Als Dani Dayan, der Vorsitzende von Yad Vashem, Anfang 2023 zu Gesprächen nach Berlin kam, hatte er eine Idee mitgebracht: Was, wenn Israels Holocaust-Gedenkstätte ein Bildungszentrum in Deutschland eröffnete? »Die Resonanz, die ich bei meinen Gesprächen mit dem damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz und Oppositionsführer Friedrich Merz bekam, war extrem positiv. Ja, sie waren fast begeistert«, so Dayan gegenüber der »Jüdischen Allgemeinen«.
Die Frage, warum die erste Dependance von Yad Vashem außerhalb Israels ausgerechnet in Deutschland entstehen soll, beantwortet der frühere israelische Generalkonsul in New York, der an diesem Samstag 70 Jahre alt wird, zunächst mit praktischen Argumenten: »Wir sind Europa geografisch näher als Nordamerika. Hinzu kommt: Wir haben gute Beziehungen zu Deutschland und Kooperationen mit dem Bundesbildungsministerium und den Bildungsministerien der 16 Länder.«
Dani Dayan: »Deutschland braucht es«
Doch natürlich geht es nicht nur um Logistik, sondern auch um Symbolik. »Yad Vashem ist die Institution der Opfer und der Überlebenden des Holocaust. Daher hat es ein besonderes Gewicht, ein Bildungszentrum im Land der Täter zu errichten«, meint Dayan. Ein weiterer Grund: »Ich denke, Deutschland braucht es.« Er habe sich nie gescheut, so der gebürtige Argentinier, offen seine Sorgen über den Aufstieg der AfD zum Ausdruck zu bringen. »Ich halte es für eine moralische Schande für Deutschland, dass eine Partei, die klare Wurzeln in der Nazi-Partei hat, 80 Jahre nach der Schoa immer populärer wird.«
Auch Bundesbildungsministerin Karin Prien teilt die Ansicht, dass Deutschland eine solche Einrichtung guttäte. »Junge Menschen wissen zu wenig über den Holocaust, das sehen wir aus aktuellen Studien«, betonte Prien im September.
Das neue Zentrum soll bewusst mehr sein als eine Repräsentanz von Yad Vashem in der Bundesrepublik. Vielmehr soll es nach dem Willen der Gedenkstätte eine aktive Bildungs- und Begegnungsstätte werden, die über das Gastbundesland hinaus Wirkung entfaltet. »Wir wollen dazu beitragen, dass Werte und Fakten in die Zivilgesellschaft hineingetragen werden – zu den jüngeren Generationen und zu jenen Menschen, die vielleicht keinen direkten Zugang zur Geschichte haben«, so Dayan. Er betont: »Wir eröffnen kein Museum, sondern wollen uns in der Bildung engagieren. Bildung ist nämlich das wirksamste Instrument, um etwas zu beeinflussen.«
In der engeren Auswahl sind Sachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen.
Wenzel Michalski, Geschäftsführer des 1997 gegründeten deutschen Freundeskreises von Yad Vashem, definiert als Zielgruppe der neuen Stätte »Lehrer, Polizeibeamte, Richter, Staatsanwälte, Journalisten und Bundestags- und Landtagsabgeordnete sowie deren Mitarbeiter – kurz gesagt diejenigen, die unserer Ansicht nach dafür sorgen können, dass die Geschichte der Schoa weiterverbreitet wird und nicht in Vergessenheit gerät oder verzerrt wird.«
Die Standortfrage soll zeitnah geklärt werden. Mehrere Bundesländer hatten Interesse bekundet, drei wurden nun in die engere Auswahl genommen: Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Anfang Dezember wird eine Delegation von Yad Vashem Düsseldorf, München und Leipzig einen Besuch abstatten, um Liegenschaften zu besichtigen. Falls Sachsen den Zuschlag bekommt, dürfte Leipzig gesetzt sein. Bayern und Nordrhein-Westfalen haben hingegen noch keinen Standort festgezurrt.
Die Kosten übernimmt der deutsche Staat
Bis März soll aber eine Entscheidung getroffen werden, denn, so Michalski: »Wir möchten schon 2027 den Betrieb aufnehmen.« Rund 20 Mitarbeiter sollen beschäftigt werden. Michalski hofft, dass die Eröffnung des Zentrums der Startschuss sein wird für ähnliche Projekte in anderen europäischen Staaten. Für die Standortwahl dürfte das finanzielle Angebot der Länder ein wichtiges Kriterium sein, denn es wird erwartet, dass der deutsche Staat die Kosten vollumfänglich übernimmt.
Das Schaulaufen der Bewerber ist bereits in vollem Gange. Während Nordrhein-Westfalen mit seiner zentralen Lage, hohen Bevölkerungsdichte und der bereits vorhandenen Bildungslandschaft wirbt, führt Ludwig Spaenle (CSU), Antisemitismusbeauftragter und ehemaliger Kultusminister Bayerns, auch geschichtspolitische Argumente an. »Die NSDAP ist in München entstanden, das erste KZ wurde in Dachau errichtet«, sagte Spaenle der »Süddeutschen Zeitung«. Der Freistaat sei für Yad Vashem als Standort auch durch seine jüdische Gemeinschaft besonders geeignet. München ist seit 2023 auch Sitz der aus dem Staatshaushalt geförderten Europäischen Rabbinerkonferenz. Spaenle selbst war vor Kurzem in Israel, um die Werbetrommel zu rühren.
Mit Nordrhein-Westfalen hat Bayern einen ernst zu nehmenden Konkurrenten. Europaminister und Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei Nathanael Liminski sowie Landtagspräsident André Kuper (beide CDU) waren bereits im Oktober zu Gesprächen in Israel. Vergangene Woche brachten die Landtagsfraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zudem einen gemeinsamen Antrag ein. Darin wird die schwarz-grüne Landesregierung aufgefordert, die Bewerbung des Landes »mit Nachdruck zu verfolgen«.
Seminare und Fortbildungen in der Yad-Vashem-Zentrale in Jerusalem soll es aber weiterhin geben. »Ein solches Erlebnis ist einmalig, das kann man nicht ersetzen«, betont Wenzel Michalski. Andererseits sei auch für ihn klar, dass sich nicht jeder eine Reise nach Jerusalem leisten könne. »Deswegen, und weil wir 80 Jahre nach der Schoa und in Zeiten des anwachsenden Antisemitismus noch viel aktiver sein müssen, brauchen wir dieses Bildungszentrum in Deutschland.«
(Mitarbeit: Joshua Schultheis)