Kirche

Mehr Klarheit, bitte!

Durchblick: Der Kampf gegen den Juden- und Israelhass sollte für die Kirche Herzensangelegenheit sein. Foto: Illustration: Marco Limberg

Schien nicht alles geklärt im Verhältnis zwischen deutschen Protestanten und Juden? Hatte die Evangelische Kirche nicht im Lutherjahr 2017 eine Erklärung gegen Antisemitismus abgegeben, die wenig zu wünschen übrig ließ? Heißt es dort nicht kategorisch: »Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schließen einander aus«? Und stehen dort nicht auch klare Aussagen zum Antizionismus? Irgendwie will das so gar nicht zusammenpassen mit einigen Meldungen der vergangenen Wochen.

Anfang Mai: In der Arbeitshilfe »70 Jahre Staat Israel. Ein Termin im christlichen Kalender?« der Evangelischen Kirche im Rheinland sorgt der Beitrag des Pfarrers i.R. Rainer Stuhlmann für heftige Kritik. Der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein sagt, der Text hinterlasse »einen faden Beigeschmack antizionistischer Stereotype«, und sagt eine gemeinsame Israelreise mit Kirchenvertretern ab.

vertreibung Ende Mai veröffentlicht Hartmut Metzger, Chefredakteur des »Evangelischen Kirchenboten« der Pfalz, einen wutschnaubenden Leitartikel zu den jüngsten Vorfällen an Israels Grenze zum Gazastreifen. In seinem Text unterstellt Metzger Israel, »die Vertreibung und militärische Kontrolle des palästinensischen Volks« anzustreben. Nichts sei seit der Staatsgründung vor 70 Jahren besser geworden, »aber vieles schlechter«. Israel sei unberechenbar geworden, die Gesellschaft gespalten, und die Regierung in Jerusalem würde vor den Ultraorthodoxen »auf die Knie« fallen.

Kein Wort zur Hamas. Kein bisschen Empathie mit den Menschen in Israel, die seit Jahren Raketenangriffen und Terrorattacken aus dem Gazastreifen ausgesetzt sind. Noch nicht einmal der Versuch der Ausgewogenheit.

Und nun wird dieser Tage wieder ein 2017 von den Theologieprofessoren Ulrich Duchrow und Hans G. Ulrich herausgebrachtes Buch mit dem Titel Religionen für Gerechtigkeit in Palästina-Israel diskutiert. Für den Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit war es »ein zutiefst israelfeindliches Machwerk«.

befreiungstheologe In einem Beitrag behauptet Duchrow, die »ursprüngliche zionistische Logik« sei es, »das Land von den Palästinensern zu reinigen – durch Zwangsumsiedlungen, Krieg und Mord«. Israel aber wolle »die Menschen minderen Rechts komplett loswerden und die Übrigbleibenden ghettoisieren wie in Gaza«. Den jüdischen Staat nennt der Heidelberger Befreiungstheologe »das Extrem der westlichen, kolonialistischen, kapitalistischen, imperialen, wissenschaftlich-technischen, gewalttätigen Eroberungskultur der letzten 500 Jahre«.

Nach Berichten von »Welt« und »Zeit« teilte Verleger Wilhelm Hopf in der vergangenen Woche Duchrow und Ulrich unmissverständlich mit, dass er die Vorwürfe des Antisemitismus teile und das Buch nie in seinem Verlag hätte erscheinen dürfen.
Zwar distanzierte sich auch die Führung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Doch warum wurde das Duchrow-Ulrich-Werk vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf, von der EKD sowie den evangelischen Landeskirchen in Mitteldeutschland, Baden, Hannover, Hessen und Nassau, Westfalen und einigen evangelischen Hilfswerken finanziell unterstützt?

Möglicherweise sind die drei geschilderten Beispiele Einzelfälle. Aber es fällt auf: Die Reaktionen der EKD-Spitze gegenüber antiisraelischen Tiraden wirken oft brav und defensiv. Man distanziert sich, verweist auf die Antisemitismus-Erklärung, geht zur Tagesordnung über – oder man schweigt gleich ganz.
Niemand kann dem deutschen Protestantismus pauschal Israelfeindschaft unterstellen.

klischees Aber es reicht nicht, hehre Erklärungen abzugeben und es dann stillschweigend hinzunehmen, dass Kirchenmitarbeiter und Theologen mit den dort beschriebenen antisemitischen Klischees hantieren. Mit Erklärungen und Resolutionen, so wichtig sie sind, ist es nicht getan. Sie zu formulieren, ist ziemlich einfach. Sie zu verinnerlichen, zu vermitteln und tagtäglich zu praktizieren, ist es nicht.

Nachdem die Katholische Kirche im Jahr 1965 das Dokument Nostra Aetate verabschiedet hatte, in dem Judenhass als Sünde bezeichnet wurde, dauerte es noch Jahrzehnte, bis dank intensiver Anstrengungen auf beiden Seiten greifbare Fortschritte im Verhältnis von Katholiken und Juden sichtbar wurden.
Der jüdisch-protestantische Dialog hinkt weit hinterher, und der springende Punkt scheint die unterschiedliche Wahrnehmung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu sein.

Der Kampf gegen den Juden- und Israelhass sollte gerade für die evangelische Kirche in Deutschland nicht nur Pflichtaufgabe, sondern Herzensangelegenheit sein. Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, brachte es auf den Punkt: »Führende Kirchenvertreter melden sich bereits zu Wort, aber das Thema sollte noch prominenter, systematischer und vor allem präventiv von beiden Kirchen behandelt werden.«

Eine Kirche, die sich nie gescheut hat, ihre Standpunkte in zentralen politischen Fragen offensiv zu vertreten, darf sich bei der modernen Form des Antisemitismus, dem Hass auf Israel, nicht einfach die Ohren zuhalten.

Der Autor ist Kommunikationsberater und Publizist in Brüssel.

Hanau

Antisemitisches Plakat an Schule: Staatsschutz ermittelt

In einem angrenzenden Park gab es eine Veranstaltung der Jüdischen Gemeinde. Besteht ein Zusammenhang?

 30.04.2025

Jom Hasikaron

Israel gedenkt der Terroropfer und Kriegstoten

Seit dem 7. Oktober 2023 sind 850 israelische Soldaten und 82 Sicherheitskräfte getötet worden

 30.04.2025

Josef Schuster

»Was bedeutet die Schoa heute noch für Deutschland?«

In seiner Rede zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen reflektiert der Zentralratspräsident die Herausforderungen und Gefahren, vor denen die Erinnerung an die Schoa heute steht. Eine Dokumentation

von Josef Schuster  29.04.2025

Mauthausen

Überlebenswunderkind Eva Clarke: Geburt im KZ vor 80 Jahren

Es war eines der größten und gefürchtetsten Konzentrationslager der Nazizeit. Im Mai 1945 wurde es von US-Soldaten befreit. Unter den Überlebenden waren eine Mutter und ihr Neugeborenes

von Albert Otti  29.04.2025

Umfrage

Mehrheit hält AfD wegen deutscher Geschichte für unwählbar

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fragt die »Memo«-Studie Menschen in Deutschland nach dem Blick zurück

 29.04.2025

Potsdam

Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert besseren Schutz für Synagoge

Vermutlich wurde in Halle ein zweiter Anschlag auf die Synagoge verhindert. Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert deshalb dazu auf, auch die Potsdamer Synagoge besser zu schützen

 29.04.2025

Menschenrechte

Immer schriller: Amnesty zeigt erneut mit dem Finger auf Israel

Im neuesten Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation wirft sie Israel vor, einen »live übertragenen Völkermord« zu begehen

von Michael Thaidigsmann  29.04.2025

Berlin

Streit um geforderte Yad-Vashem-Straße

Zwischen dem Freundeskreis Yad Vashem und dem Roten Rathaus herrscht Unmut

von Imanuel Marcus  29.04.2025

Den Haag

Strafgerichtshof verpflichtet Chefankläger zur Vertraulichkeit

Karim Khan, der unter anderem gegen Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl erwirkt hat, darf einem Bericht des »Guardian« zufolge künftig nicht mehr öffentlich dazu Stellung nehmen

 29.04.2025