Migration

»Importierter Hass«

»Es geht darum, auf ein Problem aufmerksam zu machen und es anzupacken«: Jens Marco Scherf Foto: Landratsamt Miltenberg

Herr Scherf, Sie haben vor Kurzem in der ZDF-Sendung »Markus Lanz« einen bemerkenswerten Vorfall an einer Berufsschule in Miltenberg geschildert. Was ist dort passiert?
Unsere Berufsschule nahm an dem Projekt »Meet a Jew« des Zentralrats der Juden teil, bei dem es um die Begegnung und den Austausch mit jüdischen Menschen geht. Dabei gab es Widerstand von einigen wenigen, die versuchten, das Projekt ganz zu verhindern. So wollten die Eltern einer muslimischen Schülerin nicht, dass diese daran teilnähme.

Wie wurde darauf reagiert?
Die Schulleitung hat sich durchgesetzt und klargemacht, warum das Projekt stattfindet – und warum es wichtig ist. Wir haben dann aber feststellen müssen, dass auf einige muslimische Schülerinnen Druck von männlichen Familienmitgliedern ausgeübt wurde, sich im Unterricht nicht zu beteiligen, nicht mit Juden zu sprechen. Wir erkennen da ein doppeltes Problem: Einerseits werden Frauen von Männern in ihrem Umfeld, auch von Klassenkameraden, unter Druck gesetzt. Andererseits verbindet sich dieses Verhalten mit offenem Antisemitismus.

Sie waren früher selbst Lehrer und Schulleiter. Kann man solche Einstellungen durch Bildung langfristig ändern?
Man könnte jetzt etwas zynisch sagen, da fügt sich der importierte Antisemitismus zum bestehenden. Mir fallen aber zwei Bereiche ein, in denen man durchaus etwas tun kann. Zum einen sind Projekte wie »Meet a Jew« wichtig, um jüdisches Leben und jüdische Kultur erfahrbar und erlebbar zu machen. Wir haben eine reiche jüdische Geschichte. Das Judentum gehört zu unserer Kultur seit vielen Jahrhunderten dazu. Nehmen Sie nur die Literatur, oder schauen Sie das Leben in unseren Städten und Dörfern vor dem Holocaust an. Die Herausforderung ist es, das alles erfahrbar zu machen. Das geschieht durch Begegnungen, durch das Verlegen von Stolpersteinen und vieles mehr. Und wenn etwas wie an unserer Berufsschule passiert, müssen wir standhaft bleiben. Wir müssen unsere Lehrkräfte ermutigen und ermächtigen, das Thema offensiv anzugehen.

Und zum anderen?
Wir müssen noch mehr darauf schauen, dass wir Zuwanderer tatsächlich integrieren, dass wir mit ihnen im ständigen Austausch bleiben und Parallelgesellschaften verhindern. Denn die bedeuten ja nichts anderes als die Abschottung von Menschen, was wiederum ein Nährboden für Antisemitismus ist. Deshalb sage ich auch klar und deutlich: Wir dürfen uns beim Thema Migration nicht dergestalt überfordern, dass wir gar keine Zeit und Ressourcen mehr haben für die Integration der Zugewanderten.

Ist das nur eine Frage der Ressourcen oder der Zahl derer, die zu uns kommen?
Es ist beides. Zahlenmäßig überfordern wir uns gerade, da uns nicht genug Raum bleibt, die einzelnen Menschen zu integrieren. Bei der Zuwanderung aus Regionen, die wie Syrien oder Afghanistan kulturell gesehen sehr weit weg von uns sind, ist die Integrationsarbeit sehr viel mühsamer, als wenn wir – wie im vergangenen Jahr – 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine aufnehmen. Hinzu kommt, dass wir zuletzt fast unbemerkt erneut eine starke Zunahme der Zuwanderung von Flüchtenden aus Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea und Afrika verzeichnet haben. Wir haben große Mühe, alle Leute menschenwürdig unterzubringen, passenden Wohnraum für sie zu finden und auch, sie ordentlich zu integrieren. Denn Letzteres ist ein mühsamer, anstrengender Prozess. Wir müssen den Menschen nicht nur Sprache und Beruf, sondern auch Werte vermitteln. Dieser Aspekt ist in meinen Augen etwas vernachlässigt worden in den letzten Jahren. Wir haben das häufig auf die Schultern von Ehrenamtlichen ausgelagert.

Findet die eingeforderte Diskussion über Integration nicht schon längst statt?
In meinen Augen nur bedingt. Wir sprechen öffentlich zu wenig über unsere Grundwerte, also darüber, was nicht verhandelbar ist und von jedem und jeder Person hierzulande akzeptiert werden muss. Es geht nicht nur darum, dass sich jemand an die Gesetze in Deutschland hält. Damit ist er nicht automatisch gut integriert. Wir müssen verdeutlichen, was hinter diesen Gesetzen steckt, was unsere Grundwerte sind, zum Beispiel die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Selbstbestimmungsrecht der Frau oder die Achtung vor anderen Religionen, insbesondere für die jüdische Religion und den Staat Israel. Eine solche Debatte täte übrigens der ganzen deutschen Gesellschaft gut.

Würde man damit nicht rechten Kräften in die Hände spielen?
Leider hat sich die AfD des Themas bemächtigt. Dadurch ist die Debatte auf die schiefe Bahn geraten. Das ist schade, denn dadurch werden die vielen gut integrierten Muslime diffamiert. Gerade deshalb dürfen die Parteien, die felsenfest zum Grundgesetz stehen, dieses Thema und das Benennen von Missständen nicht den Rechten überlassen.

Ist die Integration der seit 2015 Zugewanderten gescheitert?
Nein. Ich würde sogar sagen: Sie ist zu drei Viertel gut verlaufen. Auch in meinem Landkreis gibt es sensationelle Beispiele für gelungene Integration. Wir müssen trotzdem schauen, was nicht funktioniert hat und warum das so ist. Es gab Fehlentwicklungen, die wir stoppen und korrigieren müssen – unter anderem durch eine andere Zuwanderungspolitik. Wenn wir Angst vor dem Thema haben, machen wir die rechtsgerichteten politischen Kräfte nur noch stärker. Momentan steckt die Politik in Berlin leider den Kopf in den Sand. Sie lässt uns vor Ort in den Landkreisen und Kommunen im Stich. Aber immerhin steht das Thema jetzt auf der Tagesordnung in Berlin.

Was entgegnen Sie jenen, die nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre Angst haben, das Thema offensiv zu diskutieren?
Es ist ein schwieriges Thema, das verstehe ich. Es geht mir auch nicht darum, Krawall zu schlagen, sondern darum, auf ein Problem aufmerksam zu machen und es anzupacken. Das wird natürlich für einige Parteien, auch meine eigene, ein schwieriger Prozess. Aber wir müssen erkennen, dass Zuwanderung gesteuert und begrenzt werden muss, in einer klar definierten Art und Weise.

Mit dem Landrat von Miltenberg (Bayern) und Grünen-Politiker sprach Michael Thaidigsmann.

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