Terror

Tödliche Ignoranz

Umgebaute Handgranate: Beweisstück im Ermittlungsverfahren nach dem Attentat vom 27. Juli 2000 in Düsseldorf-Wehrhahn, bei dem mehrere jüdische Zuwanderer schwer verletzt wurden. Foto: dpa

Deutschland ist schockiert. Eine rechtsextremistische Terrorbande veranstaltet in unserem so friedlich geglaubten Land eine regelrechte Jagd auf Menschen, deren einziges »Verbrechen« darin bestand, dass sie Türken waren, in einem Fall war es ein Grieche. All das geschah offenbar auch zum Teil unter den wachsamen Blicken der vielgerühmten »V-Leute«, deren Effizienz und Wichtigkeit uns regelmäßig lauthals vorgehalten wird, gerade wenn es um die mangelnden Erfolgsaussichten eines NPD-Verbots geht.

Wie schlimm, fragen sich viele zu Recht, kann es denn eigentlich noch werden? Und was ist zu tun? Zunächst brauchen wir einen resoluten Ruck gegen Rechts in der Gesellschaft, eine besondere Sensibilität für die Gefahr und eine neue Entschlossenheit, gegen den Rechtsextremismus vorzugehen.

Die Sensibilität beginnt im Übrigen schon bei der Sprache: Hier geht es eben nicht um »Döner-Morde«, wie es so oft, zumeist sicher ohne böse Absicht, aber denn doch leider so verharmlosend heißt. Nein, hier wurden keine Döner vernichtet, keine Döner-Buden beschädigt, hier wurden Menschen sadistisch ermordet, unschuldige Menschen, die ihren Angehörigen für immer fehlen werden.

Die aus dem Fall zu ziehenden Konsequenzen sind vielfältig und anspruchsvoll. Es sind oft ganz konkrete Maßnahmen. Es sind, übrigens, Konsequenzen, die schon ebenso oft wie vergeblich – vor allem auch vom Zentralrat der Juden in Deutschland – angemahnt wurden. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Wir müssen zwei Erkenntnisse verinnerlichen und nach ihnen handeln. Erstens ist der Rechtsextremismus nicht nur ein Problem seiner Opfer, sondern vor allem eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft. Zweitens sind Extremisten, ob Gewalttäter oder »nur« Hetzer, keine unabwendbare Plage oder Naturkatastrophe, sondern der sichtbare Auswuchs eines Ungeistes, der bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Es ist der Ungeist des Hasses auf alles »Fremde«, eine engstirnige Verbohrtheit, der alles von der vorgestanzten Norm Abweichende als nicht dazugehörig erscheint. Dieser Ungeist ist erst der Baumstamm, von dem Äste des amtlich definierten Rechtsextremismus emporwachsen, bis hin in die mörderische Verästelung des Terrors, wie wir ihn hier auf nicht zu fassende Weise vorgeführt bekommen.

Der gewalttätige Rechtsextremismus darf in keiner Weise geduldet werden, ebenso natürlich nicht der Linksextremismus und auch nicht der militante Islamismus. Aber aktuell erleben wir nun einmal eine akute Bedrohung durch den Rechtsextremismus. Er muss, wird er derart brutal, ohne jegliche Beschönigung als das bezeichnet werden, was er ist: brauner Terrorismus. Seine Bekämpfung muss denn auch mit allen verfügbaren rechtsstaatlichen Mitteln erfolgen. Dazu gehört ein neues, verstärktes, hoch entwickeltes Bewusstsein der Sicherheitsbehörden für die Gefährlichkeit der braunen Terrorszene. Hier sieht sich der Staat einer gewaltigen Aufgabe gegenüber, die nicht länger verharmlost werden darf. Hier sollten alle Demokraten zumindest ein einziges Mal zusammenstehen: Der Kampf gegen den Rechtsextremismus eignet sich so gar nicht für kleinkarierte parteipolitische Grabenkämpfe.

Eine Bewusstseinsänderung ist aber auch auf gesellschaftlicher Ebene erforderlich, und sie ist keineswegs so leicht zu erreichen. Es gilt, gegen die schreckliche Salonfähigkeit von Fremdenhass, Diskriminierung, Rassismus – dazu gehört aber auch die Verhöhnung von wirtschaftlich und sozial Benachteiligten – entschlossen zu kämpfen.

Denn Toleranz gegenüber der Intoleranz schafft nicht nur die Gefahr, dass sich Hasser in ihren Meinungen bestätigt sehen und dass ihnen der Übergang zur Gewalt gegen einzelne Opfer damit leichter fällt. Jegliche, auch nur passive Legitimierung einer solchen menschenfeindlichen Weltsicht vergiftet unsere Gesellschaft und bedroht unsere Grundwerte. So wird der Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet. Die Folgen können, wie das Beispiel anderer Länder rund um den Globus lehrt, verheerend sein. Daher ist ein Fremdenhasser zugleich eine Bedrohung für unser Land und schon gar nicht etwa nur ein fehlgeleiteter »Patriot«.

So schwierig es auch aussehen mag, müssen alle Menschen guten Willens, darunter, versteht sich, auch wir Juden, von den Entscheidungsträgern aller Lebensbereiche – Politik, Gesellschaft, Religion, Medien und anderen – unmissverständlich Umkehr fordern. Dem Ungeist des Hasses ist mit allen Mitteln der zivilen Gesellschaft entgegenzutreten, allen voran mit Entschlossenheit, mit Erziehung, Dialog, Wissensvermittlung und vor allem mit einem ganz klaren moralischen Kompass. Das muss unsere Gesellschaft zu leisten fähig sein. Kann sie das nicht, ist sie vielleicht dann doch nicht ganz so zivil, wie wir sie gerne hätten.

Der Autor ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Kommentar

Die Genozid-Lüge

Wie die Hamas nach dem 7. Oktober vom Täter zum Opfer wurde – und Israel zur Verkörperung des Bösen schlechthin

von Stephan Lehnstaedt  16.09.2025

Jerusalem

Israel kritisiert Sanktionspläne der EU-Kommission

Israels Außenminister Gideon Saar nennt erwartete Vorschläge für Sanktionen der EU-Kommission gegen sein Land »unverhältnismäßig« - und wirft ihr vor, sich auf Hamas-Angaben zu verlassen

 16.09.2025

Austausch

Ministerin Prien würdigt Deutsch-Israelischen Freiwilligendienst

Sie arbeiten in sozialen und jüdischen Einrichtungen in Israel und Deutschland. Bildungsministerin Prien sagt, warum ein solcher Austausch von jungen Leuten aus ihrer Sicht wichtig ist

von Leticia Witte  16.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Brüssel

EU-Kommission kündigt Vorschläge für Israel-Sanktionen an

Dabei wird es offenbar auch um ein mögliches Aussetzen von Handelsvorteilen gehen

 16.09.2025

Gaza-Flottille

Marlene Engelhorn fährt doch nicht nach Gaza

Entgegen reichenweitenstarken Ankündigungen segelt die Millionenerbin nicht mit. Vom trockenen Wien aus erhebt sie weiter Vorwürfe gegen Israel

von Imanuel Marcus  16.09.2025

Feier

Zentralrat der Juden feiert 75-jähriges Bestehen in Berlin

Der Zentralrat der Juden begeht am Mittwoch in Berlin offiziell sein 75-jähriges Bestehen. Der Bundeskanzler hält die Festrede. Gegründet wurde der Dachverband von 105 Gemeinden am 19. Juli 1950

von Leticia Witte  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Berlin

Wadephul will an Palästina-Konferenz in New York teilnehmen

Der deutsche Außenminister lehnt die Anerkennung eines Staates Palästina weiterhin ab. Bei einem von Frankreich ausgerichteten Treffen zum Thema will er aber dabei sein

 16.09.2025