Magdeburg

Prozess zum Anschlag von Halle beginnt

Vor dem Landgericht in Magdeburg fand der Prozess gegen den Attentäter von Halle statt. Foto: dpa

Rund neun Monate nach dem antisemitischen Terroranschlag von Halle mit zwei Toten und mehreren Verletzten beginnt heute in Magdeburg der Prozess gegen den Angeklagten.

Das Gerichtsverfahren gilt als eines der größten und bedeutendsten in der Geschichte Sachsen-Anhalts: 13 Straftaten werden dem Angeklagten angelastet, darunter Mord und versuchter Mord. 43 Nebenkläger ließ das Gericht vor Prozessbeginn zu und benannte insgesamt 147 Zeugen. Die Anklage der Bundesanwaltschaft umfasst insgesamt 121 Seiten.

»Die Schwere des Tatvorwurfs und die politische Bedeutung der angeklagten Taten verleihen dem Verfahren ein besonderes Gewicht«, sagte der Sprecher des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg, Henning Haberland. Deshalb finde das Verfahren auch nicht in den Räumen des OLG Naumburg statt, sondern im größten Verhandlungssaal Sachsen-Anhalts in Magdeburg.

Dem Angeklagten werde ein Angriff auf grundlegende Werte unserer Gesellschaft vorgeworfen. »Insbesondere aber soll er unermessliches persönliches Leid angerichtet haben«, sagte Haberland. »Der Rechtsstaat wird darauf mit einem fairen Verfahren reagieren.«

NEBENKLÄGER Einige der Verletzten und Hinterbliebenen hätten sich als Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen und damit nun die Möglichkeit, gestaltend auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. »Und dennoch wird das Verfahren wahrscheinlich nicht alle Erwartungen erfüllen können, die von den Hinterbliebenen, den Geschädigten und der Öffentlichkeit möglicherweise gehegt werden«, sagte Haberland.

Das Verfahren könne das geschehene Unrecht nicht beseitigen. Zum Prozessauftakt soll zunächst der Anklagesatz verlesen und anschließend der Angeklagte vernommen werden.

Der Attentäter hatte am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen, als darin gerade 52 Gläubige den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten. Laut Bundesanwaltschaft wollte er möglichst viele Besucher der Feier töten.

TÜR Der Täter scheiterte trotz schwerer Bewaffnung an der Eingangstür der Synagoge und erschoss dann vor der Synagoge eine 40-Jährige. Kurz darauf erschoss er in einem Dönerimbiss einen 20-Jährigen und verletzte auf seiner Flucht weitere Menschen, bevor ihn Polizisten festnehmen konnten. Der Täter hatte den Anschlag mit einer Helmkamera gefilmt und ins Internet gestreamt.

Angeklagt ist Stephan B. aus Sachsen-Anhalt. Er hat die Vorwürfe laut dem Gericht im Wesentlichen eingeräumt. Im Falle einer Verurteilung erwartet den heute 28-Jährigen eine lebenslange Haftstrafe, auch eine anschließende Sicherheitsverwahrung ist möglich. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, »aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens« geplant zu haben, so die Bundesanwälte.

Im Falle einer Verurteilung erwartet den heute 28-Jährigen eine lebenslange Haftstrafe, auch eine anschließende Sicherheitsverwahrung ist möglich.

Das Gericht erließ für den zunächst auf 18 Verhandlungstage angesetzten Prozess besonders strenge Regeln – einerseits wegen der besonderen Bedeutung des Angeklagten, andererseits wegen der Corona-Pandemie. So soll der Angeklagte gefesselt und von Spezialkräften begleitet in den Gerichtssaal gebracht werden.

CORONA-REGELN Zuschauer und Medienvertreter müssen wegen der Corona-Gefahr im Verhandlungssaal einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Wegen der strengen Vorgaben und der damit verbundenen Kontrollen öffnet das Gericht bereits drei Stunden vor Verhandlungsbeginn die Türen.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland erhofft sich von dem Verfahren Klarheit über die Hintergründe der Tat und darüber, wie es zu dem Anschlag kommen konnte.

»Ich habe die Hoffnung, dass erstens geklärt wird, ob es sich tatsächlich um einen Einzeltäter handelt oder ob rechtsextreme Netzwerke hier eine Rolle gespielt haben«, sagte der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, der Deutschen Presse-Agentur. »Zweitens möchte ich wissen, wie es dazu kommen konnte, dass ein Mensch sich in dieser Form radikalisiert«, sagte Schuster. »Kein Mensch wird als Nazi, Antisemit oder Terrorist geboren.«

Ein Bürgerbündnis will vor Prozessbeginn vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung abhalten und unter dem Motto »Solidarität mit den Betroffenen – keine Bühne dem Täter« den Opfern des Attentats Aufmerksamkeit verschaffen. Das Verfahren sorgt auch international für großes Interesse: Neben der »New York Times« berichten auch die israelische Tageszeitung »Israel HaYom« sowie Medien aus den Niederlanden und der Schweiz aus dem Magdeburger Gerichtssaal. dpa

Vereinte Nationen

USA verhindern Beschluss des Sicherheitsrats zu Gaza-Krieg

Die Trump-Regierung legte ihr Veto ein, weil der Text die Hamas nicht verurteilte. Alle anderen 14 Mitglieder stimmten dem Resolutionsentwurf zu

 19.09.2025

Interview

»Die Verantwortung der Hamas wird völlig ausgeklammert«

In der Deutschen Friedensgesellschaft ist ein Konflikt über den Gazakrieg entbrannt. Keno Goertz, der dem Verband Israelfeindlichkeit vorwirft, droht sogar der Rauswurf. Im Interview erzählt er, wie der Streit eskalieren konnte

von Joshua Schultheis  19.09.2025

Madrid

Merz und Sánchez bei Israel-Sanktionen uneins

Beim Merz-Besuch in Madrid prallen zwei unterschiedliche Positionen zu Israel aufeinander

 19.09.2025

München

Söder: CSU würde Sanktionen gegen Israel nicht zustimmen

Seine Partei sei auch gegen eine einseitige Anerkennung eines Palästinenserstaates, machte der CSU-Chef klar

 19.09.2025

Essay

Die Genozid-Lüge

Wie die Hamas nach dem 7. Oktober vom Täter zum Opfer wurde – und Israel zur Verkörperung des Bösen schlechthin

von Stephan Lehnstaedt  19.09.2025 Aktualisiert

Yad Vashem

Holocaust-Bildungszentrum in Deutschland: Drei mögliche Standorte ausgewählt

In welchen Bundesländern könnte die Institution gebaut werden? Drei stehen auf der Liste

 18.09.2025

Gazakrieg

Trump: »Ich will, dass die Geiseln sofort freigelassen werden«

Beim Staatsbesuch des US-Präsidenten im Vereinigten Königreich ging es bei einer Pressekonferenz auch um den Gaza-Krieg. Dabei machte Donald Trump eine zentrale Forderung erneut deutlich

 18.09.2025

Initiative

Kampf gegen Judenhass: Bündnis fordert Taten von der Politik

Zahlreiche Persönlichkeiten und Organisationen beteiligen sich an einem Bündnis gegen Antisemitismus. Am Donnerstag traten sie mit einem Fünf-Punkte-Plan an die Öffentlichkeit

 18.09.2025

Antisemitismusverdacht

Ermittlung wegen Plakat »Juden haben hier Hausverbot« läuft

Ein antisemitischer Aushang in einem Flensburger Geschäft sorgt für Entsetzen. Politiker und Bürger reagieren deutlich. Die Staatsanwaltschaft schaltet sich ein

 18.09.2025