog ist nach wie vor spannend für diejenigen, die ihn suchen. Aber wir brauchen, so wie in Amerika, etwas, das ich einen Dialog der Tat nenne. Das heißt, dass man zusammenkommt und begreift: Wir haben gemeinsame Probleme. Es gibt Antisemitismus, und es gibt Anti-Islamismus. Wir brauchen gemeinsame Geschichtsprojekte an Schulen, wir brauchen Begegnungen von Gemeinde zu Gemeinde, wir müssen begreifen, wie pluralistisch der Islam in Deutschland ist, und dass es auch bewusst liberale Muslime gibt, die sehr an einem Gespräch interessiert sind. Und wir sollten nicht nur Themen besetzen, die sich gegen etwas richten!

Welche Erfahrungen haben Sie selbst gemacht?
Ein konkretes Beispiel: Ich hatte die Idee, die Türken in Deutschland am Tag der Deutschen Einheit miteinzubeziehen, und bereits im Oktober 1994 fand an diesem »deutschen Festtag« ein »Fest der Begegnung« statt, in der größten Moschee in Köln. Ich glaube, ich war der erste Jude, der in einer deutschen Moschee gesprochen hat. Ein Kantor hat synagogale Gesänge vorgetragen, christliche und islamische Geistliche waren beteiligt, und die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth kam zum Festvortrag. 2000 Menschen haben gefeiert, einen ganzen Tag lang. Begegnung pur. Das Fest war also ein großer Erfolg.

Wie ging es dann weiter?
Danach sind wir davon ausgegangen, dass wir dieses Fest jetzt jedes Jahr wiederholen. Aber das war nicht der Fall: Aus unserer Initiative wurde der »Tag der Moschee«. Die muslimischen Verbände laden ein, die Nichtmuslime dürfen Fragen stellen und werden bewirtet, und dann sagen sie: Sind die Muslime aber nett. Das ist selbstverständlich erfreulich. Aber das ist nicht die Art von Begegnung, die wir brauchen. Wir brauchen ein Gespräch miteinander auf Augenhöhe, und das ist für die islamische Geistlichkeit viel schwieriger als für uns Juden, weil wir keine Missionierung betreiben – im Gegenteil. Aber bei den Islamverbänden gibt es immer noch Kreise, die daran festhalten, dass der wahre Gläubige nur ein Muslim sein kann.

Das heißt, die großen muslimischen Verbände sind in ihrer Dialogbereitschaft einfach nicht so weit wie die christlichen Kirchen?
Den muslimischen Verbänden fehlt es zum einen an Mut, Juden an ihre Basis zu lassen, sie einzuladen und mit ihnen zu reden. Zum anderen haben sie natürlich das Problem, dass sie überlegen müssen, wie denn ihre Geldgeber darauf reagieren, und die sitzen teilweise in Ankara oder in Saudi-Arabien oder im Iran. Doch es wächst die Zahl der Muslime, die sich nicht länger fremdbestimmen lassen.

Was wünschen Sie sich vom Zentralrat der Juden?
Der Zentralrat der Juden in Deutschland tut mittlerweile viel. Der eigentliche Durchbruch kam mit dem früheren Zentralratsvorsitzenden Ignatz Bubis, der ursprünglich skeptisch war, aber sich dann überzeugen ließ, dass er ein Zeichen setzen muss. Das hat er mit großem Erfolg getan, und das hat eine ziemliche Aufbruchsstimmung ausgelöst. Mittlerweile sind einige jüdische Gemeinden bereit, wie etwa Frankfurt am Main, voranzugehen. Oder wie in Köln aktiv den Bau der Großen Moschee zu unterstützen und gegen rechts zu verteidigen. Der Zentralrat der Juden macht keinen Hehl daraus, dass er nicht nur den Antisemitismus bekämpft, sondern selbstverständlich auch die Islamfeindlichkeit. Leider beobachte ich auch in jüdischen Kreisen eine zunehmende Angst vor dem, was »fremd« erscheint. Und die wachsende Sympathie in jüdischen Gemeinden für Parolen der »Alternative für Deutschland« bereitet mir ausgesprochen große Sorge.

Wie versucht die AfD, Juden für sich zu gewinnen?
Ich zum Beispiel werde von Anhängern der AfD, auch von Mandatsträgern, angeschrieben, die Solidarität von Juden einfordern – auf der Basis der Islamfeindlichkeit. Ich bin überrascht, wie viele christliche Fundamentalisten, Pfarrer und christlich orientierte konservative Juristen in der AfD aktiv sind. Diese Kreise nehmen billigend in Kauf, wenn von ihrem Spitzenpersonal rechtsextreme und antisemitische Äußerungen kommen. Das wird dann relativiert und verharmlost. Jüdische Gemeinden werden auch auf entsprechenden Plattformen in russischer Sprache umworben, nach dem Motto: Wladimir Putin ist doch ein toller Mann, wir alle lieben unser jeweiliges Volk, und wir müssen gemeinsam gegen die Bedrohung des Islam auftreten. Das kommt offensichtlich bei einigen Juden gut an, und das halte ich für gefährlich. Und vielleicht ist die Frage, wie wir innerhalb der jüdischen Gemeinden offen über diese Tendenzen reden, sogar wichtiger als die Frage, wie wir mit Muslimen ins Gespräch kommen. Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass es unter Juden keine Rassisten und Rechtsextremisten geben könnte. Aber zum Glück haben wir in den jüdischen Gemeinden nach wie vor noch ein tolerantes bürgerliches Element, das automatisch solidarisch ist mit Menschen, die angegriffen werden. Und das müssen wir stärker nach außen transportieren.

Beobachten Sie allgemein in Deutschland eine wachsende Tendenz, sich lieber auf die eigene Identität zu besinnen, als sich mit anderen auszutauschen?
Ja, ich habe den Eindruck, alle Beteiligten haben eine gewisse Identitätskrise. Man fragt sich: Wer sind wir, wo stehen wir, welches Verhältnis haben wir zu diesem Land? Wo ist das Ureigene, in unserem Fall das Jüdische? Was verstehen wir heute unter jüdischer Ethik und Moral? Aber es reicht nicht, dass man mehr oder weniger Formen der Kaschrut einhält und glaubt, damit sei man schon ein guter Jude. Wir waren und wir sind die Religion der Tat – und das ist das, was wir in einen Dialog miteinbringen können: Das Entscheidende ist nicht, dass man glaubt und betet, sondern dass man entsprechend handelt. Schauen Sie, was in den USA passiert, was die Frucht der Begegnung sein kann: Eine jüdische Gemeinde wird angegriffen, ein jüdischer Friedhof wird geschändet, und die benachbarten muslimischen Gemeinden sind sofort solidarisch, kommen und helfen. Eine Moschee wird Ziel eines Brandanschlags, und Juden bieten den Muslimen einen Gebetsraum in ihrer Synagoge an. Das hat etwas Ur-Menschliches. Begriffe wie Dialog und Begegnung klingen immer so programmatisch. Aber wir müssen ein Gefühl haben, wir müssen empathisch sein und dürfen nicht akzeptieren, dass man den anderen in seiner Menschenwürde herabsetzt.

Demografen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 in Deutschland bis zu 20 Prozent der Bevölkerung Muslime sein könnten. Bei wem weckt das Ängste?
Fürchten tun sich die Leute, die nicht so genau wissen, wer sie sind und was sie sind. Wir in Köln haben seit Langem in etwa diesen Prozentsatz, und wir haben nicht mehr Probleme als andere. Wir haben einen hohen Anteil an Ausländern, und die meisten von ihnen sind Muslime. Na und? Das ist doch kein Kriterium per se. Der politische Antisemitismus hat übrigens auch immer mit Statistiken gearbeitet und suggeriert: »Die Juden werden uns verdrängen, die nehmen uns unser Vaterland und unsere Frauen weg.« Wir müssen begreifen, dass ein beträchtlicher Anteil der Argumente, die gegen die Muslime vorgebracht werden, aus der Mottenkiste des Antisemitismus stammt. Und dass diejenigen, die heute von der »Lügenpresse« reden, morgen »Judenpresse« schreien werden.

Das Gespräch mit dem Publizisten und ehemaligen Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag führte Ayala Goldmann.

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