Nordrhein-Westfalen

Keine Entwarnung

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) Foto: imago

Nordrhein-Westfalen

Keine Entwarnung

Die Zahl antisemitischer Straftaten ist gesunken. Doch Angriffe auf Juden nahmen zu

von Stefan Laurin  18.06.2020 10:47 Uhr

Es waren gute Zahlen, die der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul in der vergangenen Woche bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2019 verkünden konnte.

Im Vergleich zum Vorjahr war die politisch motivierte Kriminalität in NRW leicht von 6238 Straftaten im Jahr 2018 auf 6032 zurückgegangen. Die Anzahl der Gewaltdelikte durch Rechtsradikale sank gegenüber dem Vorjahr sogar um 27,2 Prozent, und es gab auch weniger antisemitische Straftaten: Sie gingen von 350 im Jahr 2018 auf 315 zurück, ein Rückgang um zehn Prozent.

widerspruch Doch beachtlich ist die Zahl nur auf den ersten Blick. Im März gab die nordrhein-westfälische Landesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage Zahlen heraus, die im Widerspruch zu jenen stehen, die im Verfassungsschutzbericht verkündet wurden.

Die Fallzahlen, die im Verfassungsschutzbericht genannt werden, beziehen sich auf alle antisemitischen Straftaten.

Demnach stieg die Zahl der »Straftaten zum Nachteil von Personen jüdischen Glaubens oder jüdischen Einrichtungen« zwischen 2017 und 2019 von zwölf auf 35 – was mehr als eine Verdoppelung bedeutet.

Auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen klärte das Innenministerium NRW den scheinbaren Widerspruch auf. Die Antwort auf die Kleine Anfrage beziehe sich lediglich auf Angriffe zum Nachteil jüdischer Einrichtungen, wie zum Beispiel Synagogen »sowie auf alle Personen, die erkennbar mosaischen Glaubens sind. Das heißt, die Personen müssen angeben, dass sie jüdisch sind oder durch ihr Äußeres, zum Beispiel durch das Tragen einer Kippa, als solche zu erkennen sein«.

FALLZAHLEN Die Fallzahlen, die im Verfassungsschutzbericht genannt werden, bezögen sich indes auf alle antisemitischen Straftaten. »Dies können auch Straftaten sein, die sich ganz allgemein gegen Juden richten und nicht zum Nachteil einer jüdischen Einrichtung oder einer Person mosaischen Glaubens begangen wurden.« Gemeint sind damit zum Beispiel Propagandadelikte wie antisemitische Schmierereien und das Rufen entsprechender Parolen auf Demonstrationen.

Was Demonstrationen und das Vorgehen gegen die in Städten wie Dortmund lange Zeit sehr offen auftretende Nazi-Szene betrifft, hat das Land NRW unter Innenminister Reul tatsächlich einen härteren Kurs gefahren, der nur daran leidet, dass die Gerichte immer wieder die Polizei stoppen.

So wollte die Dortmunder Polizei eine Wand im von zahlreichen Rechtsradikalen bewohnten Stadtteil Dorstfeld, auf die immer wieder Nazi-Parolen gesprüht wurden, durch Videokameras überwachen. Da das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen keinen Kriminalitätsschwerpunkt erkennen konnte, untersagte es das Vorhaben.

NAZI-SZENE Trotzdem bekommt die Polizei allmählich die größte Nazi-Szene Westdeutschlands in den Griff: Zahlreiche Dortmunder Nazi-Aktivisten konnten dank der Ermittlungsarbeit der Polizei in den vergangenen Monaten zu teilweise mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden, was offensichtlich eine abschreckende Wirkung auf die Szene hat.

Antisemiten suchen sich ihre Opfer gezielter aus.

Doch wo Antisemitismus nicht so offensichtlich auftritt wie bei Kundgebungen und Demonstrationen, hat sich die Lage verschlechtert, wie die Zahlen belegen: In NRW werden immer häufiger Juden und jüdische Einrichtungen angegriffen. Der Antisemitismus zeigt sich weniger offen auf der Straße, Antisemiten hingegen suchen sich ihre Opfer gezielter aus.

MASSNAHMEN Dabei hat das Land Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren gleich mehrere Maßnahmen gegen Antisemitismus unternommen: Mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wurde eine Antisemitismusbeauftragte berufen, und die demokratischen Fraktionen des Landtags beschlossen 2018, der antisemitischen BDS-Kampagne, deren Ziel die Vernichtung Israels ist, keine landeseigenen Räume mehr zur Verfügung zu stellen. Zahlreiche Städte wie Bochum oder Dortmund schlossen sich dem an und verabschiedeten in ihren Räten ähnliche Beschlüsse.

Für Innenminister Reul sind die Zahlen, die der Verfassungsschutzbericht nennt, nicht beruhigend: »Diese Zahlen sind gut, aber sie sind kein Grund zur Entwarnung. Was uns Sorgen macht, ist nicht so sehr die Quantität, sondern die Qualität.« Und das gilt vor allem für jene Zahlen, die man nicht aus dem Bericht herauslesen kann.

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