Redezeit

»Konstruierte Vorwürfe«

»Eine besondere Verantwortung gegenüber Israel«: Sahra Wagenknecht Foto: imago

Frau Wagenknecht, diverse Politiker der Linken sind in jüngster Zeit immer wieder mit antisemitischen Positionen und Aktionen aufgefallen. Wie passt das mit der antifaschistischen Ausrichtung Ihrer Partei zusammen?
Die Linke setzt sich aktiv gegen Rassismus und Antisemitismus ein. In der Partei haben antisemitische Positionen keinen Platz. Das haben wir wiederholt und unmissverständlich klargemacht.

Eine aktuelle Studie der Antisemitismusexperten Samuel Salzborn und Sebastian Voigt indes attestiert der Linken, dass antisemitische Positionen in der Partei weit verbreitet sind. Wie stehen Sie zu diesem Befund?
Die von Ihnen erwähnte Studie setzt Kritik an Israel mit Antisemitismus gleich. Das ist polemische Stimmungsmache und verfolgt allein den Zweck, die Linke zu diskreditieren. Die Untersuchung unterstellt mir beispielsweise Scheinheiligkeit, weil ich mich zwar vor den Opfern der Schoa verneige, jedoch dem israelischen Staatspräsidenten nach einer – wie ich finde, in Teilen sehr problematischen – Rede stehende Ovationen versage. Daraus einen Antisemitismus-Vorwurf zu konstruieren, ist unerträglich und zudem einfach unseriös.

Die Linke-Parteiführung erklärt regelmäßig, dass Antisemitismus keine vertretbare Position der Linkspartei sei. Faktisch aber stellt sie sich – dies nur ein Beispiel von vielen – auch nach der umstrittenen Teilnahme von Inge Höger, Annette Groth und Norman Paech an der von radikalen Islamisten initiierten Gaza-Flottille klar und deutlich hinter ihre Mitglieder. Warum?
Die Gaza-Flottille wurde von einem breiten humanitären internationalen Bündnis getragen. Ihr Ziel war es, Öffentlichkeit herzustellen und durch einen Bruch der Blockade die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen zu lindern. Bekanntlich wurde das Schiff in einer Kommandoaktion der israelischen Armee, bei der mehrere Zivilisten getötet wurden, gestürmt und an der Weiterfahrt gehindert. Unabhängig von der eigenen persönlichen Entscheidung, an der Flottille für Gaza teilzunehmen oder nicht, halte ich es für angemessen, dass Die Linke sich mit Mitgliedern, die sich an der Fahrt nach Gaza friedlich beteiligt haben, solidarisiert.

Wann macht sich Die Linke zwecks Protestaktion statt nach Gaza auf den Weg in Richtung Iran, China, Syrien oder Darfur, wo die Forderungen des Volkes nach Einhaltung der Menschenrechte blutig im Keim erstickt werden?
Die Linke setzt sich weltweit für eine friedliche Bewältigung von Konflikten ein. Im Gegensatz zu anderen Parteien macht sich die Linke auch stark für Menschenrechte beispielsweise in Ländern wie Saudi-Arabien, an denen aufgrund wirtschaftlicher Interessen kaum Kritik geübt wird.

Würden Sie sich persönlich an der geplanten Neuauflage einer Gaza-Flottille beteiligen?
Nein.

Die Linkspartei in Duisburg und Bremen ruft zum Boykott israelischer Waren auf, Hermann Dierkes, Fraktionschef der Linken in Duisburg, bezeichnet das Existenzrecht Israels vor laufender Kamera als »läppisch« - in anderen Parteien würden Mitglieder deshalb ausgeschlossen werden. Ist in der Linken Antisemitismus im Gewande des Antizionismus salonfähig geworden?
Antisemitismus wird bei uns nicht geduldet. Der Parteivorstand hat dies in seiner letzten Sitzung erneut bekräftigt und zugleich betont, dass das Existenzrecht Israels nicht relativiert werden darf. Zugleich wurde beschlossen, dass Die Linke Boykottaufrufe für israelische Waren nicht unterstützt. Diese Resolution wurde ohne Gegenstimme verabschiedet.

Wo endet Ihrer Ansicht nach legitime Kritik am jüdischen Staat und wo beginnt für Sie Antisemitismus?
Kritik an der israelischen Regierungspolitik ist nicht gleichzusetzen mit Antisemitismus.

Haben Sie Verständnis dafür, dass die Bundestagsabgeordnete Inge Höger an Veranstaltungen teilnimmt, in deren Rahmen auch antisemitische Parolen skandiert werden und die Vernichtung Israels gefordert wird?
Mir ist nicht bekannt, dass Inge Höger an dergleichen Veranstaltungen teilnimmt, und ich kann es mir auch nicht vorstellen.

Das Existenzrecht Israels ist Teil der deutschen Staatsräson. Gilt das auch für Die Linke?
Wie bereits erwähnt, hat der Parteivorstand sich gerade erst in der vergangenen Sitzung erneut eindeutig zum Existenzrecht Israels bekannt. Durch die barbarischen Verbrechen, die Jüdinnen und Juden während der Zeit des deutschen Faschismus erleiden mussten, ergibt sich eine besondere Verantwortung gegenüber Israel. Gleichzeitig setzt sich Die Linke basierend auf den Grenzen von 1967 für die Schaffung eines palästinensischen Staates als Grundlage eines dauerhaften Friedens in Nahost ein.

Früher haben deutsche Juden traditionell rot gewählt, inzwischen entscheiden sie sich mehrheitlich für die CDU. Aus welchem Grund könnte Ihre Partei für Juden attraktiv sein?
Die Linke steht für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit, für Umverteilung, zivile Konfliktlösungen, nachhaltiges Wirtschaften in intakter Umwelt, für die Durchsetzung der Menschenrechte und eine Wirtschaftspolitik jenseits des Kapitalismus. Sie richtet sich damit an alle Menschen.

Wie würde sich die Israel- und Nahostpolitik einer deutschen Regierung ändern, an der die Linkspartei beteiligt wäre?
Entsprechend ihrer Programmatik wird sich Die Linke immer in der Frage Nahost für eine Konfliktbeilegung auf dem Verhandlungswege einsetzen, um eine dauerhafte und gerechte Friedenslösung zu erreichen, die für alle Konfliktbeteiligten tragbar ist und stabile Entwicklungsperspektiven bietet. Wir gehen davon aus, dass sich dies nur im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung wird erreichen lassen und setzen uns für eine Friedenslösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 ein.

Kritik von Ihrer Partei im Allgemeinen und von Ihnen persönlich an Herrschern wie Ahmadinedschad oder Gaddafi sucht man vergebens. Das demokratische Israel hingegen wird von der Linken geradezu obsessiv angegangen. Warum wird eine vermeintliche Kriegspolitik Israels an den Pranger gestellt und zum Beispiel die reale des Iran nicht?
Das ist nicht richtig. Die Linke äußert sich kritisch auch zu Ahmadinedschad und Gaddafi. Im Gegensatz zur rot-grünen und schwarz-gelben Regierung waren wir im Übrigen stets dagegen, Libyen aufzurüsten und zur Festung gegen afrikanische Flüchtlinge nach Europa aufzubauen. Was die Frage der Kriegspolitik angeht, wendet sich Die Linke grundsätzlich gegen Kriegsdrohungen und -szenarien. Allerdings war der Iran meiner Kenntnis nach in jüngerer Geschichte nur an einem Krieg beteiligt, nämlich dem Ersten Golfkrieg, der 1980 mit einem Angriff Saddam Husseins, unterstützt von den westlichen Staaten, auf den Iran begann.

Staaten wie China, Russland oder Saudi-Arabien sind für Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht wesentlich bedeutsamer als Israel. Dennoch stehen bei der Linken stets Israel und die USA im Zentrum der Vorwürfe. Warum misst Ihre Partei mit zweierlei Maß?
Die Linke setzt sich für eine gerechte Weltwirtschaft und für Frieden und Abrüstung ein. Unsere Kritik richtet sich gegen eine Politik, die dem entgegensteht. Leider ist es so, dass gerade die USA und ihre Verbündeten, darunter auch die EU, in den vergangenen Jahren eine massive Kriegspolitik vorangetrieben haben. Jugoslawien, Afghanistan, Irak, jetzt Libyen – statt nach friedlichen Wegen zu suchen, Konflikte zu lösen, werden Angriffskriege geführt. Selbstverständlich muss Die Linke das kritisieren. Im Übrigen ist es die Bundesregierung, die mit zweierlei Maß misst. Saudi-Arabien muss trotz gravierendster Menschenrechtsverletzungen mit keiner Kritik rechnen, sondern kann auf beste wirtschaftliche und politische Beziehungen vertrauen. Ein weiteres Beispiel ist auch die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung, mit der sie nicht nur Saudi-Arabien, sondern über Jahre auch die diktatorischen Regierungen in Nordafrika gestützt hat, deren Sturz sie jetzt begrüßt.

Nachdem Schimon Peres im vergangenen Jahr im Bundestag bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus eine Rede gehalten hatte, sind Sie demonstrativ sitzen geblieben. Dafür wurden Sie von der NPD gelobt. Würden sie heute noch einmal genauso handeln?
Ich bin zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus selbstverständlich aufgestanden. Ich habe nur Schimon Peres keine stehenden Ovationen gezollt, da er seine Rede als israelischer Staatspräsident auch dazu genutzt hat, für einen Krieg gegen den Iran zu werben. Ich halte es weiterhin für richtig, ihm dafür keinen Beifall zu spenden. Zur NPD nur so viel: Ich bin für ein Verbotsverfahren gegen diese antisemitische und rassistische Partei.

Woran haben Sie damals Anstoß genommen?
Die Rede von Peres, in der er eindrucksvoll seine persönliche Geschichte und das Schicksal seiner Familie geschildert hat, war sehr bewegend. Doch die Passagen, in denen er auf den Iran zu sprechen kam und die nur als eine Aufforderung zu kriegerischen Aktionen gegen Teheran auf Grundlage unbewiesener Behauptungen zum Atomwaffenprogramm verstanden werden konnten, fand ich inakzeptabel. Ich fühlte mich dabei stark an die Vorbereitungsphase des Krieges gegen den Irak erinnert. Für mich steht außer Frage, dass ein Krieg gegen den Iran keine Lösung sein kann, sondern im Gegenteil zu unsagbarem Leid und Elend führen und eine ohnehin brisante Weltregion weiter destabilisieren wird – mit unabsehbaren Folgen.

Sie sprechen Israel zuweilen implizit ab, dass eine Demokratie sei. Woran machen Sie das fest?
Es steht zu hoffen, dass es in der Region neben Israel bald auch weitere Staaten geben wird, die nicht diktatorisch regiert werden, sondern demokratisch verankerte Gemeinwesen haben. Allerdings stehen alle Länder vor großen Herausforderungen, was die Umsetzung der demokratischen Prinzipien betrifft. Es gehört zu den Grundlagen der Demokratie, dass gleiche Rechte für alle gelten. Dieses Prinzip nicht nur auf dem Papier zu verankern, sondern in der Realität durchzusetzen und zu gewährleisten, ist eine dringliche Aufgabe, nicht nur für die Staaten im Umbruch in Nordafrika und Nahost, sondern auch für Israel.

(Die Fragen wurden schriftlich gestellt. Mitarbeit: Stefan Laurin)


Sahra Wagenknecht wurde 1969 in Jena geboren. Die 42-jährige Politikerin ist seit einem Jahr stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei Die Linke. Lange galt Wagenknecht als Vorzeigefrau der Kommunistischen Plattform, einer orthodoxen Richtung am Rand der Partei, doch ihre Mitgliedschaft dort ruht seit Februar 2010. Wagenknecht sitzt für die nordrhein-westfälische Linke im Deutschen Bundestag und ist wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Gerade ist von ihr erschienen: »Freiheit statt Kapitalismus« (Eichborn).

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