Berlin

Rüstzeug für die Forschung

Wolfgang Benz Foto: Marco Limberg

Ein Deutschland ohne Antisemitismus wird es nach Einschätzung des Berliner Historikers Wolfgang Benz nie geben. Einstellungen – wie die Juden hätten zu viel Einfluss in Kultur, Politik und Wirtschaft – seien so festgefügt, dass man sie nicht beseitigen könne, sagte Benz in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wegen der Verbrechen des Holocaust gebe es in der Bundesrepublik zwar einen amtlich verfügten und von der Mehrheit gelebten Philosemitismus. »Damit wird das Böse aber nicht beseitigt.«

Es werde weiterhin Leute mit einem schlichten Weltbild geben, die einfache Erklärungen für Unglück und Ungemach und Schuldige brauchen, die glauben, was der Großvater auch schon geglaubt hat. »Nämlich, dass an dem Juden irgendetwas ist, was einen zumindest vorsichtig oder misstrauisch werden lässt«, sagte Benz. Der bekannte Historiker und Ressentimentforscher ist Herausgeber des Handbuchs des Antisemitismus, dessen letzter Band am Dienstagabend im Jüdischen Museum Berlin von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vorgestellt wird.

importiert Neben dem traditionellen Antisemitismus der alteingesessenen Deutschen gebe es auch den importierten Antisemitismus der Muslime in der Bundesrepublik, sagte Benz. »Aber nicht jeder Muslim ist, weil er Muslim ist, automatisch Feind der Juden«, betonte der 74-Jährige. Diese pauschale Verurteilung verkenne auch die Anstrengungen aus muslimischer Sicht, die zum Dialog und zur Aufklärung gemacht werden.

Dabei entwickle sich derzeit die Islamfeindlichkeit zu einem neuen Diskriminierungsproblem. Ein Vergleich von Juden und Muslime sei aber nicht gestattet. »Tatsache ist aber, dass jeder Muslim in Deutschland größere Diskriminierungserfahrungen hat als jeder Jude, der hier lebt«, so Benz.

interdisziplinär In dem achtbändigen Handbuch des Antisemitismus ist nach seinen Angaben das gesamte verfügbare und wissenschaftlich gesicherte Wissen zur Judenfeindschaft interdisziplinär sowie ohne zeitliche und räumliche Begrenzung gesammelt. Dabei gelte ein Handbuch als altmodisch, so Benz, der bis 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin leitete.

»Heutzutage googelt man, wenn man etwas wissen will, und erwischt dann einen Zufallstreffer und glaubt, was jemand ins Netz gestellt hat. Unser Anspruch war, in einem Handbuch das gesamte notwendige und gesicherte Wissen über Judenfeindschaft generell zu bündeln.«

Die Spanne reiche dabei von Bischof Hippolyt von Jerusalem im 3. Jahrhundert, der als Antijudaist böse Schriften gegen die Juden geschrieben hat, über Martin Luther bis in die Gegenwart mit dem iranischen Ex-Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad oder dem israelkritischen Gedicht »Was gesagt werden muss« aus dem Jahr 2012 des im Frühjahr gestorbenen Schriftstellers Günter Grass. »Jeder, der sich seriös mit dem Phänomen Judenfeindschaft beschäftigt, soll darin das Rüstzeug finden«, so der Herausgeber. epd

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