Meinung

Nachdenken über einen Begriff

Ein gewisses Unwohlsein ist zu spüren. Was hat 1938 stattgefunden? »Kristallnacht«? »Reichspogromnacht«? Welcher Begriff erfasst das Geschehen am genauesten, welcher belässt Opfern ihre Würde und entlässt Täter nicht aus der Verantwortung? »Kristallnacht«, so lautet eine Deutung, entstamme dem Volksmund, der damit eine leicht distanzierte Sicht auf die Ereignisse formuliert hätte.

ss-mann Gleichwohl tut das Wörtchen »Kristall« so, als sei nur Glas zu Bruch gegangen. Das Wörtchen »Reich« vorzustellen, suggeriert, dass es ein gesteuertes Pogrom war. Für diese Vermutung spricht, dass der wohl einzige Beleg des Begriffs vor 1945 die Rede eines SS-Brigadeführers vom Juni 1939 ist: »Die Sache geht als Reichskristallnacht in die Geschichte ein.«

Wohnt »Kristallnacht«, über Jahrzehnte die alltagssprachliche Bezeichnung für die Morde und Brandschatzungen in jenen Novembertagen, die Gefahr der Bagatellisierung inne, so ist scheinbar mit dem Wort »Reichspogromnacht« eine gangbare Lösung gefunden. Sie geht auf den SPD-Politiker Klaus Thüsing zurück, der den Begriff 1978 vorschlug.

freiwillig Doch unproblematisch ist auch er nicht, macht er doch aus den Pogromen eine Aktion des Staates. Als ob nicht weite Teile der Bevölkerung sehr freiwillig mitgemacht hätten. Ja, als ob es nicht das Wesen des Pogroms ist, von der Gesellschaft, eben ohne staatlichen Zwang, ausgeführt zu werden. Vom NS-Regime initiiert, heißt eben nicht, dass nichtjüdische Deutsche unter Androhung drakonischer Strafen mittun mussten.

In der DDR fand offizielles Gedenken meist unter dem Begriff der »faschistischen Pogromnacht« statt. Auch hier droht die Freiwilligkeit, die nicht an NSDAP-Mitgliedschaft und Staatsbefehl gekoppelt war, vergessen zu werden.

Wie soll man nun sagen? Es war wohl das, als was es schon damals erschien: ein Pogrom. Dass es noch mehr war, wissen wir heute: der Auftakt zur Schoa. Wir sollten die schlimme Wahrheit auch in einfachen Worten ausdrücken.

Andreas Nachama

Gesine Schwan rechnet die Schoa gegen Israels Politik auf

Die SPD-Politikerin sollte die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit würdigen, doch ihre Rede geriet zur Anklage gegen Israel

von Rabbiner Andreas Nachama  07.12.2024

Debatte

Saarland verpflichtet alle Schüler zum Besuch von NS-Stätten

Eine Pflicht für Schüler zum Besuch von Gedenkstätten der NS-Zeit hat der saarländische Landtag auf den Weg gebracht. Künftig soll mindestens ein solcher Besuch in der Schullaufbahn stattfinden

von Matthias Jöran Berntsen  07.12.2024

Deutschland

Zentralratspräsident Josef Schuster: Halte AfD und BSW für gefährlich

Der Präsident des Zentralrats der Juden hat deutliche Worte für die AfD - aber auch für das BSW. Wie er auf die Neuwahlen im Februar blickt

von Leticia Witte  07.12.2024

Berlin

Bundesregierung teilt Völkermord-Vorwurf nicht

Eine »klare Absicht zur Ausrottung einer Volksgruppe« sei nicht erkennbar, heißt es

 06.12.2024

Vatikan

Jüdischer Weltkongress: Sorge über Papstwort zu Genozid

Mit seiner Forderung Genozid-Vorwürfe gegen Israel sorgfältig zu prüfen, hatte der Papst kürzlich für Kritik gesorgt. Eine Unterredung im Vatikan.

 06.12.2024

Australien

Anschlag auf Synagoge »völlig vorhersebare Entwicklung«

Die jüdische Gemeinde in Australien steht unter Schock. Auf die Synagoge in Melbourne wurde ein Anschlag verübt. Die Ermittlungen laufen

 06.12.2024

Berlin

Ron Prosor rechnet mit Amnesty International ab

Die Organisation verbreite in ihrem Israel-Bericht Narrative und Zahlen der Hamas, so der israelische Botschafter

von Imanuel Marcus  06.12.2024

Würzburg/Berlin

Zentralrat der Juden wirft Amnesty International Terrorrelativierung vor

Die »dämonisierende Verurteilung Israels« sprenge jeden Rahmen, kritisiert der Zentralratspräsident

 06.12.2024

Berlin

Güner Balci: Halb nackt und mit Bauchpiercing auf Hamas-Demo passt nicht

Die Publizistin und Integrationsbeauftragte bescheinigt linken Hamas-Sympathisanten ein schräges Weltbild

 06.12.2024