Chanukka

Licht in Zeiten des Terrors

Schutz für Chanukka: Ein Polizist bewacht das Jüdische Museum in Berlin. Foto: dpa

Es ist wieder so weit: Die jüdischen Gemeinden laden zum Lichterzünden ein. Vor Rathäusern, auf zentralen Plätzen in den Innenstädten und in belebten Fußgängerzonen stehen meterhohe Leuchter meist direkt neben den Weihnachtsbäumen. Ein Rabbi wird auf der Hebebühne nach oben gebracht, wo er laut die Segenssprüche rezitiert. Danach spricht der Bürgermeister besinnliche Worte, ganz am Ende wird getanzt und Glühwein getrunken. Chanukka sameach, ein fröhliches Fest. Manch einen beschleicht jedoch angesichts der aktuellen Terrordrohungen ein mulmiges Gefühl: Ist hier wirklich alles sicher, oder sollten wir lieber nur zu Hause feiern?

Vergleicht man Chanukka mit den anderen jüdischen Festtagen, so fällt auf, dass das jüdische Lichterfest als einziges in der Öffentlichkeit gefeiert werden muss, zumindest in der Gruppe. Allerdings hat der Einzelne seine Pflicht nicht erfüllt, wenn er lediglich bei so einer Großveranstaltung dabei ist und brav Sufganiot isst. Auch zu Hause gilt es, die Menora zu zünden. Sie muss neben das Fenster gestellt werden, und zwar so, dass alle Passanten sie sehen können. Die Kerzen brauchen aber nur ei-
ne halbe Stunde zu brennen. Außenstehende verwechseln sie leicht mit Schwibbögen. Das ist aber nicht schlimm.

Auf jeden Fall hat Chanukka für alle eine allgemeingültige Botschaft: Es geht um Wunder, Licht und Hoffnung. Die Frage ist nur, wie man diese Botschaft verbreitet.

Riesen-Chanukkiot Weise Führer des Judentums wussten um die Kraft der Gespräche unter vier Augen. Man denke nur an stille Macher von Rabbi Josel von Rosheim bis Heinz Galinski. Unvorstellbar wären früher öffentliche Tanzdarbietungen, Straßenumzüge oder eben jene Riesen-Chanukkiot gewesen. Vielleicht hatte das mit mangelndem Selbstbewusstsein, Duckmäusertum und falscher Scham zu tun? Vielleicht waren sie aber auch einfach nur realistischer.

Eine andere klassisch-jüdische Frage ist, warum wir eigentlich acht Tage die Chanukkalichter zünden? Das Wunder hat doch nur sieben Tage gedauert. Eine beliebte Antwort ist die, dass die fortdauernde Existenz des Judentums ein Wunder für sich ist. Ergibt also wieder acht Tage. Tatsächlich ist es ein Wunder: Die jüdischen Gemeinden in Deutschland gehören weltweit zu denen, die am stärksten wachsen. Noch vor 20 Jahren gab es in vielen Bundesländern überhaupt keine jüdische Infrastruktur. Heute blühen Kindergärten, Schulen und Rabbinerseminare.

Gleichzeitig verblasst immer mehr dieses urjüdische Verhalten einer Minderheit: Bloß nicht auffallen, lieber anpassen, keine Forderungen stellen. Früher haben die Synagogenbesucher ihre Kippa in der Manteltasche aufbewahrt, heute laufen Kinder mit Zizit und Kippot durch die Straßen. Ein schöner Anblick. Wir dürfen stolz sein.

Maos Zur Und doch. In dem kurzen Gebet, das wir vor »Maos Zur« sagen, gibt es eine kleine Textstelle, die häufig überlesen wird: »Es ist uns nicht erlaubt, die Lichter zu benutzen«, heißt es da. Gemeinhin wird der Inhalt so gedeutet, dass es verboten ist, im Licht der Menora zum Beispiel ein Buch zu lesen.

Man kann den Vers aber auch so interpretieren, dass es sich nicht ziemt, aus dem Chanukkafest ein Spektakel zu machen. Es darf kurz auf die Auswüchse rund um Weihnachten verwiesen werden. Das gleiche Schicksal sollte den kleinen Lichtlein erspart bleiben.

Wir leben in einer Zeit des Terrors. Die Bedrohung ist vorhanden, auch wenn man sie kaum fassen kann. Der Bundesinnenminister hat zur allgemeinen Vorsicht aufgerufen. Wir hören von vereitelten Terrorakten, von fehlgezündeten Bomben und sehen die Absperrungen rund ums Kanzleramt in Berlin. Die Medien warnen vor Terror wie in Mumbai. Dort war vor zwei Jahren, zu Beginn des Chanukkamonats Kislew, auch eine jüdische Einrichtung Ziel brutaler Angriffe. Wir hoffen, die Sicherheitsdienste mögen ihre Arbeit gut verrichten. In diesen Tagen gerät die Gewissheit, dass man grundsätzlich nicht gefährdet ist in Deutschland, ins Wanken. Wir wissen, dass unsere Gemeindehäuser besonders geschützt werden. Eine jüdische Veranstaltung wird nie wieder ohne Sicherheitskräfte ablaufen. Das beruhigt. Aber es beunruhigt auch.

Judäa In der Chanukkageschichte gibt es zwei Lager. Die einen verschanzen sich in den Höhlen Judäas. Dort lernen sie weiter Tora und halten die Gebote. Dann sind da aber auch Juden, die sich zusammenraffen und gegen ihre Widersacher kämpfen. Gleiches begegnet uns heute: Die einen kuschen, die anderen zeigen sich selbstbewusst auf der Straße und zünden die Lichter.

Doch der Graben zwischen Mut und Übermut ist schmal. Ist heute vielleicht der richtige Zeitpunkt, die jüdischen Festtage ein wenig stiller zu begehen und ein paar zugesicherte Rechte nicht in Anspruch zu nehmen?

Hoffen wir – gleichgültig, ob wir nun drinnen oder draußen feiern – auf ein friedliches Chanukkafest.

Der Autor ist Lehrer und Publizist in der Schweiz.

Florida

»Die Zeit der ungestraften Israel-Boykotte ist vorbei«

Der US-Bundesstaat geht gegen Israel-Boykotteure weltweit vor: Florida verbietet seinen öffentlichen Einrichtungen die Zusammenarbeit mit Regierungen, Universitäten und Unternehmen, die BDS propagieren

von Michael Thaidigsmann  19.10.2025

»Brandmauer«

Internationales Auschwitz Komitee empört über neue Diskussion

Früherer einflussreiche Unionspolitiker hatten sich für eine neue Strategie im Umgang mit der AfD ausgesprochen

 19.10.2025

Schwerpunkt-Thema

Wie stark bleibt der Antisemitismus?

Die Zahlen von judenfeindlichen Vorfällen sind hoch. Fachleute zeigen sich abwartend bis skeptisch, wie die weitere Entwicklung sein wird

von Leticia Witte  19.10.2025

Berlin

Bündnis gegen Antisemitismus übergibt Aktionsplan an Bundestag

Mehr als 250 Organisationen und Prominente aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wenden sich gegen Judenhass – und an die Politik

 19.10.2025

Washington

US-Außenministerium warnt vor Angriffsplänen der Hamas

Die USA hätten die Garantiemächte des Gaza-Friedensplans über »glaubwürdige Berichte« informiert, die auf eine Verletzung der bestehenden Waffenruhe hindeuteten

 19.10.2025

Medien

Merz: Habe mich mit Begriff Staatsräson immer schwergetan

Den Begriff in Bezug auf das deutsche Verhältnis zu Israel hat die damalige Kanzlerin Angela Merkel geprägt. Ihr Nachfolger erklärt nun, wie er dazu steht

 19.10.2025 Aktualisiert

Israel

Warum ich meine gelbe Schleife nicht ablege

Noch immer konnten nicht alle Angehörigen von Geiseln Abschied von ihren Liebsten nehmen

von Sophie Albers Ben Chamo  17.10.2025

Tel Aviv/Birmingham

Ex-Geisel zu Ausschluss von Maccabi-Fans: »Schämt euch!«

Emily Damari kritisiert den Ausschluss von Fans des Fußballvereins Maccabi Tel Aviv vom Europacupspiel bei Aston Villa. Sie spricht von einer »unerhörten Entscheidung«

 17.10.2025

Berlin/Ankara

Wadephul setzt auf Wiederannäherung von Türkei und Israel

Der deutsche Außenminister ist zum Antrittsbesuch in Ankara eingetroffen. Er sieht sich in einer Rolle der klassischen Diplomatie. Das gilt auch für das schwierige Verhältnis des Gastgebers zum jüdischen Staat

 17.10.2025