Berlin

Seehofer: Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) spricht in der Sitzung des Deutschen Bundestages zum Anschlag in Hanau. Foto: dpa

Gleich zu Beginn der Debatte wurde Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ungewöhnlich deutlich. »Hanau fordert Aufrichtigkeit von uns als Gesellschaft.« Integration sei nicht nur die Aufgabe von Zuwanderern. Sie müsse vielmehr »uns allen etwas abverlangen«, so Schäuble.

Er forderte die Politik bei der Eröffnung der Debatte zu mehr Ehrlichkeit auf. »Selbstkritik, entschlossenes Handeln – das sind wir den Ermordeten von Hanau schuldig«, sagte Schäuble. Betroffenheit allein reiche nicht aus. Der Staat müsse sich eingestehen, die rechtsextremistische Gefahr zu lange unterschätzt zu haben. Die offene Gesellschaft werde nur dann eine Zukunft haben, »wenn man die eigenen Vorstellungen nicht zum Maß aller Dinge erklärt«.

Zehn Menschen – neun Menschen mit Migrationshintergrund und die Mutter des Täters – wurden bei dem Anschlag in der hessischen Stadt vor gut zwei Wochen ermordet. Der Generalbundesanwalt sprach von einem rassistischen Motiv des Täters.

In der Debatte standen auch die Abgeordneten im Mittelpunkt, die selbst einen Migrationshintergrund haben oder von Drohungen betroffen sind.

Am Mittwochabend wurde bei einer Trauerfeier in Hanau, an der auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teilnahmen, an die Opfer erinnert. Beide verfolgten am Donnerstag auch die Bundestagsdebatte, Steinmeier auf der Besuchertribüne des Parlaments.

»RASSISTISCHER MASSENMORD« Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, nach der Tat sei das Gebot der Stunde, »auszusprechen, was ist«: »In der Nacht des 19. Februar hat ein Rassist in Hanau einen Massenmord begangen.«

In der Debatte standen auch die Abgeordneten im Mittelpunkt, die selbst einen Migrationshintergrund haben oder von Drohungen betroffen sind. »Ich spüre zum ersten Mal seit Langem, dass Menschen zu Recht Angst vor der Zukunft haben«, sagte der im Iran geborene FDP-Politiker Bijan Djir-Sarai in einer persönlichen Rede.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich stellte sich in seiner Rede hinter seinen Fraktionskollegen Karamba Diaby, dessen Büro in Halle angegriffen wurde. Mehrere Redner nannten die Namen der Opfer von Hanau und erinnerten auch an die Opfer der Rechtsterroristen des NSU.

Viele Redner forderten noch mehr Anstrengungen aller staatlichen Ebenen und der Gesellschaft im Kampf gegen Rassismus. Es müsse noch mehr Zeit und Geld gegen den Hass investiert werden, sagte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus. Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour forderte einen »Aufstand der Zuständigen«. Institutionen wie die Polizei müssten aufstehen gegen Rassismus.

RECHTSSTAAT Bundesinnenminister Horst Seehofer sagte, Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus und Antisemitismus seien die »größte Gefährdung unseres freiheitlichen Rechtsstaates«. Es dürfe keinen Grund mehr »zur Relativierung und Verharmlosung des Rechtsextremismus« geben.

Die Morde von Hanau nannte er »die dritte schwere rechtsextreme Straftat innerhalb von nur zehn Monaten«. Seehofer wies ferner darauf hin, dass in jüngster Zeit zwölf mutmaßliche Rechtsextremisten verhaftet worden seien, die Anschläge geplant hätten, »um bürgerkriegsähnliche Zustände« in Deutschland herbeizuführen. In den Wohnungen einiger Verdächtiger habe man »Unmengen von Sprengstoff und Handgranaten« gefunden. Seehofer nannte die Gefährdungslage durch Rechtsterroristen »sehr hoch«, man dürfe die Gefahr von rechts auch nicht durch andere Bedrohungen relativieren, wie die AfD dies tue.

Der Innenminister versprach, Präventionsprogramme des Bundes gegen Rechtsextremismus auf den Weg zu bringen.

Es habe ihm einen Stich ins Herz gegeben, als in Hanau ein junger Mensch mit Migrationshintergrund gerufen habe, erklärte Seehofer: »Ihr könnt uns nicht schützen.« Der Innenminister versprach, gemeinsam mit seiner Kabinettskollegin Franziska Giffey Präventionsprogramme des Bundes gegen Rechtsextremismus auf den Weg zu bringen. Auch gegen rassistische Ausfälle in Stadien will Seehofer gemeinsam mit dem Deutschen Fußball-Bund vorgehen.

DISKURS Die AfD blieb im Bundestag bei ihrer Bewertung, in Hanau habe es sich um die Tat eines psychisch Kranken gehandelt und warf den anderen Parteien vor, die Tat zu »instrumentalisieren«. Der Forderung mehrerer Redner, sich im politischen Dialog um eine respektvolle Sprache zu bemühen, hielt Gottfried Curio (AfD) entgegen: »Nicht aus Worten, aus Wahnvorstellungen wurden Taten.«

Sein Fraktionskollege Roland Hartwig warf den übrigen Parteien vor, »den politischen Diskurs auf die moralische Ebene« zu verlagern und die »Axt an die Meinungsfreiheit« zu legen. So werde ein Klima der Angst geschaffen, in dem sich niemand mehr traue, seine Meinung zu sagen.

Dietmar Bartsch von der Linkspartei wies dies scharf zurück. »Noch heute geht einigen das Wort Rechtsextremismus nicht über die Lippen, ohne dabei die Linke zu erwähnen«, sagte er. Zu glauben, die 200 rechtsextremistischen Morde seit der Wiedervereinigung 1990 seien alles Einzelfälle gewesen, sei »gefährlicher Unsinn«, so Bartsch.

Ralph Brinkhaus dankte in seiner Rede den Bürgern, die auf der Straße Trauer gezeigt hätten. Er habe trotz der Erschütterung Hoffnung, weil man in den vergangenen Tagen gesehen habe, »wie Menschen zusammenstehen und Haltung zeigen«. Und auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich betonte: »Wir sind nicht eine Wiederholung von Weimar. Wir sind eine mutige Demokratie.« epd/mth

Hanau

Rabbiner antisemitisch beleidigt

Für die Gemeinde ist die Pöbel-Attacke kein Einzelfall

 25.11.2025

Berlin

RIAS: Polizei erfasst antisemitische Taten lückenhaft

Der Bundesverband sagt, es gebe strukturelle Probleme, Unsicherheiten im Umgang mit Betroffenen und ein insgesamt unzureichendes Bild antisemitischer Hasskriminalität in den offiziellen Statistiken

 25.11.2025

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  25.11.2025

Doppel-Interview

»Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon«

Vor 60 Jahren brachte das Konzilsdokument »Nostra aetate« eine positive Wende im christlich-jüdischen Dialog. Bischof Neymeyr und Rabbiner Soussan blicken auf erreichte Meilensteine, Symbolpolitik und Unüberwindbares

von Karin Wollschläger  25.11.2025

Berlin

»Kein Gesprächspartner für Demokratinnen und Demokraten«

Der Verband der Familienunternehmer will sich für Gespräche mit der AfD öffnen – und bekommt dafür Kritik aus verschiedenen Lagern

 25.11.2025

Eklat

Streit um Judenstern: Warschau bestellt Israels Botschafter ein

Ein Beitrag der Gedenkstätte Yad Vashem zum Judenstern sorgt in Polen für Unmut. Warum Polens Außenminister eine Richtigstellung fordert

 25.11.2025

New York

NYPD-Chefin entschuldigt sich nach Protest vor Synagoge

Polizeichefin Jessica Tisch räumt ein teilweises Versagen ihrer Behörde ein

 25.11.2025

Berlin

Mit Kippa und Uniform

Jüdische Geistliche aus Kanada, den USA, Großbritannien, Frankreich und anderen Ländern bei der ersten internationalen Konferenz von Militärrabbinern

 25.11.2025

Polen

Antisemitismus-Eklat in Auschwitz

»Juden wollen in Polen Übermenschen sein, die Anspruch auf eine bessere Stellung haben, und die polnische Polizei tanzt nach ihrer Pfeife«, sagt der rechtsextreme Politiker Grzegorz Braun

 25.11.2025