Literatur

Hitlers heimlicher Helfer im Vatikan

Papst Pius XII. in den 1950ern Foto: picture alliance / Farabola/Leemage

Einen Besuch im Archiv verbinden die meisten Menschen nicht mit einem aufregenden Abenteuer. Anders ist das, wenn man im Vatikanischen Apostolischen Archiv das bis vor drei Jahren gesperrte Material zu Papst Pius XII. (1939-1958) einsehen kann. Der US-amerikanische Wissenschaftler David Kertzer gehörte zu den Forschern der ersten Stunde und hat ein Buch über Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht, das jetzt auf Deutsch erscheint.

»Das Schockierendste und Überraschendste war sicherlich die Entdeckung der Geheimverhandlungen, die Pius XII. mit Hitler über dessen persönlichen Gesandten Prinz Philipp von Hessen führte, kurz nachdem Pius XII. 1939 Papst wurde«, sagte Kertzer in einem Blog-Beitrag für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, die sein Werk verlegt. Papst Pius XII. hat kurz nach seiner Wahl auf Initiative von Adolf Hitler mit inoffiziellen Verhandlungen über ein besseres Verhältnis zwischen dem Vatikan und dem »Dritten Reich« begonnen.

Unglaublich Nur waren diese Verhandlungen nach Erkenntnis von Kertzer so geheim, dass selbst der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Diego von Bergen, nichts davon wusste. »Dass der Vatikan diese Gespräche bis zu meiner Entdeckung im neu geöffneten Archiv acht Jahrzehnte lang geheim halten konnte, ist schon unglaublich«, so der Wissenschaftler in dem Blog-Beitrag.

Hitler hatte den hochadeligen Prinz Philipp von Hessen als informellen Gesprächskontakt ausgesucht. Mit gutem Grund, denn Prinz Philipp hatte ein sehr enges, sogar persönliches Verhältnis zu Hitler und Hermann Göring. Da ihm mit seiner Eheschließung mit Mafalda, Tochter des italienischen Königs Viktor Emanuel III., alle Türen in Rom offen standen, setzte der deutsche Diktator den Hessen-Prinzen als Vermittlungsmann zum Duce, dem italienischen Diktator Benito Mussolini, ein - und zum neu gewählten Papst. Prinz Philipp von Hessen war einer von »Hitlers heimlichen Helfern«, die die Historikerin Karina Urbach 2016 in ihrem gleichnamigen Buch beschrieb.

Der US-amerikanische Wissenschaftler David Kertzer hat im Vatikanischen Archiv die Protokolle dieser Treffen entdeckt, die von Mai 1939 bis Anfang 1940 stattfanden, und diese für sein Buch ausgewertet. Die Gespräche wurden auf Deutsch geführt, das Pius XII., der von 1917 bis 1929 Nuntius in Deutschland gewesen war, fließend sprach. Offenbar hatte der Papst dafür gesorgt, dass im Nebenzimmer ein deutscher Geistlicher ein Protokoll anfertigte - ohne dass der Hessen-Prinz davon wusste.

Übereinkunft Der Papst und der Prinz sprachen über die Lage der katholischen Kirche in Deutschland. Pius hoffte auf eine »ehrenvolle Übereinkunft, die religiösen Frieden im Reich herstelle«. Prinz Philipp deutete an, »der Führer sei überzeugt, ihre Gespräche könnten zu einem neuen, überarbeiteten Konkordat mit Deutschland führen, das dann auch Österreich einbeziehe«. 1938 hatte das NS-Regime Österreich in das »Dritte Reich« eingegliedert.

Im März 1940 wurden die bislang hochgeheimen Gespräche auf einer öffentlichen, offiziellen Ebene weitergeführt, als Außenminister Joachim von Ribbentrop zu einem Besuch im Vatikan eintraf. Aber es kam zu keinem Abschluss eines neuen Konkordats, geschweige denn zu einem Religionsfrieden im Deutschen Reich.

Hitler setzte auch weiterhin auf Prinz Philipp von Hessen als Geheimkanal zum Papst. Kertzer konstatiert jedoch in seinem Buch: »Doch erfahren wir selbst aus den neu verfügbaren Dokumenten nicht, weshalb eigentlich Hitler den hessischen Prinzen immer wieder in geheimer Mission zum Papst schickte - außer vielleicht, um diesen hinzuhalten und ruhigzustellen.« Prinz Philipp hat sich selbst in seinem Entnazifizierungsprozess nie zum Inhalt der Gespräche geäußert, nur dass sie stattgefunden hatten.

Gefangen Als der Hessen-Prinz aus der Gunst Hitlers fiel, wurde er von September 1943 bis April 1945 in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten. Nach der Befreiung nahmen ihn die Alliierten in Haft.
Seine Frau Mafalda fand zunächst mit den gemeinsamen Kindern Schutz im Vatikan bei Giovanni Battista Montini, dem späteren Papst Paul VI. Jedoch gelang es den Nazis, sie trotzdem festzunehmen. Sie starb im KZ Buchenwald an den Folgen eines Bombenangriffs.

Prinz Philipp von Hessen war von 1940 bis zu seinem Tod 1980 Chef des Hauses Hessen. Er führte nach seinem Entnazifizierungsprozess ein zurückgezogenes Leben und soll über die Zeit im »Dritten Reich« nicht mehr gesprochen haben.

David Kertzer: »Der Papst, der schwieg. Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler«. Aus dem Englischen von Todias Gabel und Martin Richter übersetzt, Verlag wbg Theiss, Darmstadt 2023, 704 Seiten, 39 Euro

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