Beschneidungsurteil

Höhere Instanz

Kein Fall fürs Strafgericht: Jüdische und muslimische Verbände kämpfen um Rechtssicherheit bei Beschneidungen. Foto: ddp

Albert Meyer hat eine Idee, wie die Brit Mila juristisch folgenlos bleiben könnte. »Eine Jüdin, die hochschwanger ist und einen Jungen erwartet, sollte sich mit einem Eilantrag ans Familiengericht wenden«, schlägt der Rechtsanwalt und frühere Berliner Gemeindevorsitzende vor.

»Dort beantragt sie, dass ihr gestattet wird, eine Beschneidung aus religiösen Motiven durchzuführen.« Wenn das abgelehnt wird, könnte sofort Verfassungsbeschwerde eingelegt werden, und es geschähe das, was die Politik mehrheitlich wünscht: dass nämlich Karlsruhe zu dem umstrittenen Urteil des Landgerichts Köln Stellung nimmt. »Ich könnte mir aber vorstellen«, sagt Meyer, »dass so ein Antrag in Berlin auch durchgeht.«

musterprozess Auch Michael Fürst hält diese Variante für möglich. Der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen ist selbst Rechtsanwalt und überlegt gegenwärtig ebenfalls, wie mit der Brit Mila juristisch vorgegangen werden kann. »Ob der Fall aber als Sprungrevision sofort zum Verfassungsgericht käme, da bin ich mir nicht sicher«, sagt Fürst zur Idee seines Berliner Kollegen. Und er hat einen weiteren Einwand: Er vermutet, dass einem jungen Amtsrichter zu viel zugemutet würde, wenn er diesen Fall behandeln müsste.

Fürst favorisiert ein anderes Modell: ein Musterprozess notfalls bis zur höchsten Instanz. »Es müssten, wenn ein Junge geboren wird, ein jüdisches Elternpaar und ein Mohel oder Arzt dazu bereit sein, da mitzugehen«, sagt Fürst. »Dann übernimmt unser Verband sämtliche anfallenden Kosten, auch wenn es vors Verfassungsgericht kommt.« Dass es so weit gehen würde, vermutet er allerdings nicht.

Vor allem glaubt Fürst, dass das Urteil des Landgerichts Köln, das Beschneidung aus religiösen Motiven als zu bestrafende Körperverletzung begreift, ein »singuläres Urteil« ist. »Das Problem ist, dass es für ein Landgericht viel zu hoch ist. Ein Landgericht kann so einen Fall doch gar nicht angemessen würdigen.«

Das sei nicht nur deswegen so, weil hier Grundrechte abgewogen wurden – Religionsfreiheit und Elternrecht versus körperliche Unversehrtheit –, sondern auch, weil sämtliche Staatsverträge, die die Bundesländer mit den jüdischen Institutionen geschlossen haben, den Gemeinden ausdrücklich die Kultushoheit zugestehen – und davon sei die Brit Mila ein essenzieller Bestandteil.

Unterstützung kommt von den Grünen. Man wolle im Bundestag eine Debatte beginnen, »wie notwendige Schritte zur Schaffung der Rechtssicherheit betroffener Eltern, besonders für Juden, Muslime und das zur Beschneidung fachkundige Personal, aussehen könnten«, heißt es in einem Papier, das unter anderem von der Fraktionsvorsitzenden Renate Künast, dem parlamentarischen Geschäftsführer Volker Beck und dem Vorsitzenden des Kulturausschusses der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sergey Lagodinsky, unterzeichnet ist.

menschenrechte Die Notwendigkeit zu schnellem Handeln besteht nach wie vor. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, erklärte: »Wir raten allen Ärztinnen und Ärzten, wegen der unklaren Rechtslage den Eingriff nicht durchzuführen.« Und die Deutsche Gesellschaft für Urologie teilte mit, sie könne keine Garantie dafür übernehmen, »dass rituelle Beschneidungen strafrechtlich unproblematisch« seien. Immer mehr Ärzte sowie das Israelitische Krankenhaus Hamburg und das Jüdische Krankenhaus in Berlin nehmen keine Beschneidungen mehr vor.

Scharfer Protest formiert sich derweil international. Moshe Kantor, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC), erklärt: »Wir hätten erwartet, dass gerade in Deutschland, wo eine hohe Sensibilität gegenüber solchen Freiheiten zu vermerken ist, dem jüdischen Leben ermöglicht wird, ohne Einschränkungen zu florieren.« Er erinnert daran, dass die jüdischen Riten »durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte geschützt sind«.

Austausch

Ministerin Prien würdigt Deutsch-Israelischen Freiwilligendienst

Sie arbeiten in sozialen und jüdischen Einrichtungen in Israel und Deutschland. Bildungsministerin Prien sagt, warum ein solcher Austausch von jungen Leuten aus ihrer Sicht wichtig ist

von Leticia Witte  16.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Brüssel

EU-Kommission kündigt Vorschläge für Israel-Sanktionen an

Dabei wird es offenbar auch um ein mögliches Aussetzen von Handelsvorteilen gehen

 16.09.2025

Gaza-Flottille

Marlene Engelhorn fährt doch nicht nach Gaza

Entgegen reichenweitenstarken Ankündigungen segelt die Millionenerbin nicht mit. Vom trockenen Wien aus erhebt sie weiter Vorwürfe gegen Israel

von Imanuel Marcus  16.09.2025

Feier

Zentralrat der Juden feiert 75-jähriges Bestehen in Berlin

Der Zentralrat der Juden begeht am Mittwoch in Berlin offiziell sein 75-jähriges Bestehen. Der Bundeskanzler hält die Festrede. Gegründet wurde der Dachverband von 105 Gemeinden am 19. Juli 1950

von Leticia Witte  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Berlin

Wadephul will an Palästina-Konferenz in New York teilnehmen

Der deutsche Außenminister lehnt die Anerkennung eines Staates Palästina weiterhin ab. Bei einem von Frankreich ausgerichteten Treffen zum Thema will er aber dabei sein

 16.09.2025

Berlin

Steinmeier weist polnische Reparationsforderung zurück

Der polnische Präsident Nawrocki bringt das Thema beim Antrittsbesuch erneut vor. Die Antwort des Bundespräsidenten fällt eindeutig aus

 16.09.2025

Celle

Bundesanwalt klagt mutmaßlichen Hisbollah-Helfer an

Dem libanesischen Staatsangehörigen Fadel Z. wird die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen

 16.09.2025