Antisemitismus

»Schade das hitler euch nicht ausgerottet hat!!!«

Foto: imago images/Ralph Peters

Über 160.000 Mal wurde das Video des Zentralrats der Juden in Deutschland angeklickt. Es ist mit einem Warnhinweis zum »verstörenden Inhalt« überschrieben. Unter Klarnamen haben Internetnutzer Aussagen gepostet wie: »Schade das hitler euch nicht komplett ausgerottet hat!!!« Oder: »Ich hoffe das dieser Judenhass immer größer wird.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

50 Hass-Nachrichten erreichten den Zentralrat täglich, sagte Präsident Josef Schuster der »Bild am Sonntag«. Er forderte Nachbesserungen im Strafrecht: Die meisten Absender wüssten genau, wie sie vorgehen müssten, um juristisch nicht belangt werden zu können.

Aufgrund einer Gesetzeslücke kann der Zentralrat die Judenhasser bei der Polizei nicht zur Anzeige bringen. »Obwohl uns Menschen mit ihrem Klarnamen geschrieben haben, können wir juristisch nicht dagegen vorgehen, weil das Strafrecht zum Beispiel Beleidigungen nur gegen Personen, nicht aber gegen Institutionen unter Strafe stellt«, so Schuster.

»Wir schaffen einen neuen Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung.«

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD)

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte an, eine jüngst beschlossene Änderung des Strafrechts zügig umzusetzen. »Wir schaffen einen neuen Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung«, sagte sie der Zeitung. Das bedeute: »Wer gegen Juden hetzt, muss vor Gericht konsequent zur Verantwortung gezogen werden.«

Derweil werden Rufe nach mehr Konsequenz und einer härteren Gangart im Umgang mit Antisemiten laut. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder erklärte, Antisemitismus - auch sogenannter Alltagsantisemitismus - sei ein schweres Vergehen. »Da sollten wir auch mit höheren Strafen operieren«, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fügte in der »Bild am Sonntag« hinzu, wenn Asylbewerber an anti-israelischen Demonstrationen teilnähmen, müssten Abschiebungen möglich sein.

»Wir haben in Deutschland eine besondere Verantwortung gegen jeden Antisemitismus.«

Cem Özdemir

Zudem rückt das Thema Integration in den Blickpunkt. Wenn junge Menschen »aus Marokko oder aus der Türkei« nach Deutschland kämen, müsse man ihnen erklären, dass die Deutschen für das Existenzrecht Israels eine besondere Verantwortung hätten, sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. Beispielsweise solle man Jugendliche zu Besuchen in KZ-Gedenkstätten ermuntern. Zuvor hatte die Erziehungsgewerkschaft GEW darauf hingewiesen, dass der Antisemitismus auch an Schulen wachse.

Neben rechtsstaatlicher Härte, so Schäuble, brauche es den »Konsens der Politik, dass es keinen Platz für Antisemiten gibt«. Das betonte auch Grünen-Politiker Cem Özdemir: »Wir haben in Deutschland eine besondere Verantwortung gegen jeden Antisemitismus«, sagte er der »Welt am Sonntag«. Es spiele keine Rolle, wer Juden und Jüdinnen bedrohe: Entscheidend sei, dass sie sich sicher fühlten.

Jahrzehntelang habe es eben diesen Konsens gegeben, sagte der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Viele Holocaust-Überlebende zweifelten inzwischen jedoch daran, dass er heute noch so bestehe. »Jede antisemitische Protestattacke, jede angezündete Israelflagge, jeder durchgestrichene Judenstern, jeder zerstörte Stolperstein, bestätigt, dass in der Gesellschaft etwas ins Rutschen gekommen ist.«

Hinzu kommt nach Worten des Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Maram Stern, ein mangelndes Wissen über den Nahost-Konflikt.

Levi Israel Ufferfilge, Schulleiter und Buchautor, mahnte eine stärkere Transferleistung an. Nur weil es einen »hart erarbeiteten, eingeübten öffentlichen Konsens über die Schoah« gebe, bedeute das nicht, dass heutiger Antisemitismus erkannt werde, sagte er der »Welt«. »Wenn der Antisemit nicht den Hitlergruß macht, wenn er die Synagoge anzündet, oder eine antisemitische Partei in ihrem Namen nicht mit NS-, sondern mit A- beginnt, bemerken sie es oft nicht einmal als Judenhass.«

Hinzu kommt nach Worten des Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Maram Stern, ein mangelndes Wissen über den Nahost-Konflikt. Zugleich habe sich die Unterscheidung zwischen Juden und Israel in der Wahrnehmung vieler Menschen aufgelöst, schreibt er in einem Beitrag für den am Wochenende aus Berlin erscheinenden Hintergrunddienst »Der Hauptstadtbrief«. Dabei könne es beim Antisemitismus keine zwei Seiten geben. »Ja, es kann nicht einmal Neutralität geben«, so Stern.

Und doch greifen Rassismus und Antisemitismus nach Beobachtung der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano »im ganzen Land« um sich. Sie selbst habe keine Angst mehr um ihr Leben, sagte die 96-Jährige der »Bild am Sonntag«. Aber es gebe offensichtlich viele Menschen, »die nichts aus all den Verbrechen gelernt haben, die mir und Millionen anderen Juden angetan wurden«.

Brüssel

»Gegen EU-Grundwerte«: Kommission verurteilt Festival

Eine Sprecherin der Europäischen Kommission hat den Boykott der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani in die Nähe von Antisemitismus gerückt und scharf verurteilt

von Michael Thaidigsmann  12.09.2025

Belgien

»Ruf unseres Landes beschmutzt«: Premier rügt Gent-Festival

Premier Bart de Wever kritisiert die Leiter eines belgischen Festivals dafür, die Münchner Philharmoniker und ihren Dirigent Lahav Shani ausgeladen zu haben

 12.09.2025

Berlin

Humboldt-Universität will gegen Antisemitismus vorgehen

Präsidentin Julia von Blumenthal sieht ihre Hochschule für künftige Auseinandersetzungen rund um den Nahost-Konflikt gut vorbereitet

von Lukas Philippi  12.09.2025

Gaza

Die Genozid-Lüge

Wie die Hamas nach dem 7. Oktober vom Täter zum Opfer wurde – und Israel zur Verkörperung des Bösen schlechthin

von Stephan Lehnstaedt  12.09.2025

Nachkriegsjustiz

Verhandlung über Massenmord: Vor 80 Jahren begann der Belsen-Prozess

Fünf Monate nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen erhob ein britisches Militärgericht in Lüneburg Anklage gegen die Täter. In einer Turnhalle begann damit vor 80 Jahren der erste große NS-Kriegsverbrecherprozess in Deutschland

von Karen Miether  12.09.2025

Belgien

Deutsche Botschaft beendet Partnerschaft mit Gent-Festival

Die Deutsche Botschaft in Brüssel hat nach der Ausladung der Münchner Philharmoniker ihre Zusammenarbeit mit dem Flandern-Festival in Gent eingestellt

von Michael Thaidigsmann  11.09.2025

Debatte

Zentralrat nennt Ausladung Shanis »fatales Signal«

Wer einen Künstler aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seiner jüdischen Religion ausgrenzt und diskreditiert, trete die Demokratie mit Füßen

 11.09.2025

Berlin

Soziale Medien: »TikTok-Intifada« und andere Probleme

Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich auf einer Fachtagung mit Hass im Netz: »Digitale Brücken, digitale Brüche: Dialog in Krisenzeiten«

 11.09.2025

Urteil

Bundesgerichtshof bestätigt Geldstrafen gegen Höcke

Das Landgericht Halle habe in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der AfD-Politiker die verbotene SA-Parole »Alles für Deutschland« und »Alles für« gerufen hat

 11.09.2025