Juden, Muslime, Burkaverbot

»Mehr reden!«

Frau Kaddor, Herr Rubinstein, mit den Worten »Man kann nicht alles verbieten, was man ablehnt« hat Innenminister Thomas de Maizière einem Burkaverbot eine Absage erteilt. Falsch oder richtig verstandene Liberalität?
Kaddor: Das ist eine richtig verstandene Liberalität! Wenn das Burkatragen andere Ausmaße annehmen sollte, kann man die Frage ja neu stellen, aber doch nicht jetzt.
Rubinstein: Es ist eine höchst kontroverse Frage, was schwerer wiegt: die in unserem Land gegebene Religionsfreiheit oder die gemeinsamen Werte und Grundsätze unserer Gesellschaft – in der die Vollverschleierung der Frau weder vorkommt noch mehrheitlich konsensfähig ist.
Kaddor: Ich selbst trage keine Burka, ich lehne sie ab, und ich halte sie für unislamisch. Aber ein Verbot wäre der falsche Weg.
Rubinstein: Wie sähe es aus, wenn wir nicht mit dem Thema Flüchtlinge und islamistischer Terrorismus konfrontiert wären? Zugegeben sarkastisch ausgedrückt: Flüchtlinge und Muslime kann man nicht verbieten, die Burka allerdings schon. Ist das aber eine Lösung? Ich sage Nein.

Anders als das Burkaverbot ist die Forderung, die ärztliche Schweigepflicht zu lockern, nicht vom Tisch.
Rubinstein: Sie lenkt vom eigentlichen Thema ab. Es wird doch niemand ernsthaft glauben, potenzielle Täter erzählen ihrem Arzt frei Schnauze von ihren Plänen.
Kaddor: Wenn ein Arzt eine akute Gefahr erkennt, darf er bereits jetzt seine Schweigepflicht brechen. Was jetzt gefordert wird, ist doch politischer Aktionismus!
Rubinstein: Für mich ist es ein hilfloser Versuch, von der Debatte über Datenschutz, Ermittlungsbefugnisse und Eingriff in die Privatsphäre abzulenken. Wenn die Ermittlungsbehörden nicht im Verdachtsfall unverzüglich tätig werden können, tauschen wir die scheinbare Sicherheit unserer Privatsphäre gegen das Risiko von Anschlägen.

Nächster Punkt: doppelte Staatsbürgerschaft. Hat die etwas mit Sicherheit zu tun?
Rubinstein: Der Pass ist nicht die entscheidende Frage, sondern die individuelle emotionale Zugehörigkeit zu einem Land. Wir Juden kennen das aus eigener Erfahrung: Wie viele von uns haben deutsche Pässe, sind hier geboren und aufgewachsen – und tun sich schwer damit, offen zu sagen, dass sie sich deutsch fühlen!
Kaddor: Es geht übrigens mittlerweile vielen Muslimen so, wie es auch bei Juden oft der Fall ist – dass ein zweiter Pass als Möglichkeit für ein Refugium gesehen wird: Es gibt ein Land, in das ich mich hinbegeben kann, wenn die Feindschaft zu groß wird.
Rubinstein: Deshalb muss eher die Frage gestellt werden: Wie kann es sein, dass man sein ganzes Leben hier verbracht hat und sich doch nicht als Teil der Gesellschaft fühlt und in einer Parallelwelt lebt? Hierbei versagen wir bisher kläglich.
Kaddor: Solange Juden stets als Israelis und Muslime stets als Türken oder Araber wahrgenommen werden, gibt es auch einen Grund für die doppelte Staatsbürgerschaft.

Viele Muslime beklagen, sie stünden unter Generalverdacht. Was kann die Community selbst tun, um davon wegzukommen?
Rubinstein: Ich kenne diese Klagen aus meinem muslimischen Bekanntenkreis. Gerade ich als jüdischer Mensch reagiere sehr empfindlich darauf, wenn von »den« Muslimen oder »den« Juden gesprochen wird. Das Schlimme dabei ist: Der Generalverdacht der einen Seite führt im besten Fall zu einer Verteidigungshaltung der anderen Seite, oftmals jedoch zu einer sich verstärkenden ablehnenden Haltung.
Kaddor: Ich habe ein Problem mit der Frage: Ein wenig impliziert sie, als seien Muslime schuld an der Islamfeindlichkeit und Juden am Antisemitismus. Dass Muslime ihren Glauben transparent machen sollten, ist ja eine berechtigte Forderung. Dass der Islamismus bekämpft wird, ist richtig. Aber es hat nicht direkt etwas mit Islamfeindlichkeit zu tun.
Rubinstein: Gleichwohl empfinde ich die muslimischen Stimmen gegen den islamistischen Terrorismus und Fundamentalismus als zu leise, zu schwach, zu wenig öffentlich kritisch. Ich wünsche mir eine deutlichere Abgrenzung. Wir müssen mehr miteinander statt übereinander reden. Und das ehrlich, schonungslos und eben nicht primär in populistischen Zweizeilern.

Das Gespräch führte Martin Krauß.

Lamya Kaddor ist Religionspädagogin, Publizistin und Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes.

Michael Rubinstein ist Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein. Von beiden erschien: »So fremd und doch so nah. Juden und Muslime in Deutschland« (Ostfildern 2013).

Berlin

Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz beschädigt

Kuratorin: «Auffällig, dass ausgerechnet Plakate zum israelbezogenen Antisemitismus beschädigt wurden«

 24.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Umfrage

Studie: Für die meisten muslimischen Schüler ist der Koran wichtiger als deutsche Gesetze

Fast die Hälfte der Befragten will einen islamischen Gottesstaat

 22.04.2024

Vereinte Nationen

»Whitewash«: UNRWA-Prüfbericht vorgelegt

Eine Untersuchung sollte die schweren Vorwürfe gegen das UN-Hilfswerk aufklären - vorab sickerten erste Details durch

von Michael Thaidigsmann  22.04.2024

Berlin

Ausstellung will Leben in Geiselhaft simulieren

In der Fasanenstraße werden in einem Container die Bedingungen der Geiseln in Gaza simuliert

von Pascal Beck  22.04.2024

Rechtsextremismus

»Höckes Sprachgebrauch ist ein klarer Angriff - und erfolgreich«

Der Soziologe Andreas Kemper zu Strategien des AfD-Politikers

von Nils Sandrisser  22.04.2024

Frankreich

Französischer Bürgermeister zeigt Hitlergruß - Rücktrittsforderungen

Die Präfektur Val-de-Marne will die Justiz einschalten

 22.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Österreich

Vier Deutsche nach Gedenkbesuch bei Hitlers Geburtshaus angezeigt

Die Verdächtigen waren nach Braunau gefahren, um dort weiße Rosen niederzulegen

 22.04.2024