Niedersachsen

»Nicht die Erinnerung an die Vergangenheit ist eine Last. Zur Last wird sie, wenn wir sie leugnen«

Foto: dpa

Keinen Schlussstrich ziehen und nicht zurückfallen in das alte Verdrängen: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Dienstag in der Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe in Gardelegen (Sachsen-Anhalt) eindringlich gemahnt, die Verbrechen der NS-Zeit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

»Es ist wichtig, dass wir uns erinnern«, sagte er zur Eröffnung des neuen Dokumentationszentrums und der neuen Dauerausstellung. »Nicht die Erinnerung an die Vergangenheit ist eine Last. Zur Last wird sie, wenn wir sie leugnen.«

In der einstigen Feldscheune in der Altmark wurden in der Nacht vom 13. auf den 14. April 1945, kurz vor Eintreffen der US-Truppen, 1.016 KZ-Häftlinge umgebracht.

»Unsere Verantwortung ist es, jede Form von Antisemitismus und Rassismus zu bekämpfen, einzutreten für die Demokratie und die Würde jedes Einzelnen.«

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Dokumentationszentrum und Ausstellung erinnerten an ein »von Menschen gemachtes Inferno«, erklärte Steinmeier: »Die Täter waren nicht nur Angehörige der SS und der Wehrmacht, auch die örtliche Polizei und der sogenannte Volkssturm beteiligten sich, alte Männer und halbe Kinder.«

Wenn über die Verbrechen dieser letzten Tage der Nazi-Diktatur gesprochen werde, stelle sich die Frage nach der Verantwortung noch einmal mit aller Schärfe, sagte Steinmeier. Es gehe um das Handeln von Bürgermeistern und Dorfvorstehern, von Polizisten und Feuerwehrleuten, von Pfarrern und Ärzten, von Männern und Frauen.

»Von Menschen, die gesehen hatten, in welchem Zustand die Häftlinge waren, die durch ihre Dörfer und Kleinstädte getrieben wurden, die weder helfen mochten noch dem Morden Einhalt geboten - oder die sich sogar selbst daran beteiligten«, so der Bundespräsident.

Es habe auch die anderen, die Mutigen, die Anständigen gegeben, die Häftlinge versteckten oder ihnen zur Flucht verhalfen. »Es waren nur wenige«, sagte Steinmeier.

Es sei wichtig, historisch fundierte wie emotional berührende Formen der Vermittlung von Wissen zu finden, betonte Steinmeier.

Die Ermordeten in der Feldscheune waren zuvor auf Todesmärschen aus KZ-Außenlagern bis in die Altmark getrieben und in die Scheune gepfercht worden. Dann wurde das Gebäude bei verriegelten Türen angezündet. Wer zu fliehen versuchte, wurde erschossen. Nur wenige Häftlinge überlebten.

Von den Todesmärchen und dem Massaker gebe es kaum Zeugnisse wie Fotos, sagte Gedenkstättenleiter Andreas Froese. Sogenannte graphic novels, an Comics erinnernde Zeichnungen, verdeutlichten in der Ausstellung das schreckliche Geschehen. Dazu seien in einem separaten Raum die Originalfilmaufnahmen der US-Armee zu sehen, die am Tag nach dem Massaker entstanden. Jeder Besucher könne selbst entscheiden, ob er sie anschauen möchte.

Es sei wichtig, historisch fundierte wie emotional berührende Formen der Vermittlung von Wissen zu finden, sagte der Bundespräsident. Moderne Technologien eröffneten dazu neue Wege. Die Gedenkstätte Gardelegen zeige, wie das gehen könne.

»Unsere Vergangenheit bürdet uns Verantwortung auf. Sie macht vor niemanden Halt.«

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff

»Wir brauchen authentische Orte der Erinnerung und des Gedenkens«, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). In der Gedenkstätte werde der Besucher ganz unmittelbar mit der Geschichte konfrontiert. Dieser Geschichte müssten sich die Deutschen stellen.

»Unsere Vergangenheit bürdet uns Verantwortung auf. Sie macht vor niemanden Halt«, sagte Haseloff. Für Dokumentationszentrum und Ausstellung hat das Land knapp vier Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Seit 2015 gehört die Gedenkstätte zur landeseigenen Gedenkstättenstiftung. Auf dem Gelände hatte die DDR ab 1949 eine Mahn- und Gedenkstätte errichtet. Bereits 1946 wurde ein Ehrenfriedhof eingeweiht. (Dirk Löhr)

Diplomatie

Bosnien: Diplomatischer Eklat um Nazi-Helm an deutschen UN-Vertreter

Vor 30 Jahren endete der Krieg in Bosnien und Herzegowina. Jetzt flammt die Debatte um die politischen Nachwehen von Neuem auf. Im Fokus eines skandalösen Angriffs steht ein deutscher UN-Politiker

 20.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  20.11.2025 Aktualisiert

Berlin

Messerangriff am Holocaust-Mahnmal: Prozess beginnt

Ein 19-jährigen Syrer soll dort im Februar einem spanischen Touristen lebensgefährlich verletzt haben. Aufgrund einer sofortigen Notoperation überlebte das Opfer

 20.11.2025

Washington D.C.

Trump unterschreibt Gesetz zur Freigabe von Epstein-Akten

Der Druck auf den US-Präsidenten wurde zu groß - nun hat er die Veröffentlichung von Akten zu einem Fall genehmigt, den er nicht loswurde. Was das bedeutet

von Anna Ringle, Franziska Spiecker, Khang Mischke, Luzia Geier  20.11.2025

Russischer Eroberungskrieg

Neuer US-Friedensplan: Ukraine unter Druck

Die USA haben Sanktionen gegen Russland verhängt, doch hinter den Kulissen scheint weiter verhandelt worden zu sein. Kiew trifft dies zu einem doppelt ungünstigen Zeitpunkt

 20.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

Essay

All die potenziellen Schüsse

In diesem Herbst liest man fast täglich von vereitelten Anschlägen auf Juden. Was die ständige Bedrohung mit uns macht

von Mascha Malburg  20.11.2025

Stuttgart

Polizei plant Großeinsatz bei Maccabi-Spiel

Vor den Europa-League-Auftritten gegen Maccabi Tel Aviv sind der VfB Stuttgart und der SC Freiburg alarmiert. Ein Fan-Ausschluss wie zuletzt in Birmingham ist momentan nicht geplant

 19.11.2025