Analyse

Toxische Mischung

Stürmung des Kapitols durch Pro-Trump-Anhänger Foto: imago images/Pacific Press Agency

Jedes Video, das der Mann aus dem US-Staat Louisiana auf Twitter oder Facebook postet, beginnt mit einem Lächeln und guten Wünschen an seine Follower. Doch auf seiner Fahrt zum Kapitol in Washington am Dienstag wurde der 42-Jährige laut und wetterte über die Präsidentschaftswahl. »Wollt Ihr nicht aufwachen und die Wahrheit sehen?«, fragt er in einem von Dutzenden Videos, die auf Twitter in den vergangenen Tagen mehr als 30.000 Mal aufgerufen wurden. »Ich denke, wir haben alles gewonnen.«

Der Mann ist einer der Tausenden glühenden Anhänger von US-Präsident Donald Trump, die – angefacht von zahllosen Verschwörungstheorien im Internet über die Wahl vom November – am Mittwoch Online-Aufrufen zu einem »Kampf« für den Amtsinhaber folgten. In tausendfach geteilten und geliketen Posts hatten rechtsextreme Nutzer wochenlang mit Chaos am Kapitol gedroht, wenn der Kongress zur Bestätigung des Wahlergebnisses zusammenkommt.

Trotz dieser Warnungen, dass sich verärgerte Trump-Anhänger massenhaft auf den Weg nach Washington machen würden, gelang es dem Mob, das Kapitol zu besetzen und zu verwüsten. Abgeordnete beider Parteien versprachen Ermittlungen zum Vorgehen der Sicherheitskräfte und warfen die Frage auf, ob mangelnde Vorbereitung das Chaos möglich gemacht hat.

Nina Jankowicz, Expertin für Desinformation am unabhängigen Wilson Center in Washington, sagt über die Social-Media-Posts der Initiatoren: »Das hat sie auf die Straße gebracht, dort haben sie Informationen darüber gefunden, wo sie sich versammeln sollten. Die Folgen von Desinformation, Verschwörungstheorien und Extremismus waren für die ganze Welt sichtbar.«

Trump hatte seine Follower auf Twitter und Facebook teils mit kriegsähnlicher Rhetorik ermuntert, an der Kundgebung am Mittwoch teilzunehmen. Wenige Minuten vor dem Sturm auf das Kapitol trommelte er vor der Menge erneut für sein hoffnungsloses Bemühen, das Wahlergebnis für ungültig erklären zu lassen. Seine Rede war von Verschwörungstheorien durchzogen.

Den Mann aus Louisiana motivierten Trumps Aufforderungen in sozialen Medien zu der 15-stündigen Fahrt nach Washington, wie er erzählt. Er dokumentierte die Anreise und die Kundgebung mit Videos und Fotos, die er auf Twitter, Facebook und YouTube teilte. Auf seinen Seiten und Kanälen dort verweist er immer wieder auf die im Internet entstandene QAnon-Bewegung. Deren Anhänger glauben ohne jede Grundlage daran, dass Trump im Geheimen einen »Deep State«, einen Staat im Staat, sowie eine satanische, pädophile Elite bekämpft.

Die Betreiber von Dutzenden QAnon-Accounts in sozialen Medien heizten vor der Kundgebung in Washington am 6. Januar die Stimmung an und äußerten die Hoffnung, dass die Wahl für ungültig erklärt werde. Der Einfluss von QAnon wurde deutlich, als der Mob in den Kongress vordrang. Polizisten drängten einen Mann in einem Sweatshirt mit der Aufschrift »Q« aus der Senatskammer. Auch ein führender QAnon-Unterstützer wurde dort mit Stierhörnern auf dem Kopf und Farbe im Gesicht fotografiert.

Facebook kündigte am späten Mittwochabend an, Fotos und Videos von Randalierern zu entfernen. Auch Twitter erklärte, gegen Drohungen und Aufrufe zur Gewalt vorgehen zu wollen.

Doch während der Krawalle riefen QAnon und ultrarechte Konservative in sozialen Medien ihre Follower auf, »dranzubleiben« und »dem Plan zu vertrauen«. Diese Phrasen wurden laut der Medienanalyse-Firma Zignal Labs am Mittwoch und Donnerstag online mehr als 80.000 Mal erwähnt. In Twitter-Posts war demnach mehr als eine Million Mal von einem »Bürgerkrieg« und einem »Sturm auf das Kapitol« die Rede.

Andere riefen dazu auf, Mike Pence wegen Hochverrats vor Gericht zu stellen. Der Vizepräsident hatte Trump mit der Aussage verärgert, er könne nicht im Alleingang Wahlmänner-Stimmen für ungültig erklären. In einem Facebook-Post, der schnell wieder gelöscht wurde, hieß es, die Präsidentin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sollten gehängt werden.

Viele Trump-Unterstützer nutzen die Plattformen noch immer, um mit QAnon-Hashtag die Ausschreitungen vom Mittwoch als Erfolg zu feiern. Andere verbreiten weiter Verschwörungstheorien, wonach Trump der rechtmäßige Wahlsieger sei. »Wir haben es geschafft!«, hieß es auf einem QAnon-Account auf Twitter, nachdem Pence aus dem Senat in Sicherheit gebracht worden war. »Danke, Q-Patrioten!«

Facebook sperrte Trumps Konto inzwischen auf unbestimmte Zeit, Twitter gab am Freitag die dauerhafte Sperrung von dessen Konto bekannt. Allerdings seien die Plattformen noch nicht entschlossen genug gegen das Social-Media-Netzwerk von Verschwörungstheoretikern vorgegangen, das die Krawalle vom Mittwoch befeuert habe, kritisiert Expertin Jankowicz. »Das wird diese Extremisten in Zukunft stärken«, sagt sie. »Sie sehen ihr Vorgehen als Erfolg und können es ungestraft wiederholen.« dpa

Frankfurt am Main

Israelfeindliche Aktivisten bedrohen Uni-Präsidenten

Der Präsident der Goethe-Universität hatte eine Kooperationsvereinbarung mit der Universität Tel Aviv unterzeichnet und geriet deshalb ins Visier der Aktivisten. Es ist nicht der erste Skandal auf dem Campus

 24.10.2025

Berlin

Gratis-Falafel: Restaurant »Kanaan« reagiert auf Vorfall im »K-Fetisch«

Die Aktion dauert bis 16.00 Uhr an. Es sei ein »Friedenszeichen in Zeiten des Hasses«, sagen die Betreiber

 24.10.2025

Meinung

Warum die UNRWA seit 77 Jahren den Frieden in Nahost blockiert

Das UN-Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser verursacht erhebliche Probleme. Daher gibt es nur einen Weg

von Jusek Adlersztejn  24.10.2025

Internationaler Gerichtshof

Persilschein für die UNRWA

Der IGH sieht Israel in der Pflicht, mit dem umstrittenen Palästinenser-Hilfswerk zu kooperieren. Maßgeblich für die Richter sind die Zusicherungen von UN-Offiziellen

von Michael Thaidigsmann  23.10.2025

Berlin

Jüdische Studenten fordern Geraldine Rauchs Abgang

Die Präsidentin der Technischen Universität Berlin warnte vor »Muslimfeindlichkeit« bei einer jüdisch-kurdischen Veranstaltung. Die JSUD wirft ihr vor, autoritär zu reagieren. Kritik kommt auch von CDU und SPD

 23.10.2025

USA

Gebrochene Identität

Wie sich junge Juden zunehmend von Israel und ihrem Judentum entfernen. Geschichte einer Entfremdung

von Hannes Stein  23.10.2025

Meinung

Liebe Juden, bleibt bitte zu Hause!

Immer mehr jüdische Veranstaltungen werden abgesagt – angeblich zum Schutz von Jüdinnen und Juden. So wird aus einer Einladung zur Kultur ein stiller Abgesang auf Teilhabe

von Louis Lewitan  23.10.2025

Waffenimport

Milliardendeal: Bundeswehr kauft israelische Panzerabwehrraketen

Trotz des von Kanzler Friedrich Merz verhängten Exportstopps für Waffenlieferungen an den jüdischen Staat bezieht Berlin weiterhin auch andere Rüstungsgüter von dort

 23.10.2025

Berlin

Angela Merkel reist im November nach Israel

Von ihr stammt die Aussage, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist. Nun kehrt die frühere Kanzlerin dorthin zurück. Es gibt einen erfreulichen Anlass

 23.10.2025