Meinung

Noch haben Ungarns Juden Schonzeit

Rabbiner Joel Berger Foto: Marco Limberg

Die Wahlen in Ungarn haben mehr als nur die Zweidrittelmehrheit für die ­FIDESZ-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán ergeben. Addiert man die beinahe 20 Prozent für die rechtsextreme Jobbik-Partei hinzu, zeigt sich: Drei Viertel der Ungarn unterstützen rechte Parteien.

Orbán ist es gelungen, die Massen des Landes hinter sich zu bringen – wörtlich. Letzte Reste an Opposition finden sich nur noch in Budapest. Orbáns Feindbild ist der ungarisch-amerikanische Milliardär George Soros. Ihm sagen die FIDESZ-Leute nach, er wolle das Volk der Magyaren knechten. Das knüpft an den ungarischen Mythos an, wonach die ganze Welt gegen uns ist.

gratulanten Den Siegeszug der FIDESZ-Leute hält nichts auf: Die Korruption, die in Ungarn herrscht, stört keinen Wähler. Und man kann davon ausgehen, dass die Europäische Union vor Orbán in die Knie gehen wird. Orbáns Gratulanten waren aus Deutschland die AfD und die CSU, es waren rechtslastige Regierungen in Osteuropa, und es war auch Benjamin Netanjahu. Doch das ist ein Sonderfall: Israel hat ja eine Dauerfehde mit der EU und braucht da jede Unterstützung. Die erhofft sich Netanjahu eben von Orbán.

Was heißt das für die 80.000 Juden, die in Ungarn leben? Für sie gilt Schonzeit. Es geht schließlich »nur« gegen Kosmopolitismus, gegen europäischen Geist. Das erklärt vielleicht auch ein bisschen, warum Israels Likud gute Kontakte zu FIDESZ unterhält. Und vielleicht auch, warum Orbáns Politik nicht offen antisemitisch ist, sondern dass Juden teils sogar großzügig unterstützt werden. Das gilt vor allem für Chabad Lubawitsch, die drei Synagogen Budapests, darunter die älteste, erhalten hat. Der Chabad-Rabbiner Slomó Köves wollte sogar FIDESZ unterstützen, wurde aber zum Glück zurückgepfiffen.

Dass Juden in Ungarn nichts zu befürchten haben, stimmt leider nur kurzfristig. Es gibt noch eine antijüdische Grundströmung im Land, und FIDESZ bedient sie geschickt. Wie, das sieht man an der Kampagne gegen George Soros: Um ihn als anti-ungarischen Strippenzieher zu denunzieren, muss seitens der Regierung niemand mehr erwähnen, dass Soros Jude ist. Das haben ja schon andere gesagt.

Der Autor wurde in Budapest geboren und war württembergischer Landesrabbiner.

Würdigung

Argentiniens Präsident Milei erhält »jüdischen Nobelpreis« 

Der ultraliberale Staatschef gilt als enger Verbündeter Israels und hat großes Interesse am Judentum. Das Preisgeld in Höhe von einer Million Dollar will er für den Kampf gegen Antisemitismus spenden

von Denis Düttmann  14.01.2025

Berlin

Vereinigung fordert Ausschluss der AfD bei Holocaust-Gedenken

Die demokratische Einladungspraxis, alle im Parlament vertretenen Parteien einzubeziehen, sei für die NS-Opfer und ihre Nachkommen und für viele demokratische Bürger nicht mehr tragbar

 14.01.2025

New York

46 Prozent aller Erwachsenen auf der Welt haben antisemitische Ansichten

Die Anti-Defamation League hat 58.000 Menschen in 103 Ländern befragt

 14.01.2025

NRW

NRW-Leitlinien für zeitgemäßes Bild des Judentums in der Schule

Mit Büchern gegen Antisemitismus: NRW-Bildungsministerin Feller hat zwölf Leitlinien für die Darstellung des Judentums in der Schule vorgestellt. Denn Bildungsmedien seien ein Schlüssel zur Vermittlung von Werten

von Raphael Schlimbach  14.01.2025

Faktencheck

Hitler war kein Kommunist

AfD-Chefin Weidel bezeichnet den nationalsozialistischen Diktator als »Kommunisten«. Diese These wird von wissenschaftlicher Seite abgelehnt

 14.01.2025

Berlin

Wegen Gaza-Krieg: Syrer beschädigt erneut Gebäude im Regierungsviertel

Erst das Innenministerium, dann der Amtssitz des Bundeskanzlers: Zweimal binnen weniger Tage fasst die Polizei in Berlin einen Mann, der wegen des Gaza-Kriegs wütet

 14.01.2025

Studie

Frauen und jüdischer Widerstand bei Schulnamen unterrepräsentiert

Welche Persönlichkeiten prägen die Namen deutscher Schulen? Eine Studie zeigt: Pädagogen spielen eine große Rolle. Frauen und Juden eher weniger

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025

7. Oktober

Einigung auf Geisel-Deal zum Greifen nahe 

Ein Drei-Stufen-Plan sieht Medien zufolge die Freilassung von Geiseln sowie palästinensischen Häftlingen vor. Das Weiße Haus gibt sich optimistisch, dass bald ein Deal stehen könnte

von Julia Naue  13.01.2025 Aktualisiert