Justiz

Vorwurf Landesverrat

Jubel bei der Rückkehr der »Mavi Marmara« nach Istanbul im Dezember 2010 Foto: dpa

Trotz aller Spannungen mit Israel in den vergangenen Jahren hat die türkische Regierung bisher stets einen Aspekt betont: Mit den Juden an sich oder der kleinen Minderheit der etwa 25.000 Juden in der Türkei habe man keine Probleme, lediglich mit der Regierung in Israel. Dieses Prinzip ist jetzt ins Wanken geraten. Im Zusammenhang mit dem israelischen Angriff auf das türkische Gaza-Schiff »Mavi Marmara« im Jahr 2010 sind in der Türkei Vorwürfe aufgetaucht, die jüdische Türken in den Ruf von Vaterlandsverrätern und israelischen Kollaborateuren rücken.

Vertreter der islamischen Organisation IHH, Eignerin der Mavi Marmara, haben nach eigenen Angaben die Staatsanwaltschaft in Istanbul gebeten, zu prüfen, ob türkische Staatsbürger den Israelis beim Sturm auf das Schiff geholfen haben könnten. Sie verweisen auf Berichte, wonach Passagiere der Mavi Marmara Türkisch sprechende Männer in israelischen Uniformen gesehen haben wollen.

prozess Seit November läuft in Istanbul ein Strafprozess gegen den ehemaligen israelischen Generalstabschef Gaby Ashkenazy sowie drei weitere Offiziere, denen die Verantwortung für den Tod von neun türkischen Aktivisten beim Angriff auf die Mavi Marmara zur Last gelegt wird. Das Verfahren, das im Februar fortgesetzt wird, gilt als Symbol, die Angeklagten erscheinen nicht vor Gericht.

Die Suche nach angeblichen jüdisch-türkischen Helfern der Israelis verleiht dem Prozess nun eine neue Dimension. Laut Presseberichten durchforstete die Staatsanwaltschaft die Passagierlisten von Flügen zwischen der Türkei und Tel Aviv in der Zeit vor und nach dem Angriff auf die Flottille am 31. Mai 2010.

Dabei seien die Ermittler auch fündig geworden, sagte IHH-Vizechef Hüseyin Oruc im türkischen Fernsehen: Die Namen von fünf Verdächtigen würden bei der Fortsetzung des Prozesses im Februar offiziell bekannt gegeben. Dann werde für alle sichtbar, dass Israel von Mitgliedern »einflussreicher Familien« in der Türkei unterstützt worden sei.

wehrdienst Seine Organisation wisse, dass es in der Türkei Menschen mit sehr engen Kontakten zu Israel gebe, die sogar ihren Wehrdienst in Israel abgeleistet hätten, sagte Oruc in Anspielung auf Juden mit türkischer und israelischer Doppelstaatsbürgerschaft. Er selbst wolle die Verdächtigen – »ob es nun Türken sind oder Juden« – vor Gericht fragen, warum sie an der Aktion gegen das Schiff mitgemacht hätten.

Die Berichte und Andeutungen haben bei der Anti-Defamation League (ADL) in den USA große Besorgnis hervorgerufen. In einem Brief an den türkischen Botschafter in Washington wies die Organisation auf die Gefahr eines wachsenden Antisemitismus hin. Von der türkischen Regierung liegt bisher keine Stellungnahme vor. In den vergangenen Monaten hatte sich Ankara jedoch mit großem Bedacht von dem Gerichtsverfahren in Istanbul distanziert – aus realpolitischen Überlegungen.

annäherung Unmittelbar nach dem blutigen Zwischenfall auf der Mavi Marmara hatte die Türkei den israelischen Botschafter des Landes verwiesen und die Beziehungen zu Israel auf ein Minimum heruntergefahren. Eine Wiederannäherung macht Ankara von einer offiziellen israelischen Entschuldigung, Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen der Opfer sowie einer Aufhebung der Gaza-Blockade abhängig. Israel lehnt die Forderungen ab und argumentiert, die Fahrt der Mavi Marmara sei der aggressive Akt einer islamistischen Organisation gewesen.

Dieser auf den ersten Blick unüberbrückbare Gegensatz zwischen türkischen Forderungen und israelischer Ablehnung besteht bis heute fort. Doch hinter den Kulissen gibt es Bewegung. Die türkische Regierung hat jüngst das Treffen eines hochrangigen Diplomaten mit einem Abgesandten der israelischen Regierung bestätigt. Nach Presseberichten schließt Israel inzwischen eine Entschuldigung und eine Entschädigung für die Opferfamilien nicht mehr aus. Allein bei der Forderung nach einem Ende der Gaza-Blockade bleibe der Gegensatz bestehen.

Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht. Bei türkischen Diplomaten heißt es, ein weiteres Treffen sei erst einmal nicht vereinbart worden.

Be'eri

Nach dem 7. Oktober

Daniel Neumann hat den Kibbuz Be’eri besucht und fragt sich, wie es nach all dem Hass und Horror weitergehen kann. Er weiß, wenn überhaupt, dann nur in Israel

von Daniel Neumann  31.12.2025

Terror

Warum?

Die nichtjüdische Deutsche Carolin Bohl wurde am 7. Oktober 2023 von der Hamas brutal ermordet. Hier nimmt ihre Mutter Abschied von der geliebten Tochter

von Sonja Bohl-Dencker  31.12.2025

Deutschland

Bildungszentrum von Yad Vashem soll Leerstelle füllen

Das in Deutschland geplante Bildungszentrum der Gedenkstätte Yad Vashem soll ein größeres Bild in den Dialog der Erinnerungskultur bringen

 31.12.2025

Rohstoffe

Wandel durch Handel

Der Erdgasdeal zwischen Israel und Ägypten hat auch eine sicherheitspolitische Dimension

von Sabine Brandes  31.12.2025

Arlington (Virginia)

USA genehmigen Milliardenauftrag: Neue F-15-Kampfjets für Israel

Der Vertrag umfasst die Entwicklung, Integration, Erprobung, Produktion und Lieferung von zunächst 25 neuen Maschinen

 30.12.2025

Einspruch

Solidarität mit Somaliland

Sabine Brandes findet Israels Anerkennung der Demokratie am Horn von Afrika nicht nur verblüffend, sondern erfrischend

von Sabine Brandes  30.12.2025

Meinung

Für mich heißt Neujahr Nowy God

Das Neujahrsfest hat mit dem Judentum eigentlich nichts zu tun. Trotzdem habe ich warme Erinnerungen an diesen Feiertag

von Jan Feldmann  30.12.2025

London

Vorwurf gegen Facebook: Beiträge feiern Mord an Juden und bleiben online

»Die Beiträge, die den Anschlag von Bondi feiern, sind schlicht widerwärtig«, sagt Dave Rich von der jüdischen Organisation CST in England

 30.12.2025

Berlin

Tagung »Digitale Horizonte«: Wie sich Erinnerungskultur im digitalen Zeitalter wandelt

Wie verändert die Digitalisierung das kollektive Erinnern? Welche Chancen eröffnen neue Technologien – und wo liegen ihre Grenzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Konferenz

 30.12.2025