Pro & Contra

Ist Cyberwar ein sauberer Krieg?

Pro

Während die ganze Welt darüber spekuliert, ob und wann Israel die iranischen Atomanlagen mit bunkerbrechenden Bomben angreifen wird, ist der Cyberkrieg zwischen beiden Ländern längst in vollem Gange.

2010 griff der Computervirus Stuxnet die iranische Urananreicherungsanlage in Natanz an und senkte die Produktionskapazität der Zentrifugen um 15 Prozent. Ende Mai dieses Jahres infizierte der extrem aufwendig produzierte Virus Flame iranische Computer und spionierte sie aus. Und erst in der vergangenen Woche wurde bekannt, dass iranische Rechner seit acht Monaten einem Cyberangriff durch den Trojaner Mahdi ausgesetzt sind. Was also ist von dieser neuen digitalen Kriegsführung zu halten?

Israel hat alles Recht dieser Welt, sich zu verteidigen. Das iranische Regime fordert immer wieder ganz unverblümt die Vernichtung des jüdischen Staates. Um dies zu erreichen, finanziert Teheran die Terrororganisationen Hamas, Hisbollah und Islamischer Dschihad, deren Hauptziel es ist, möglichst viele Juden zu töten. Israel sei, sagt Ahmadinedschad, nichts weniger als der Satan, die Juden das personifizierte Böse, und der Zionismus gehöre endlich ausgelöscht.

Um Letzteres zu verhindern, sind vonseiten Israels neben Sanktionen, Sabotage und Abschreckungsmaßnahmen freilich auch Cyberwaffen notwendig. Durch Letztere lässt sich das iranische Atomprogramm zwar leider nicht verhindern, aber Computerviren tragen maßgeblich dazu bei, seine Fertigstellung hinauszuzögern.

Denn Stuxnet und Co. sind – auch im Vergleich zu konventionellen Waffen – hocheffektiv. Gezielte »chirurgische Eingriffe« sind durchaus möglich. Die eingangs erwähnten Beispiele zeigen, dass Computerviren schaffen, wozu vor nicht allzu langer Zeit noch Kampfjets nötig waren – sogar ohne Kollateralschäden zu verursachen. Ein weiterer Vorteil ist, dass Cyberwaffen vergleichsweise günstig in der Produktion sind.

Moralische Bedenken beim Einsatz von Computerviren sind fehl am Platz. Im Judentum gibt es eine lange Tradition, wonach es legitim ist, Gefahren abzuwehren und sich selbst zu verteidigen. Und auch vom säkularen Standpunkt aus ist es zulässig, sich zu wehren, wenn man – wie Israel – in seiner Existenz bedroht wird.

Vernichtungsfantasien wie die aus dem Iran haben wir Juden in unserer Geschichte schon einmal gehört. Wir werden nicht ein zweites Mal an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln. Dieses Mal sind wir in der Lage, uns zur Wehr zu setzen – ganz gleich, ob mit konventionellen Mitteln oder mit Cyberwaffen.

Dan Schueftan ist Direktor des Zentrums für Nationale Sicherheitsfragen an der Universität Haifa. Seit drei Jahrzehnten gehört er zu den Beratern der israelischen Regierung. Er war unter anderem für die ehemaligen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin und Ariel Scharon tätig.

Contra

Als im vergangenen Jahr der Computervirus Stuxnet die Zentrifugen zerstörte, mit denen der Iran in Natanz das Uran für sein Atomprogramm anreicherte, schwang in vielen Kommentaren Bewunderung mit: War dies nicht endlich eine Variante der Kriegsführung, mit der man sich geradezu wohlfühlen konnte?

Der Schein, meine ich, trügt. Die Berichte von den zielgerichtet lahmgelegten Uran-Zentrifugen suggerieren bloß, Cyberwaffen würden so etwas wie einen »sauberen Krieg« ermöglichen. Chirurgisch präzise Kampfoperationen also, die nur jenen schaden, die für die kriegerische Auseinandersetzung verantwortlich sind.

Es lohnt, unsere Weisen zu Rate zu ziehen, um die Frage zu beantworten, was von Cyberwaffen tatsächlich zu halten ist. In Sanhedrin (4,5) heißt es: »Wenn einer ein Menschenleben zerstört, so ist es, als hätte er die ganze Welt zerstört.« Als einzige Ausnahme von diesem Gebot gilt die Selbstverteidigung im Falle eines Angriffs. Doch selbst dann schreibt die Tora enorme Umsicht und Zurückhaltung vor. So heißt es im 5. Buch Moses: »Nur einen Baum, von dem du weißt, dass er kein Fruchtbaum ist, darfst du zerstören«.

Der Talmud folgert daraus, dass im Krieg sogenannte Kollateralschäden unbedingt zu vermeiden sind. Dabei wissen wir unterdessen, dass es in jedem Krieg ebenjene Kollateralschäden gibt und keineswegs nur Schuldige zu Schaden kommen.

Von unseren Weisen lässt sich auch lernen, dass wir nicht nur für unsere direkten Taten Verantwortung tragen, sondern auch für die Auswirkungen, die mit einer Waffe verursacht werden, die wir gebaut und in falsche Hände haben fallen lassen. Und Cyberwaffen erreichen ihr Ziel schneller als jede Atomrakete. Anders als diese jedoch können sie rasch in die Hände von Personen gelangen, die sie mit relativ geringem Aufwand modifizieren können, um sie für einen Privatkrieg einzusetzen.

Jeder Einzelne von uns, der einen mit dem Internet verbundenen Computer besitzt, kann so zum Angegriffenen oder unbewussten Mittäter an einer Attacke werden. Die Raketenrampen stehen gewissermaßen in unseren Wohnzimmern.

Die einzig verantwortungsbewusste Schlussfolgerung ist, Cyberwaffen wie Stuxnet und Flame genauso wie Massenvernichtungswaffen umgehend zu ächten und alle Kräfte auf die Schließung von Sicherheitslücken zu vereinen, dank derer sich die Cyberschädlinge in angegriffenen Systemen einnisten können. Dies nicht zu tun und stattdessen weiter den Traum vom sauberen, kollateralschadenfreien Krieg zu träumen, bedeutet ein Spiel mit dem Feuer, das sich schon sehr bald als uneindämmbar herausstellen könnte.

Benjamin Stein ist Unternehmensberater für Informationstechnologie und war lange Zeit als Redakteur diverser Computerzeitschriften tätig. Als Schriftsteller befasst er sich in seinem neuen Roman »Replay« damit, wie der technologische Fortschritt in sein Gegenteil umschlägt und enormen Schaden anrichtet.

Meinung

Wenn deutsche Linke jüdische Selbstbestimmung ablehnen

In einer Resolution delegitimiert die Linksjugend Israel als koloniales, rassistisches Projekt. Dabei ist der Staat der Juden nicht zuletzt eine Konsequenz aus den Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus

von Frederik Schindler  04.11.2025

Auswärtiges Amt

Deutschland entschärft Reisehinweise für Israel

Nach Beginn des Gaza-Krieges hatte das Auswärtige Amt vor Reisen in Teile Israels gewarnt. Dies gilt so nicht mehr. Der Außenminister begründet das mit gewachsenem Vertrauen in den Friedensprozess

 04.11.2025

Würdigung

Margot Friedländer wird mit Sonderbriefmarke geehrt

Wie das Finanzministerium mitteilte, war die Sonderbriefmarke für Friedländer ein »besonderes Anliegen« von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

 04.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  04.11.2025

Gedenkstätten

Gedenkzeichen für jüdische Ravensbrück-Häftlinge

Zur feierlichen Enthüllung werden unter anderem Zentralratspräsident Josef Schuster, die brandenburgische Kulturministerin Manja Schüle (SPD) und der Beauftragte für Erinnerungskultur beim Kulturstaatsminister, Robin Mishra, erwartet

 03.11.2025

Innere Sicherheit

Dschihadistisch motivierter Anschlag geplant: Spezialeinsatzkommando nimmt Syrer in Berlin-Neukölln fest 

Nach Informationen der »Bild« soll der Mann ein Ziel in Berlin im Blick gehabt haben

 02.11.2025 Aktualisiert

Interview

»Wir hatten keine Verwandten«

Erst seit einigen Jahren spricht sie über ihre jüdischen Wurzeln: Bildungsministerin Karin Prien erzählt, warum ihre Mutter davon abriet und wann sie ihre eigene Familiengeschichte erst begriff

von Julia Kilian  02.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Ich kann euch nicht hören

Während im Sudan die schwerste humanitäre Krise der Welt tobt, schweigen die selbst ernannten Menschenrechts-Demonstranten in Europa und auf der Welt

von Sophie Albers Ben Chamo  02.11.2025

Berlin/München

Nach Terror-Skandal beim ZDF: ARD überprüft Mitarbeiter in Gaza

Alle in Gaza tätigen Mitarbeiter hätten versichert, keinerlei Nähe zu Terrororganisationen zu haben, sagt der zuständige Bayerische Rundfunk

 02.11.2025 Aktualisiert