Antisemitismus

Kultivierter Judenhass

Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, warnte vor dem steigenden Antisemitismus Foto: picture alliance / CHROMORANGE

»Der Horror setzt sich fort«, bringt Claudia Roth (Grüne) die Ereignisse der vergangenen Monate hierzulande auf den Punkt. »Zwar war der Antisemitismus schon vor dem 7. Oktober besorgniserregend, doch nahm er danach ein erschreckend hohes Ausmaß an«, so die Kulturstaatsministerin anlässlich des Fachgesprächs im Ausschuss für Kultur und Medien des Bundestages mit dem Arbeitstitel »Aktivitäten der Bundesregierung zur Förderung jüdischen Lebens und zur Bekämpfung des Antisemitismus im Kulturbereich«, das am Mittwoch stattfand. 

Es ist bereits das zweite Mal, dass Abgeordnete der im Parlament vertretenen Parteien sowie geladene Experten in dieser Form zusammenkamen, um sich über dieses Thema auszutauschen und den Verantwortlichen kritische Fragen zu stellen. Denn offensichtlich gibt es im Kulturbereich ein handfestes Problem, und das lautet Antisemitismus. Dieser beginnt mit der Ausgrenzung und dem Boykott von Künstlern aus Israel und reicht über das Reproduzieren judenfeindlicher Ressentiments bis hin zum Abfeiern des Massakers, das die Hamas verübt hatte, und gelegentlichen physischen Attacken.

Selbstverständlich handele es sich beim Antisemitismus um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. »Schließlich wurde Lahav Shapira ja nicht von einem Sänger oder einer Galeristin ins Gesicht getreten«, betont Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung. Nur zeige sich dieses im Kulturbetrieb derzeit gerade besonders auffällig. »Dennoch reicht es nicht, das Problem Antisemitismus in den Feuilletons abzuhandeln.« Denn der Kulturbetrieb habe mit dazu beigetragen, dass ein Klima entstehen konnte, in dem – gerne mit dem Hinweis auf Israel – Juden entmenschlicht würden. »Kultiviert verpackter Hass, der als freie Meinungsäußerung daherkommt«, so Klein weiter.

»Kulturräume sollen Safe Spaces sein«, forderte denn auch Claudia Roth und appellierte an die kuratorische Verantwortung aller Institutionen im Kulturbereich. Dass es in der Kunstwelt mit der Sicherheit für Juden – Stichwort documenta 15 – aber schon länger nicht mehr gut bestellt sei, darauf wies Daniel Botmann hin. »Das, was sich über Jahre normalisierte, wo sich die Grenzen des Sag- und Zeigbaren Stück für Stück verschoben, hat sich nach dem 7. Oktober in seiner geballten Kraft gezeigt«, so der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland. 

Vor allem die Deutung des Rechts auf Kunstfreiheit und des Kampfs gegen Antisemitismus als Gegensätze müsse ein Ende nehmen, lautet eine seiner Forderungen an den Kunst- und Kulturbetrieb. »Der Kampf gegen Antisemitismus und die Kunstfreiheit sind miteinander im Einklang stehende Verfassungsprinzipien, die als solche selbstverständlich nebeneinanderstehen müssen«, so Botmann weiter. »Wenn in Kunst und Kultur wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen dem Antisemitismus nicht entschieden und konsequent begegnet wird, werden die sicheren Räume für Juden immer enger, bis sie komplett aus ihnen verdrängt werden.«

Jüdinnen und Juden sind im Kulturbereich mit einer radikalen Form von Empathie- und Solidaritätsverweigerung konfrontiert, die bei vielen alte Ängste weckt, ergänzt Marina Chernivsky. »Wir kennen das noch sehr genau aus der Zeit des Nationalsozialismus«, so die Leiterin von Ofek – Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung. Für die Expertin handelt es sich bei dem Antisemitismus um ein strukturelles Problem, das entsprechend auch strukturelle Lösungen braucht. 

»Mit Dialogprojekten oder Bildungsreisen kann es nicht gelöst werden.« Um überhaupt Fortschritte zu erzielen, müsse man ebenfalls anerkennen, dass Antizionismus und Antisemitismus eng miteinander verwoben sind. Wer glaubt, da auseinanderdividieren zu können, ist zum Scheitern verurteilt. Zugleich plädiert sie für eine gezielte Sensibilisierung von Verantwortlichen im Kulturbereich, damit in den Antidiskriminierungs- und Awarenesskonzepten von Institutionen endlich auch der Antisemitismus miteinbezogen wird. 

Meron Mendel dagegen warnt vor einer »Verengung der Meinungskorridore«. Der Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank spricht sich deshalb gegen Klauseln aus, die öffentlich geförderte Einrichtungen im Kulturbereich zu einem Verhaltenskodex verpflichten würden, der alles, was der Boykottbewegung BDS nahesteht, explizit ausschließt. Das würde einem Versuch gleichkommen, »Feuer mit Benzin« zu löschen und ohnehin marginalisierte Stimmen weiter verdrängen. »Wir brauchen eine Kultur des Vertrauens statt einer Kultur des Verdachts.«

«Stimme der verstummten Millionen»

Anita Lasker-Wallfisch blickt ernüchtert auf die Welt

Sie gehörte dem Mädchen-Orchester von Auschwitz an, überlebte das Lager und später das KZ Bergen-Belsen. Am 17. Juli wird die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch 100. Und ist verzweifelt angesichts von Antisemitismus, Rechtsruck und Krieg, sagt ihre Tochter

von Karen Miether  03.07.2025

Janusz-Korczak-Preis

»Eine laute Stimme für Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt«

Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann wurde mit dem Janusz-Korczak-Preis für Menschlichkeit ausgezeichnet. Die Laudatio hielt der Professor für Internationale Politik und Konfliktexperte Carlo Masala. Die Rede im Wortlaut

von Carlo Masala  03.07.2025

Magdeburg

Batiashvili und Levit mit Kaiser-Otto-Preis ausgezeichnet

Der Kaiser-Otto-Preis ist die höchste Auszeichnung der Stadt Magdeburg. Er wurde im Jahr 2005 anlässlich des 1.200-jährigen Stadtjubiläums zum ersten Mal verliehen. In diesem Jahr ging er an zwei Künstler, die sich gesellschaftlich engagieren

von Oliver Gierens  03.07.2025

Ravensbrück

KZ-Gedenkstätte erhält 207 Interviews mit Überlebenden

Grimme-Preisträgerin Loretta Walz führte über 30 Jahre Gespräche mit den Überlebenden, nun übergab sie den letzten Teil der Sammlung

von Daniel Zander  03.07.2025

Geschichte

Rechts und links: Wie die AfD ein falsches Goebbels-Zitat verbreitet

Ein Faktencheck

 02.07.2025

Reaktionen

Massive Kritik an Urteil über Charlotte Knoblochs Ex-Leibwächter

Der Mann bewachte die Präsidentin der IKG München, obwohl er sich privat judenfeindlich und rassistisch äußerte. Für das Verwaltungsgericht nicht genug, um ihn aus dem Polizeidienst zu entlassen

 02.07.2025

Kommentar

Justiz: Im Zweifel für Antisemitismus?

Ein Verwaltungsgerichtsurteil lässt große Zweifel aufkommen, dass es alle mit der Bekämpfung von Antisemitismus unter Beamten ernst meinen

von Michael Thaidigsmann  02.07.2025

Australien

Zwei Krankenpfleger, die damit drohten, jüdische Patienten zu töten, haben Arbeitsverbot

Im Februar sorgte ein TikTok-Video für Abscheu und Empörung, in dem zwei Krankenpfleger ihrem blanken Judenhass freien Lauf ließen. Nun stehen sie vor Gericht

 02.07.2025

Nach Skandal-Konzert

Keine Bühne bieten: Bob-Vylan-Auftritt in Köln gestrichen

Die Punkband hatte beim Glastonbury-Festival israelischen Soldaten den Tod gewünscht

 02.07.2025