Perspektive

Neue Generation

Haben ihre Ausbildung am Rabbinerseminar zu Berlin abgeschlossen: Jochanan Guggenheim, Nosson Kaplan und Benjamin Kochan (v.l.) Foto: A. Janetzko / Agentur StandArt

Iss schwer zu sein a Jid», stöhnte bereits der Jude im Schtetl. Und um wieviel schwerer ist es, ein Rabbiner zu sein? Und die Steigerung kann man sich denken: Rabbiner in Deutschland. Am kommenden Montag findet bereits zum fünften Mal in der Nachkriegsgeschichte eine Ordination orthodoxer Rabbiner statt, erstmals in Frankfurt am Main. Nun werden also drei junge Rabbiner in den Kreis der in Deutschland Amtierenden aufgenommen. Was erwartet sie, und welche Anforderungen werden an sie gestellt?

Das jüdische Leben in Deutschland unterliegt seit vielen Jahren permanentem Wandel – wie wohl in kaum einem anderen Land der Welt. Insbesondere hat das Judentum in Deutschland nur sehr wenig mit dem berühmten deutschen Judentum der Vorkriegszeit zu tun. Damals gab es Rabbiner, die ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen mussten, oft mit Promotion, und entsprechend gut war ihr Ruf in der gesamten jüdischen und auch nichtjüdischen Welt.

schoa Nach der Schoa und auch in späteren Jahren gab es in Deutschland fast nur Rabbiner, die aus Israel kamen, oft kein Deutsch konnten, höchstens Jiddisch, sodass die Kommunikation innerhalb und außerhalb der jüdischen Welt schwierig war. Es handelte sich zumeist um fromme Männer, häufig im Rentenalter.

Doch genug mit dem Blick in die Vergangenheit. Die Zeiten haben sich geändert. Nach der Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion, die seit 1990 die Gemeinden vor komplett andere Aufgaben stellte, sind wir in einer Situation, in der die Mitgliedszahlen erneut sinken. Vordringlichste Aufgabe ist es jetzt, junge Familien in die Gemeinden zu holen.

Die Aufgaben, die an einen Rabbiner gestellt werden, sind damit ganz andere als noch vor einigen Jahrzehnten. Aber auch die nun in Deutschland lebenden Rabbiner sind anders. Der Idealzustand besteht darin, dass der Rabbiner «zur Gemeinde passt» – sprich: die gleichen religiösen Vorstellungen hat wie die meisten aktiven Mitglieder der Gemeinde, etwas frommer ist und vor allem mehr weiß. Doch gerade in Deutschland sind wir weit davon entfernt. Oft genug ist der Rabbiner wie ein Fremdkörper und lebt – zumindest in kleineren Städten – häufig als einzig jüdisch-religiöser Mensch in der Stadt.

Was zeichnet nun einen guten Rabbiner aus? «Ein Rabbiner, der sich mit allen in der Gemeinde gut versteht, ist ein schlechter Rabbiner. Ein Rabbiner, der sich mit niemandem in der Gemeinde gut versteht, ist ein schlechter Mensch», sagt man sehr treffend. Diese Worte stammen ursprünglich von Rabbi Israel Salanter aus dem 19. Jahrhundert, basierend auf Geschichten aus dem Talmud.

aufgaben Und wirklich: Die Aufgaben sind vielfältig, mit allen dabei gut auszukommen, ist wohl eine unlösbare Aufgabe. Der Rabbiner muss Seelsorger sein, den Menschen zuhören, weise Ratschläge geben, also ein Psychologe sein. Er muss für junge Familien, Studenten, Jugendliche und Kinder da sein, sie motivieren und sie dem Judentum (wieder) zuführen. Natürlich muss er die Gemeinde, beziehungsweise die jüdischen Menschen, repräsentieren, Gespräche mit Vertretern anderer Religionen und staatlichen Instanzen führen.

Da ist es von Vorteil, wenn er auch die Gedankenwelt unserer nichtjüdischen Mitbürger kennt. Er muss schon aus diesen Gründen die Landessprache beherrschen, wobei auch Russischkenntnisse in Deutschland von Vorteil sind. Fundierte Kenntnisse der Halacha setzen wir als selbstverständlich voraus.

Es ist schwer für Rabbiner in Deutschland, denn die große Mehrheit der Gemeindemitglieder kommt aus der ehemaligen Sowjetunion und befindet sich meist in fortgeschrittenem Alter. Ohne religiöse Traditionen aufgewachsen, halten die wenigsten Schabbat, essen koscher oder feiern die jüdischen Feste. Ihre Vorstellungen von einem Rabbiner sind meist die eines älteren Herrn, der ihnen zuhört, sich über den langen weißen Bart streicht und sagt, was zu tun ist. Und wie ist es für einen Rabbiner, der noch damit leben muss, dass die meisten Gemeindemitglieder vieles von dem für unwichtig halten, was ihm wichtig ist? Ist das nicht frustrierend? Zum Glück haben gute Rabbiner viel Geduld und setzen sich mit allen Kräften für die Zukunft ein.

bereicherung Die meisten Absolventen des Rabbinerseminars zu Berlin sind hier aufgewachsen, sprechen perfekt Deutsch, eventuell Russisch und kennen die Mentalität der Menschen in Deutschland. Viele fanden selbst erst vor einigen Jahren – meist als Teenager – zurück zur Religion. Natürlich besteht die Gefahr, dass sie verzweifeln, wenn am Schabbat ein Handy in der Synagoge klingelt. Aber diese jungen Leute haben unter Beweis gestellt, dass sie lernfähig sind. Sie werden ihre Erfahrungen machen und so eine wichtige Bereicherung für das jüdische Leben in Deutschland sein. Und sie kennen das weltliche Leben und können andere vielleicht noch besser auf ihrem Weg zurück ins Judentum begleiten.

Letztendlich wird die Ausstrahlung ausschlaggebend sein. Um also obige Aussage, was einen guten Rabbiner ausmacht, zu ergänzen: An erster Stelle sollte er «e Mentsch» sein, im jiddischen Sinne.

Die Jugend der Rabbiner ist ein großer Vorteil, die Distanz, die die Jugend und die jungen Erwachsenen oft zur Gemeinde spüren, dürfte damit kleiner werden. Der Rabbiner ist «nicht mehr so weit weg». Ich jedenfalls freue mich über dieses – unsere jüdischen Gemeinden belebende – Element, sehe den Tag der Rabbinerordination als einen Feiertag an und wünsche den neuen Rabbinern viel Erfolg in ihrem schwierigen Amt.

Der Autor ist Vorstandsmitglied des Bundes traditioneller Juden in Deutschland und war Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe.

Israel

Ein zarter Neuanfang

Bei seinem Antrittsbesuch in Jerusalem wollte Bundeskanzler Friedrich Merz das zuletzt stark belastete Verhältnis zum jüdischen Staat kitten. Ist es ihm gelungen? Eine Analyse

von Philipp Peyman Engel  07.12.2025

Jerusalem

Netanjahu: »Stellen Sie sich vor, jemand würde Deutschland vernichten wollen«

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz lobte der Premierminister Bundeskanzler Merz als verständigen Gesprächspartner und rechtfertigte Israels hartes Vorgehen gegen die Hamas

 07.12.2025 Aktualisiert

Israel

Berichte: Netanjahu traf Blair heimlich zu Gaza-Zukunft

Bei einem Treffen zwischen Netanjahu und Blair soll es um Pläne für die Zukunft des Gazastreifens gegangen sein. Für Blair ist eine Rolle in Trumps »Friedensrat« vorgesehen

 07.12.2025

Justiz

Gericht bestätigt Verbot der Parole »From the river to the sea«

Ein von der Stadt Bremen erlassenes Verbot sei rechtmäßig, entschied nun das Verwaltungsgericht Bremen

 07.12.2025

Yad Vashem

Merz: »Wir werden die Erinnerung lebendig halten«

Es ist einer der wichtigsten Antrittsbesuche für Kanzler Merz. Der zweite Tag in Israel beginnt für ihn mit dem Besuch eines besonderen Ortes

 07.12.2025

Umfrage

KAS-Studie: Antisemitische Vorurteile nehmen bei Türkeistämmigen zu

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat eine neue Studie zum Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft vorgelegt. Dabei wurden auch Einstellungen zu Juden abgefragt

 07.12.2025

Simi Valley

»Vorbildliche Verbündete«: Hegseth nennt Israel und Deutschland

Die Signale, die jüngst aus den USA in Richtung Europa drangen, waren alles andere als positiv. Der US-Verteidigungsminister findet nun allerdings nicht nur Lob für den jüdischen Staat, sondern auch für einige EU-Staaten

 07.12.2025

Soziale Medien

Musk nach Millionenstrafe gegen X: EU abschaffen

Beim Kurznachrichtendienst X fehlt es an Transparenz, befand die EU-Kommission - und verhängte eine Strafe gegen das Unternehmen von Elon Musk. Der reagiert auf seine Weise

 07.12.2025

Jerusalem

Merz: Deutschland wird immer an der Seite Israels stehen

Der Bundeskanzler bekräftigt bei seiner Israel-Reise die enge Partnerschaft. Am Sonntag besucht er die Yad Vashem und trifft Premierminister Netanjahu

von Sara Lemel  07.12.2025 Aktualisiert