Diplomatie

Warum Selenskyj Melnyk  abberufen hat

Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter in Berlin Foto: picture alliance/dpa

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk muss seinen Posten in Deutschland räumen. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den 46-jährigen Diplomaten am Samstag abberufen, ebenso die ukrainischen Botschafter in Norwegen, Tschechien, Ungarn und Indien. Gründe wurden in dem von der Präsidentenkanzlei in Kiew veröffentlichten Dekret nicht genannt. 

Selenskyj sprach von einem normalen Vorgang. »Diese Frage der Rotation ist ein üblicher Teil der diplomatischen Praxis«, sagte er am Samstag in einer Videobotschaft, ohne einen der fünf Botschafter namentlich zu nennen. Ob Melnyk nach seiner Entlassung als Botschafter für ein anderes hochrangiges Amt in Kiew oder anderswo vorgesehen ist, blieb zunächst offen.

Die ukrainische Botschaft in Berlin wollte das Dekret nicht kommentieren. Eine Sprecherin der ukrainischen Botschaft in Prag sprach tschechischen Medien zufolge ebenfalls von einem geplanten Auswechseln mehrerer Botschafter.

Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes teilte auf Anfrage mit: »Gegenüber dem Auswärtigen Amt wurde eine Abberufung des Botschafters bislang nicht notifiziert.«

Melnyk hatte sich nicht erst seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als scharfer Kritiker der Bundesregierung einen Namen gemacht. Immer wieder prangerte er insbesondere die deutsche Russland-Politik an. Zuletzt aber geriet der 46-Jährige selbst massiv in die Kritik wegen Äußerungen über den ukrainischen Nationalisten und Antisemiten Stepan Bandera.

Die »Bild« und die »Süddeutsche Zeitung« hatten vor wenigen Tagen unter Berufung auf ukrainische Quellen berichtet, Melnyk solle abberufen werden und ins Außenministerium nach Kiew wechseln. Noch im Herbst könnte er stellvertretender Außenminister werden, schrieb die »Bild«.

Melnyk war seit Januar 2015 Botschafter in Deutschland - eine außergewöhnlich lange Zeit für einen Diplomaten auf einem Posten. Auch Kommentatoren in Kiew sagten am Samstag, dass dies etwa das Doppelte der üblichen Entsendungszeit gewesen sei.

Der Diplomat hatte in den vergangenen Monaten mit seiner scharfen Kritik auch an Kanzler Olaf Scholz (SPD) für Aufsehen gesorgt. Er warf Scholz und seinen Ministern unter anderem vor, zu zögerlich Waffen für den Kampf gegen die russischen Angreifer in die Ukraine zu liefern.

Vergangene Woche geriet er dann wegen seiner Äußerungen über den ukrainischen Nationalisten und Antisemiten Stepan Bandera selbst massiv in die Kritik. Bandera war während des Zweiten Weltkriegs Anführer des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Nationalistische Partisanen aus dem Westen der Ukraine waren 1943 für ethnisch motivierte Vertreibungen verantwortlich, bei denen Zehntausende polnische und jüdische Zivilisten ermordet wurden.

Melnyk bestritt in einem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung, dass Bandera ein Massenmörder von Juden und Polen gewesen sei. Der Nationalist sei gezielt von der Sowjetunion dämonisiert worden. Die israelische Botschaft hatte dem Botschafter daraufhin »eine Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocausts und eine Beleidigung derer, die von Bandera und seinen Leuten ermordet wurden« vorgeworfen.

Der sonst so schlagfertige Melnyk hatte anschließend tagelang nichts dazu gesagt, reagierte dann aber am Dienstag mit einem Tweet auf die Vorwürfe. Seine Worte adressierte er ausdrücklich auch an die »lieben jüdischen Mitbürger«. Melnyk sprach von absurden Vorwürfen, die er entschieden zurückweise. »Jeder, der mich kennt, weiß: immer habe ich den Holocaust auf das Schärfste verurteilt.« Die Nazi-Verbrechen des Holocaust seien eine gemeinsame Tragödie der Ukraine und Israels.

Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt zollte Melnyk nach Bekanntwerden seiner Abberufung Respekt. »Andrij Melnyk hat sich mit voller Kraft für sein Land eingesetzt. Er ist eine unüberhörbare und unermüdliche Stimme für eine freie Ukraine«, erklärte die Grünen-Politikerin, betonte aber, dass sie sich mit Blick auf die Person Bandera nicht einig mit Melnyk sei. »Unabhängig davon wünsche ich ihm alles Beste für ihn persönlich, für seinen künftigen Dienst und vor allem für sein Land.«

Melnyk hatte zuletzt Fehler in seiner Kommunikation eingeräumt. Er könne Kritik an seiner Person verstehen, sagte er der »Schwäbischen Zeitung«. »Wir sind alle Menschen und man macht Fehler. Man versucht auch, diese Fehler zu korrigieren und aus ihnen zu lernen. Viele emotionale Aussagen bedauere ich im Nachhinein.«. Das Interview veröffentlichte die ukrainische Botschaft in Berlin am Freitag auf ihrer Homepage.

Mit Blick auf den russischen Angriff auf sein Land sagte Melnyk: »Mein Beruf hier in Deutschland als Diplomat wird politisch. (...) Auch wenn ich das nicht möchte.« Seine Aufgabe sei es, »dass man hier in Deutschland versteht, was der blutigste Krieg auf unserem Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg bedeutet.«

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

München

Bayern gibt NS-Raubkunst an Erben von Ernst Magnus zurück

Nach Jahrzehnten geht ein Renaissance-Gemälde an die Erben des jüdischen Bankiers. Warum die Entscheidung erst jetzt fiel und was das Bild mit NS-Verbrecher Hermann Göring zu tun hat

 12.12.2025

Deutschland-Reise

Israels Oberrabbiner besucht Bremen

Kalman Meir Ber trifft Bürgermeister Andreas Bovenschulte und die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, Antje Grotheer (beide SPD)

 12.12.2025

Niedersachsen

Moscheen in Hannover mit »Israel«-Schriftzügen besprüht

Unbekannte haben »Israel«-Schriftzüge auf mehrere Moscheen in Hannover geschmiert. Niedersachsens Antisemitismus-Beauftragter und die jüdische Gemeinde reagieren entsetzt

 11.12.2025

Berlin

Erstmals Chanukka-Feier im Bundestag

Zur Feier werden unter anderem der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein und Zentralrats-Geschäftsführer Daniel Botmann erwartet

 11.12.2025

Block-Prozess

Mutmaßlicher Entführer-Chef: Aussage gegen sicheres Geleit

Hat Christina Block den Auftrag erteilt, ihre Kinder aus Dänemark zu entführen? Der mutmaßliche Chef der Entführer äußert sich dazu als Zeuge vor Gericht

 11.12.2025

Brigitte Macrons Ausfall gegen Aktivistinnen entfacht eine landesweite Debatte.

Frankreich

First Lady an Abittans Seite – und gegen Feministinnen

Brigitte Macrons Ausfall gegen Feministinnen wirft ein Schlaglicht auf Frankreichs Umgang mit Protest, sexueller Gewalt und prominenten Beschuldigten.

von Nicole Dreyfus  11.12.2025

Parteien

Justiz prüft Äußerungen nach Neugründung von AfD-Jugend 

Nach einer Rede beim AfD-Jugendtreffen prüft die Staatsanwaltschaft Gießen mögliche Straftatbestände

von Janet Ben Hassin  10.12.2025

Debatte

Merz, Trump und die Kritik an der Migration

Deutschlands Bundeskanzler reagiert auf die Vorwürfe des US-Präsidenten

von Jörg Blank  10.12.2025