Hamed Abdel-Samad

Schuld sind immer die anderen!

Hamed Abdel-Samad, Politologe und Träger der Josef‐Neuberger‐Medaille der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf Foto: imago

In einer vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geförderten Erhebung wird behauptet, Islamismus und Antisemitismus unter Muslimen seien eine direkte Folge von Islamfeindlichkeit im Westen. Wirklich? Dann müsste der Islamismus und der Antisemitismus in Pakistan, Iran, Marokko und Indonesien und den restlichen mehr als 50 muslimischen Staaten bald verschwinden, denn dort gibt es bekanntlich keine Islamfeindlichkeit. Judenhass existierte dort aber schon lange bevor muslimische Migranten sich auf den Weg nach Europa machten.

Wir erleben derzeit eine gefährliche Entwicklung in der Wissenschaft und in vielen Zeitungen. Auf der einen Seite investieren Katar, saudische Milliardäre und die Türkei viel Geld, finanzieren etliche Studien und ganze Forschungszentren im Westen, um das Thema »Islamophobie« salonfähig zu machen. Das tun sie nicht, um die Muslime im Westen vor Hass und Ausgrenzung zu schützen, was selbstverständlich ein legitimes Ziel wäre, sondern um dubiose Projekte des politischen Islam ohne Gegenwind zu forcieren. Auch viele Journalisten beteiligen sich nur allzu gern an diesem Projekt.

Allianzen mit fragwürdigen Islamverbänden schützen Juden nicht vor Judenhass.

KAMPAGNE Auf der anderen Seite bilden manche jüdische und nichtjüdische Aktivisten und Intellektuelle fragwürdige Allianzen mit bestimmten Islamverbänden und der Ahmadiyya-Gemeinschaft und sogar mit Erdogan-Anhängern, um als tolerant und dialogbereit zu erscheinen. Vielleicht haben sie auch andere Motive, die ich nicht kenne. Vielleicht glauben sie tatsächlich, dass sie dadurch Juden vor Judenfeindlichkeit schützen können.

Ich würde sofort bei dieser Islamophobie-Kampagne mitmachen, wenn tatsächlich am Ende normale Muslime davon profitieren würden. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Eine Art Erpressungsmechanismus hinter dem Begriff Islamophobie will Kritik am politischen Islam unterbinden, damit Akteure des politischen Islam ungestört ihre Pläne fortsetzen können. Ich bin überzeugt: Das wird Muslime nicht vor Hass schützen, sondern nur noch mehr Hass gegen sie schüren.

DISKURS Auf einer dritten Ebene geben in Lehrstühlen und den Redaktionen vieler Zeitungen links sozialisierte Wissenschaftler und Journalisten den Ton an, die den postkolonialen Diskurs, die Multikulti-Ideologie und die Schuld des Westen gegenüber der Dritten Welt als Basis ihrer Arbeit ansehen. Wir merken, dass der Begriff »Islamismus« in der Wissenschaft langsam verschwindet und durch »religiös motivierter Extremismus« ersetzt wird. Auch bei vielen Redaktionen ist das Wort »Islamismus« mittlerweile unerwünscht.

Wo sonst sollte man kontroverse Themen diskutieren, wenn nicht an Universitäten, Schulen und bei den politischen Stiftungen?

Auf der anderen Seite taucht der Begriff »Islamophobie« immer häufiger auf und wird als Erklärung für viele Phänomene verwendet, mit denen er nichts zu tun hat. Islamkritik gibt es in der Wissenschaft und in vielen Zeitungen dagegen so gut wie nicht mehr. An Universitäten würden Studenten gerne mit Islamkritikern diskutieren, aber die Hochschulen untersagen ihnen, solche Veranstaltungen durchzuführen.

TABU An vielen Schulen ist es nicht anders. Auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung und den politischen Stiftungen ist Islamkritik ein Tabu. Hingegen kann jeder Muslimbruder oder Erdogan-Anhänger seine intellektuellen Perlen dort präsentieren. Hinzu kommt: Facebook und Twitter sind extrem schnell bei der Löschung islamkritischer Inhalte – und extrem langsam, wenn es um islamistische Hass-Posts und Propaganda geht.

Die Freiheit stirbt nicht über Nacht, sondern Schritt für Schritt.

Wo sonst sollte man kontroverse Themen diskutieren, wenn nicht an Universitäten, Schulen, in der Bundeszentrale und bei den politischen Stiftungen? Wo sonst sollte man darüber schreiben, wenn nicht in linken Zeitungen, die gerne kirchenkritische Artikel und Jesus-Karikaturen veröffentlichen? Und selbst bei den sozialen Netzwerken, die früher für mehr Meinungsfreiheit eintraten, wird es immer enger.

Die Freiheit stirbt nicht über Nacht, sondern Schritt für Schritt. Wehret den Anfängen! Und erzählt mir später nicht, dass ihr davon nichts gewusst habt!

Der Autor ist Politologe und Träger der Josef‐Neuberger‐Medaille der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  20.11.2025 Aktualisiert

Berlin

Messerangriff am Holocaust-Mahnmal: Prozess beginnt

Ein 19-jährigen Syrer soll dort im Februar einem spanischen Touristen lebensgefährlich verletzt haben. Aufgrund einer sofortigen Notoperation überlebte das Opfer

 20.11.2025

Washington D.C.

Trump unterschreibt Gesetz zur Freigabe von Epstein-Akten

Der Druck auf den US-Präsidenten wurde zu groß - nun hat er die Veröffentlichung von Akten zu einem Fall genehmigt, den er nicht loswurde. Was das bedeutet

von Anna Ringle, Franziska Spiecker, Khang Mischke, Luzia Geier  20.11.2025

Russischer Eroberungskrieg

Neuer US-Friedensplan: Ukraine unter Druck

Die USA haben Sanktionen gegen Russland verhängt, doch hinter den Kulissen scheint weiter verhandelt worden zu sein. Kiew trifft dies zu einem doppelt ungünstigen Zeitpunkt

 20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

Essay

All die potenziellen Schüsse

In diesem Herbst liest man fast täglich von vereitelten Anschlägen auf Juden. Was die ständige Bedrohung mit uns macht

von Mascha Malburg  20.11.2025

Stuttgart

Polizei plant Großeinsatz bei Maccabi-Spiel

Vor den Europa-League-Auftritten gegen Maccabi Tel Aviv sind der VfB Stuttgart und der SC Freiburg alarmiert. Ein Fan-Ausschluss wie zuletzt in Birmingham ist momentan nicht geplant

 19.11.2025

Kommentar

Danke, Berlin!

Die Entscheidung der Behörden, einem Hamas-Fanboy die Staatsbürgerschaft zu entziehen, sendet ein unmissverständliches und notwendiges Signal an alle Israelhasser. Mit Mahnwachen allein können wir die Demokratie nicht verteidigen

von Imanuel Marcus  19.11.2025

München

LMU sagt Veranstaltung zu palästinensischer Wissenschaft ab

Die Universität verwies in ihrer Stellungnahme darauf, dass es erhebliche Zweifel gegeben habe, »ob es sich um eine wissenschaftliche Veranstaltung auf dem erforderlichen Niveau gehandelt hätte«

 19.11.2025