Dokumentation

Ratschläge aus Berlin

Wie der Bundestag Israels Annexionspläne diskutierte

von Michael Thaidigsmann  09.07.2020 10:34 Uhr

Bundesaußenminister Heiko Maas Foto: dpa

Wie der Bundestag Israels Annexionspläne diskutierte

von Michael Thaidigsmann  09.07.2020 10:34 Uhr

Schon nach dem ersten Redebeitrag in der Nahostdebatte im Bundestag vergangene Woche schien es, als wäre schon alles gesagt, nur eben noch nicht von jedem. Auf der Tagesordnung standen eine Aussprache zu israelischen Plänen in Bezug auf Gebiete westlich des Jordans, und Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich erteilte Außenminister Heiko Maas das Wort.

»Deutschland und Israel sind und bleiben auf besondere Weise durch die Erinnerung und das Gedenken an die Schoa verbunden«, betonte dieser gleich. »Wir tun gut daran, dieses Bekenntnis zu unserer Verantwortung für Israel dem voranzustellen, worüber wir heute und wahrscheinlich auch in den nächsten Tagen, gegebenenfalls Wochen, intensiv diskutieren werden.«

»Weder sie noch Israel werden dadurch sicherer – im Gegenteil«, rief Gregor Gysi – und klang dabei fast schon wie der ehemalige FDP-Politiker Jürgen Möllemann.

Nach einer ausführlichen Beschreibung des positiven Verhältnisses zwischen beiden Ländern kam Maas dann zum Punkt: Der ganze Nahost-Friedensprozess stehe auf dem Spiel. Der Grund sei Israels einseitiges Vorgehen. Die Botschaft Deutschlands, so der Außenminister, müsse klar sein: »Frieden lässt sich nicht durch einseitige Schritte erreichen, sondern nur durch ernstzunehmende Verhandlungen.«

Dann löste er die hörbar angezogene Handbremse etwas und fügte hinzu, dass Schweigen keine Alternative sei, wenn die »Grundsätze des Völkerrechts« nicht eingehalten würden. »Das werden wir auch nicht, und das müssen dann auch die aushalten, die dafür verantwortlich sind.« Gemeint war da natürlich die neue israelische Regierung.

Resolution In einer Resolution hatten sich CDU/CSU und SPD auf eine Verurteilung möglicher Annexionen durch Israel geeinigt, obwohl zum Zeitpunkt der Debatte völlig unklar war, ob und wann und falls ja, wie diese überhaupt erfolgen würden. Eigentlich war eine gemeinsame Entschließung der Koalitionsfraktionen mit der FDP und Bündnis 90/Die Grünen geplant. Dazu kam es am Ende nicht.

»Wir diskutieren heute über Pläne der israelischen Regierung, zu denen niemandem Details vorliegen«, wandte der FDP-Politiker Bijan Djir-Sarai ein.

Dennoch war man sich im Großen und Ganzen einig. »Ich glaube, dass die israelische Regierung diesen Ratschlag von uns ertragen kann«, sagte der CDU-Abgeordnete Jürgen Hardt. Man hätte ihn gerne gefragt, ob er glaube, dass sie ihn auch befolgen wird. Doch vielleicht war das gar nicht Sinn und Zweck der Übung.

Hardt fand nämlich noch ein anderes Argument, warum das Parlament unbedingt über mögliche unilaterale Schritte Israels befinden musste. Der Beschluss sei ja wichtig für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. So könne Deutschland in Brüssel gut argumentieren, wie man mit Israel umzugehen habe, meinte Hardt.

Der FDP-Politiker Bijan Djir-Sarai wandte ein: »Wir diskutieren heute über Pläne der israelischen Regierung, zu denen niemandem Details vorliegen, Pläne, von denen wir nicht wissen, ob sie heute, morgen oder eventuell auch überhaupt nicht umgesetzt werden.«

Einseitige Maßnahmen schürten gegenseitige Feindseligkeiten und Vorurteile, die Konsequenzen seien schwer absehbar. Djir-Sarai kritisierte aber auch die Palästinenser für ihre »Nein-Politik« – und forderte die Bundesregierung auf, im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft auch den Nahost-Friedensprozess wieder zu beleben. Dass das ein ziemlich ambitioniertes Unterfangen wäre, wird auch dem FDP-Mann bewusst gewesen sein.

Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen wurde angenommen.

Gysi ging noch einen Schritt weiter. Israels Ruf in der Welt würde durch die Annexion »noch deutlich negativer«, als das jetzt schon der Fall sei, und das wäre dann zum Schaden der Juden weltweit. »Weder sie noch Israel werden dadurch sicherer – im Gegenteil«, rief der ehemalige Linken-Chef und klang dabei fast schon wie der ehemalige FDP-Politiker Jürgen Möllemann, der für den Anstieg des Antisemitismus in Deutschland die Politik des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon mitverantwortlich machte.

Fraktion Die Debatte gestaltete sich leise und nuanciert, bis der außenpolitische Sprecher der Linken, Gregor Gysi, das Wort ergriff. Er fühle sich aus dem Konsens der Fraktionen ausgegrenzt, wetterte Gysi, und es sei bemerkenswert, »dass CSU, CDU, SPD und zunächst auch FDP und Grüne gerade mich aus ihrem ursprünglichen Antrag herausgehalten haben«. Gysi forderte einen »Stopp der Militärkooperation mit Israel« und die Anerkennung eines »Staates Palästina« durch Deutschland. Sonst, behauptete er, würde Deutschland indirekt das israelische Vorgehen legitimieren.

KOnsens Andere Redner waren weniger konfrontativ: Kritik an Israel ja, Androhung von Konsequenzen oder gar Sanktionen nein. In den Worten des CDU-Außenpolitikers Roderich Kiesewetter klang das so: »Gerade dieses Geschenk der Freundschaft muss uns auch bewegen in der Frage: Was bedeutet die israelische Sicherheit für uns, und was bedeuten die möglichen Annexionspläne für Israels Sicherheit?«

Als »engste Freunde« Israels »in Europa und vielleicht auch in der Welt« müsse man sich »intensiv Gedanken machen und sehr ehrlich und offen mit der israelischen Lage umgehen«. Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, der das in ähnliche Worte fasste, wurde ohne Gegenstimmen angenommen. Die Anträge der Opposition lehnte der Bundestag ab.

Antisemitismus

Jude in Berlin-Biesdorf massiv beschimpft

Die zwei unbekannten Täter zeigten zudem den Hitlergruß und verhöhnten das Opfer wegen dessen Schläfenlocken

 28.04.2024

Meinung

Keine Ausreden mehr!

Hamburg hat ein Islamismus-Problem. Deutschland hat ein Islamismus-Problem. Ein Weckruf

von Noam Petri  28.04.2024

Berlin

Zentralrat der Juden kritisiert deutsche UNRWA-Politik

Josef Schuster: »Die Bundesregierung tut sich mit dieser Entscheidung keinen Gefallen«

 28.04.2024

Holocaust

»Blutiger Boden, deutscher Raum« - was die Nazis in Osteuropa planten 

Die Nationalsozialisten träumten von einem Riesenreich voller idealer Menschen. Wer ihnen nicht passte, sollte verschwinden oder sterben. Ein neuer Film zeigt die Abgründe des Generalplans Ost

von Cordula Dieckmann  28.04.2024

Holocaust

Chef der Gedenkstätten-Stiftung: Gästebücher voll Hassbotschaften 

Hass, Antisemitismus und Israelfeindlichkeit bekommt auch die Gedenkstätte Sachsenhausen zu spüren - seit Beginn des Gaza-Kriegs gibt es dort deutlich mehr Schmierereien

 28.04.2024

Terror-Verbündete

Erdogan: Die Türkei steht weiterhin hinter der Hamas

»Man kann die Vorfälle des 7. Oktober gutheißen oder nicht. Das ist vollkommen Ansichtssache«, so Türkeis Präsident

 28.04.2024

Berlin

Zentralrat der Juden kritisiert Urteile zugunsten antisemitischer Parole

Der Schlachtruf bedeutet »nichts anderes als den Wunsch der Auslöschung Israels«, betont Josef Schuster

 28.04.2024

Berlin

Warum Steinmeier den Runden Tisch zum Nahost-Krieg absagte

Der Bundespräsident hat seit dem Überfall der Hamas auf Israel schon mehrere Runde Tische zum Nahen Osten veranstaltet. Der nächste sollte in der kommenden Woche sein. Doch er entfällt

 27.04.2024

Den Haag

Erste Entscheidung in Klage gegen Deutschland am Dienstag

Im Verfahren Nicaragua gegen Deutschland will der Internationale Gerichtshof am Dienstag seinen Beschluss zu einstweiligen Maßnahmen verkünden

 26.04.2024