Debatte

»Man wird ja wohl noch berichten dürfen ...«

Mit Verspätung und Überziehung endet als letztes Panel in den Politik-und-Gesellschaft-Sessions am Sonntag die von vielen mit Spannung erwartete Diskussion » ›Man wird ja wohl noch berichten dürfen …‹: Juden, Israel und Antisemitismus in den Medien«. Während das Publikum aus dem Saal strömt, ruft Jacob Horowitz, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), begeistert: »Bestes Panel des Gemeindetages. Ich hätte gern Popcorn dabeigehabt!«

Dieses Journalist-Death-Match wurde auf der Bühne, oder man könnte auch sagen im Ring, bestritten von Moderatorin und ARD-Journalistin Ilanit Spinner, Welt-Chef Ulf Poschardt, SZ-Chefredakteurin Judith Wittwer und Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen.

Nachdem eine genaue Berichterstattung, Parteilichkeit und die Signalwirkung von Medien als größte Herausforderungen benannt sind, geht es los. Spinners Frage, ob die deutschen Medien angemessen über den aus dem 7. Oktober resultierenden Krieg berichten, beantwortet Poschardt sofort und scharf mit Nein. 80 Prozent der Journalisten würden gerade ihren antisemitischen Bias ausleben, später wird er auf 90 erhöhen. Nach dem 7. Oktober habe es eine »Minipause« gegeben, aber die sei schon wieder vorbei, und er fürchte, dass es in den kommenden Wochen eskalieren werde, »wenn die israelische Armee tut, was sie tun muss«, nicht nur im Süden des Gazastreifens, sondern auch im Süden Libanons.

Wittwer, die als Repräsentantin der Süddeutschen und deren regelmäßigen Ausfällen – in Karikaturen, aber auch im Text – stellvertretend für die zu kritisierende Presse herhalten muss, sagt, dass sie Poschardts Ansicht teile, dass sich nach den Gräueltaten des 7. Oktober in der Sorgfaltspflicht »ein bisschen was verschoben« habe. Mit dieser Formulierungsunschärfe wird sie es schwer haben. Da widerspricht Engel auch schon Poschardt. Die »Minipause« habe es nie gegeben. Und bekommt Applaus.

»Bestes Panel des Gemeindetages. Ich hätte gern Popcorn dabeigehabt!«

Dann wendet er sich direkt an Wittwer und spricht den berüchtigten Artikel des SZ-Israel-Korrespondenten Peter Münch an, der am 7. Oktober, als die Terroristen noch im Land waren und Menschen massakrierten, schon über den politischen Nutzen schrieb, den Netanjahu angeblich daraus ziehen möchte. Ein Artikel, der nach sofortiger Kritik - auch von der Jüdischen Allgemeinen – zunehmend umgeschrieben wurde, und das zuerst ohne Kenntlichmachung. Das sei ganz klar ein Fehler gewesen, gibt Wittwer zu.

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Damit sind die Diskutanten bei der Frage angelangt, ob es Fehler oder Strategie ist, wenn Medien sich in Täter-Opfer-Umkehr üben, »Geiselaustausch« schreiben, wenn die Hamas-Terroristen verschleppte, misshandelte israelische Zivilisten nur freilassen, wenn Israel drei Mal so viele Kriminelle aus Gefängnissen entlässt, wenn die Hamas nicht als das benannt wird, was sie ist: eine Terrororganisation. Es gebe einen Anti-Israel-Bias, hinter dem sich ganz klar oftmals »über Bande gespielter Antisemitismus« verstecke, so Poschardt. Und er nennt auch Namen wie Stephan Detjen vom Deutschlandradio. Der mediale Umgang auch mit Themen wie der documenta oder dem Aktivismus der Klima- und der postkolonialen Bewegung sei längst mehr als ein anti-israelischer Affekt. »Da geht gerade ganz viel kaputt«, so der Journalist, der gut beim Publikum ankommt, aber dessen anhaltende Werbung fürs eigene Blatt auch für Zwischenrufe sorgt. »Wir haben in den Unis und in den Medien eine Kultur zugelassen, die gerade kippt«, so Poschardt. »Das passiert seit Jahren«, korrigiert ihn Spinner.

Bilder der Hamas-Massaker zeigen?

Auch die Zumutbarkeit von Bildern ist Thema. Das, was in den Videos wie aus Kfar Aza und Be’eri zu sehen sei, bringe den Betrachter an Grenzen, sagt Engel und berichtet, dass Bundespräsident Steinmeier nach zehn Minuten abgebrochen habe, als ihm auf seiner Israel-Reise ein 40-minütiger Zusammenschnitt gezeigt wurde. »Danach ist man nicht mehr derselbe Mensch«, so Engel. Es sei die Entscheidung jeder einzelnen Redaktion, wie mit den Bildern umzugehen sei. Bei der Jüdischen Allgemeinen habe man sich dagegen entschieden, sie zu zeigen.

Wittwer pflichtet ihm bei. Die Angst sei ein Ziel der Terroristen, und die sollen die Filme bewirken, die die Terroristen von den eigenen Taten aufgenommen haben. »Wenn wir sie zeigen, übernehmen wir deren Inszenierung.« Doch es sei wichtig, dass Journalisten sie sehen.

Das ist der Übergang zum Umgang mit Quellen, und Poschardt sagt: Wer die Zahlen des »Gesundheitsministeriums der Hamas« als Quelle nehme, sei eine journalistische Witzfigur. »Das ist grotesk und hat auch keine Unschuld, wenn man das tut.« Dass Fehlinformationen, wie über den fälschlicherweise der IDF zugeschriebenen Beschuss des Al-Ahli-Krankenhauses, einfach übernommen werden, liege daran, dass es in das Narrativ passe, sagt Engel. Ein Narrativ, das sich bis heute fortsetze.

Verantwortlich machen die Panelisten neben einem zunehmend schlecht versteckten Bias, dass in Redaktionen gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen werde. »Ich vermute, die sprachliche Präzision wird  nicht eingefordert«, sagt Wittwer, und teilweise würden Fehler nicht korrigiert. Sie sehe mangelnde Sensitivität, fehlendes Bewusstsein und Unwissen.

»Ich glaube nicht an die Logik von Zufällen«, reagiert Poschardt. »Nur beim ersten Mal.« Das sei Strategie, wenn man sich die Bildsprache des Narrativs vom »bösen Mächtigen« ansehe, die wir immer wieder vorgesetzt bekommen. Und Engel betont: »Das ist ein Krieg zwischen Gut und Böse. Wenn Israel diesen Krieg verliert, existiert es nicht mehr«, das habe sich unter den Journalistenkollegen in Deutschland noch nicht herumgesprochen.

»Eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge«

Nach einem erschaudernden Blick auf die Berichterstattung in Großbritannien, wird Engel kurz emotional: Das Klima sei international nicht nur rau, es sei der Horror. »Wir sind 1400 Juden hier auf dem Gemeindetag, und wir fühlen uns alleingelassen.« Große, traurig-wütende Zustimmung aus dem Saal. Als Chefredakteur fügt er hinzu »Journalisten müssen sich zu nichts bekennen, aber sie müssen fair sein.«

Bei den sozialen Medien sind sich alle einig, dass die Situation längst eskaliert ist. Die Kanäle, die mehr Reichweite haben als alle großen deutschen Tageszeitungen und Magazine zusammen, ermöglichten keine Debatte mehr. Das sei nicht Information, sondern Propaganda, aber für viele junge Menschen die einzige Informationsquelle, so Wittwer.

Aus dem Publikum meldet sich die Journalistin Esther Schapira. Es sei nicht nur das Mindset, sagt sie, schlimmer noch seien die halben Wahrheiten, mit denen wir zu tun haben. Denn »wie die chassidische Weisheit sagt: Eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge«. Das Panel bricht auf und Zuhörer, die bereits immer wieder dazwischengerufen haben, machen ihrer Wut und Sorge über die Medien Luft. Und die sind groß. »Es versteht niemand, dass es uns alle angeht«, ruft jemand, und Spinner antwortet ebenso emotional: »Aber es können nicht nur wir sagen, dass es so ist.« 

Gewinner gibt es am Ende keine. Aber Hoffnung im Kleinen: »Ich bin gekommen, weil es mir wichtig ist«, betont Wittwer ganz am Ende. Das ist ein Anfang. Und das Panel hoffentlich eine Motivation.

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