Herr Brot, Sie waren zu einem zweitägigen Besuch in Berlin-Neukölln. Bei Ihrer Rede vor der Bezirksverordnetenversammlung kam es am Mittwoch zum Eklat: Der Fraktionschef der Linken, Ahmed Abed, hat Sie als »Völkermörder« beschimpft und gesagt, Sie seien nicht willkommen. Wie haben Sie das erlebt?
Wissen Sie, ich bin Enkel von Holocaust-Überlebenden. Ich kam, um mit Bürgermeister Martin Hikel über die Zukunft, über Hoffnung und Zusammenarbeit zu sprechen. Wenn zwei Völker eine dunkle Geschichte teilen, können sie gemeinsam für eine bessere Zukunft arbeiten. Genau das wollten wir zeigen. Umso befremdlicher ist es, wenn jemand sagt, ich sei hier nicht willkommen. Der Vorsitzende der Linken-Fraktion handelt damit gegen diese Idee. Tatsächlich fühlte ich mich sehr willkommen: Die große Mehrheit der Repräsentanten des Bezirks kam zu mir und meiner Delegation, um sich für sein Verhalten zu entschuldigen. Ich sagte ihnen, sie müssten sich nicht entschuldigen – derjenige, der sich schämen sollte, ist der, der mich beschimpft hat. Trotzdem lächle ich über ihn, nicht aus Arroganz, sondern weil er mir leidtut. Wir leben in Demokratien, in Deutschland wie in Israel, und wir können über Meinungsverschiedenheiten diskutieren. Aber mit jemandem, der Gewalt unterstützt, kann man nicht reden.
Sie haben es aber dennoch versucht.
Der 7. Oktober hat sehr klar gemacht, wer für das Leben steht und wer für den Tod. Ich fragte den Abgeordneten, warum er die Hamas nicht verurteilt habe. Können wir uns nicht wenigstens darauf einigen, dass es falsch ist, Babys zu töten, Frauen zu vergewaltigen und Menschen lebendig zu verbrennen? Er schwieg. Die große Mehrheit der Deutschen und der freien Welt weiß, dass man mit solchen Menschen nicht diskutieren, sondern sie verurteilen muss – damit ihre Weltanschauung niemals zum Mainstream wird.
Auch andere Bezirksverordnete, darunter die Chefin der Grünen-Fraktion, sollen den Saal verlassen haben. Linke und Grüne zusammen repräsentieren in Neukölln etwa ein Drittel aller Wähler. Besorgt Sie der Vorgang nicht?
Es waren, wenn ich mich recht erinnere, vier Abgeordnete der Linken und eine der Grünen. Die überwiegende Mehrheit blieb. Das zeigt, dass diese lautstarke Minderheit nicht die Haltung des ganzen Parlaments repräsentiert. Ich finde: Man kann höflich bleiben und diskutieren. Wer aber Gespräch und Austausch verweigert, entscheidet sich letztlich für eine Form von Gewalt – auch ohne körperliche Angriffe. Wenn man mich »Mörder« nennt oder von »Völkermord« spricht, ist das nicht nur falsch, sondern gefährlich. Trotzdem gehe ich mit Hoffnung nach Hause, weil ich gesehen habe, dass die Mehrheit hier anders denkt. Bürgermeister Hikel und seine Koalition arbeiten für ein gutes Miteinander. Aber die Bundesregierung muss noch entschiedener handeln, damit extremistische Ansichten aus der politischen Arena verschwinden.
Übrigens missbraucht Herr Abed das Recht, das ihm hier in Deutschland gewährt wird – das Recht, in einem demokratischen Land zu leben. Es ist schade, dass er nicht zum Parlament in Gaza reist, um zu sehen, was passieren würde, wenn er dort versuchen würde, über Frauenrechte, LGBTQ-Rechte oder Meinungsfreiheit zu sprechen. Das kann er natürlich nicht, weil solche Dinge dort nicht erlaubt sind. Ich würde mich auch freuen, wenn sich die Fraktionsvorsitzende der Grünen etwas mehr mit diesem Thema befassen würde, um mehr Professionalität in dieser wichtigen Frage zu zeigen. Was würde beispielsweise mit ihr in Gaza passieren, wenn sie dort versuchen würde, über das Programm ihrer Partei zu sprechen, wie Frauenrechte oder Meinungsfreiheit?
Aktuell gibt es erneut Drohungen gegen die Neuköllner Kulturkneipe »Bajszel«. Sie sind mit Hamas-Symbolen und einer »Warnung für alle Zionisten in Berlin und Neukölln« aufgetaucht. Haben Sie etwas davon mitbekommen?
Ja, ich habe die angespannte Stimmung gespürt. Meine Sicherheitskräfte ließen mich nicht einmal allein die Straße überqueren, um etwas einzukaufen. Das ist kein normales Leben. Aber das Problem liegt nicht bei uns, sondern bei denen, die Hass verbreiten und Gewalt befürworten. Manche sagen dann, Juden sollten besser zu Hause bleiben – das ist, als würde man Frauen auffordern, nicht auf die Straße zu gehen, weil sie Opfer von Übergriffen werden könnten. Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr. Wir dürfen der Gewalt nicht weichen. Diese extremen Ansichten werden nur von einer Minderheit vertreten, aber die Mehrheit muss lauter werden und klar sagen, dass Gewalt niemals eine Lösung ist. Und ich warte immer noch darauf, auf Twitter die Verurteilungen von Herrn Abed und der Vorsitzenden der Grünen Partei bezüglich der antisemitischen Angriffe in ihrer Stadt zu lesen.
In der Neuköllner Sonnenallee wurde am 7. Oktober 2023 und danach offen der Hamas-Terror gefeiert. Wie sehen Sie das Zusammenleben in dem Bezirk?
Ich habe viele Muslime getroffen, die sich ausdrücklich gegen Antisemitismus und Gewalt stellen. Natürlich gibt es innerhalb dieser Gemeinschaft auch eine kleine Gruppe, die radikale Ansichten teilt. Aber sie ist in der Minderheit. Das Problem ist die schweigende Mehrheit. Wir alle – egal welcher Herkunft – müssen laut und deutlich sagen, dass Gewalt und Hass falsch sind. Schweigen bedeutet Mitverantwortung. Wenn sich die Mehrheit bekennt, ist schon die Hälfte des Problems gelöst.
Israel ist international zunehmend isoliert. Sehen Sie dennoch eine Zukunft für die kommunalen Beziehungen?
Ja, absolut. Natürlich gibt es international Spannungen, aber gleichzeitig erleben wir das Gegenteil: Immer mehr Länder wollen sich dem Abraham-Abkommen anschließen. Selbst Staaten wie Saudi-Arabien oder Indonesien zeigen Interesse. Das geschieht, weil Israel Stärke zeigt. Extremisten respektieren keine Schwäche, aber sie respektieren Stärke. Ich glaube, dass der aktuelle Antisemitismus auch deshalb wieder auflebt, weil manche dachten, Israel sei nach dem 7. Oktober geschwächt. Das Gegenteil ist der Fall.
Und wie sieht es mit den Städtepartnerschaften, wie zwischen Bat Yam und Berlin-Neukölln, aus?
Ich bin sehr optimistisch. Die Partnerschaft zwischen Bat Yam und Neukölln funktioniert hervorragend. Martin Hikel ist ein wahrer Unterstützer Israels. Er hat sich mutig dafür entschieden, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Neuköllns Bürgermeister und ich arbeiten seit Jahren eng zusammen. Nehmen Sie nur das Beispiel der öffentlichen Gesundheit: Während der Covid-Pandemie haben sich unsere Fachkräfte über Zoom ausgetauscht, um sich gegenseitig zu helfen und voneinander zu lernen. Und wir arbeiten im Bildungsbereich zusammen. Wir haben Umweltfragen, Jugendaustausch und vieles mehr diskutiert. Lokale Politik kann Brücken bauen, wo nationale Regierungen oft scheitern. Leider gibt es auch Städte in der Türkei, die nach Kriegsbeginn ihre Partnerschaften mit uns beendet haben. Dabei sollten gerade lokale Führungskräfte Brücken zwischen Menschen bauen. Und genau das tun wir in den Beziehungen zu Neukölln gerade, und zwar sehr erfolgreich. Ich kehre voller Hoffnung nach Hause zurück.
Mit dem Bürgermeister von Bat Yam sprach Detlef David Kauschke.