Jahrestag

Helden von Mississippi

Am 4. Dezember 1964 hält der Bürgerrechtler Martin Luther King Fotos seiner ermordeten Kollegen Michael Schwerner, James Chaney und Andrew Goodman in eine Kamera. Foto: picture alliance / AP Photo

Im Juni 1964 wollten drei junge Bürgerrechtler am »Freiheitssommer« teilnehmen. Bei dieser Aktion ging es um die Stärkung der Bürgerrechte im amerikanischen Bundesstaat Mississippi. Das Eintreten für ihre Überzeugung bezahlten sie mit ihrem Leben: Im Landkreis Neshoba wurden sie von Klu Klux Klan-Rassisten ermordet.

Die Geschichte der beiden New Yorker Juden Michael Schwerner (24), Andrew Goodman (20) und ihrem aus Mississippi stammenden, nichtjüdischen Mitstreiter James Chaney (21) wurde 1988 verfilmt. »Mississippi Burning« mit Willem Dafoe und Gene Hackman war ein Kino-Hit und schockierte eine ganze Generation auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans.

Der Mord an den drei jungen Männern brachte den amerikanischen Bundesstaat Mississippi und den dort grassierenden Rassismus vor genau 60 Jahren in die Schlagzeilen.

Brutalität und Terror

Rund tausend junge Freiwillige aus den ganzen USA wollten damals im »Freiheitssommer« dabei helfen, die Bürgerrechte in Mississippi zu stärken. Denn Polizeibrutalität und rassistischer Terror gegen Schwarze waren in den 1950er und 60er Jahren im Süden der USA an der Tagesordnung. Schwarze riskierten vielerorts ihr Leben und ihre wirtschaftliche Existenz, wenn sie wählen wollten.

Der 2021 verstorbene Bob Moses war einer der Organisatoren des Freiheitssommers. »Im Denken eines jeden Schwarzen« sei Mississippi zu jener Zeit das Symbol des Rassismus schlechthin gewesen, erinnerte er sich in einem Interview.

Mississippi war ein gefährliches Pflaster für Schwarze und auch für die weißen Aktivisten. Laut der Zeitung »Clarion Ledger« glaubten viele weiße Bewohner, die jungen Bürgerrechtler würden »den weißen Süden« mehr hassen als das »rote Russland«.

Michael Schwerner, James Chaney und Andrew Goodman (v.l.n.r.)Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Soziale Gerechtigkeit

Andrew Goodman wurde am 23. November 1943 geboren. Schon seine Mutter Carolyn, eine Psychologin, kämpfte als Aktivisten für soziale Gerechtigkeit, während sein Vater Robert Autor und Bauingenieur war. In der Nachbarschaft der Familie lebten sowohl weiße, als auch schwarze Amerikaner sowie Bürger mit lateinamerikanischen Wurzeln.

Schon als 14-Jähriger fuhr Andrew Goodman nach Washington D.C., um am Youth March for Integrated Schools teilzunehmen, einer Großdemonstration für die Aufhebung der Rassentrennung in der Bildung. Mit 15 nahm er in West Virginia an einer Aktion teil, die auf die problematischen Arbeitsbedingungen der dortigen Kohleminenarbeiter aufmerksam machen sollte.

Während einer Reise nach Europa wollte er herausfinden, welche Folgen das Wachstum der Agrarindustrie für Kleinbauern hatte. Goodman war 18, als er in einem Woolworth-Kaufhaus gegen die dortige Rassentrennung demonstrierte.

Er studierte zunächst Schauspiel und später Anthropologie. Der ebenfalls jüdische Musiker und spätere Superstar Paul Simon war einer seine Kommilitonen.

Tiermedizin und Soziologie

Michael Schwerner war auch Teil einer jüdischen Familie. Er wuchs in Pelham, einer Kleinstadt im Landkreis Westchester County, ganz in der Nähe von New York City, auf. Seine Mutter Anne Siegel war Lehrerin, sein Vater Nathan Schwerner Geschäftsmann.

An der Michigan State University studierte Michael Schwerner zunächst Tiermedizin, wechselte aber später zur Soziologie über. An der Columbia University lernte er Robert Reich kennen, der in den 90er Jahren unter Bill Clinton Arbeitsminister wurde. Er half Reich, der wegen seiner geringen Körpergröße ständig gemobbt wurde.

Auch Schwerner begann früh, sich sozial zu engagieren. Zeitweise führte er eine lokale Gruppe des Congress of Racial Equality (CORE), der Schwarze in New York City unterstützte. Bald waren er und seine Frau Rita in Mississippi aktiv, wo sie als progressive Aktivisten beobachtet und verfolgt wurden. Informationen über ihre Aktivitäten wurden auch an Sheriff Lawcrence Rainey in Neshoba County weitergegeben, der 1964 mit den Mördern der Bürgerrechtler unter einer Decke steckte.

»Freedom Ride«-Proteste

Bald wurde der Klu Klux Klan (KKK) ebenfalls auf das Ehepaar Schwerner aufmerksam. Den Rassisten war die Aktion »Don’t Shop where you can’t Work« ein Dorn im Auge. Es ging um einen Boykott gegen Kaufhäuser und Geschäfte, die keine Schwarzen einstellten.

James Chaney wurde am Alter von 15 Jahren zeitweise von seiner High School suspendiert, da er einen selbstgebastelten Button trug, auf dem »NAACP« stand, die Abkürzung für die National Association for the Advancement of Colored People. Es handelt sich um eine Bürgerrechtsorganisation, die sich für die Rechte der Schwarzen einsetzt. Als Verputzer verdiente er später sein Geld.

Chaney, der selbst schwarz war und einer großen Familie aus der Stadt Meridian angehörte, nahm an mehreren »Freedom Ride«-Demonstrationen für Gleichstellung teil. Im Jahr 1963 begann er, für CORE aktiv zu werden, und traf so mit Schwerner und Goodman zusammen.

Nie wieder gesehen

Am 21. Juni 1964 befragten Michael Schwerner, Andrew Goodman und James Chaney Mitglieder der Gemeinde, deren Mt. Zion Methodist Church zuvor vom KKK niedergebrannt worden war. Am Nachmittag wurden sie in ihrem Fahrzeug von Cecil Price, dem Deputy Sheriff, angehalten und wegen einer angeblichen Geschwindigkeitsübertretung verhaftet.

Dann, am späten Abend, wurden die Bürgerrechtler auf freien Fuß gesetzt. Sie fuhren in die Dunkelheit und wurden von diesem Moment an nie wieder lebend gesehen.

Das Fahrzeug der Bürgerrechtler wurde kurz nach ihrem Verschwinden im Bogue Chitto-Sumpf gefunden.Foto: picture alliance / AP Photo
Schrittweise Reformen

Für den demokratischen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson kam die Sache ungelegen. Wahlen standen an. Die Bürgerrechtsbewegung wuchs. Johnson befürwortete nur vorsichtige, schrittweise Reformen. Denn viele Weiße in den Südstaaten, die früher demokratisch gewählt hatten, widersetzten sich.

Mehrere Tage nach dem Verschwinden der drei jungen Männer sprach Johnson mit dem FBI-Direktor J. Edgar Hoover. Das Gespräch wurde aufgezeichnet. Johnson war ungehalten, das hört man. Er habe Miss Schwerner empfangen, sagte er, »die Ehefrau des vermissten Jungen«.
Hoover informierte: »Sie ist Kommunistin, wissen Sie«. Johnson: »Sie hat sich noch schlimmer benommen.«

Rita Schwerner habe den Einsatz Tausender für die Suche nach den Verschwundenen verlangt, teilte Johnson mit. Dabei führe die Regierung doch vor, »dass wir wirklich an der Sache arbeiten«. Doch er müsse Vorsprung bewahren »vor den Hunden«, denn die Bürgerrechtler würden Unmögliches verlangen. Der Einsatz in Mississippi würde das FBI in ein günstiges Licht rücken.

Keine Mordanklage

Jahre später wurde bekannt, dass das FBI gegen Bürgerrechtsverbände vorging. Es gab Informanten und Provokateure. Martin Luther King sollte in den Suizid getrieben werden. Hoovers FBI war weiß, laut der FBI-Webseite wurden 1962 erstmals schwarze Ermittler ausgebildet.

Für die drei verschwundenen Aktivisten interessierte sich das FBI in der Mordnacht zunächst gar nicht, dokumentierte Autor Bruce Watson in seinem Buch »Freedom Summer«.

Deren Leichen wurden rund sechs Wochen später gefunden, am 4.
August, mit Schusswunden und tief begraben in einem Erdwall. 19 Verdächtige wurden festgenommen, weiße Männer, mehrere KKK-Mitglieder. Der Prozess zog sich über Jahre hin. Die Justiz in Mississippi erhob keine Mordanklage. Es ging nur um »Verschwörung, die Bürgerrechte der drei Opfer verletzt zu haben«. Deputy Sheriff Cecil Price und sein Chef wurden im Gerichtssaal fotografiert, Tabak kauend und Zigarre rauchend.

Bürgerrechtsbewegung gestärkt

Langsam kamen die Details ans Licht: Deputy Price informierte den KKK-Anführer Edgar Ray Killen, Sägewerksbesitzer und Baptistenprediger, über die Entlassung der drei jungen Männer. Eine Gruppe von Ku-Klux-Klan-Rassisten stoppte deren blauen Ford und erschoss die drei sozial engagierten Männer.

Sieben Männer wurden schuldig gesprochen und zu mehreren Jahren Haft verurteilt, darunter Price. Killen wurde erst 2005 bei einem weiteren Prozess verurteilt.

Neshoba bleibt ein mächtiges Symbol. Das große Aufsehen um die Morde hat die Bürgerrechtsbewegung entschieden gestärkt. Präsident Johnson unterzeichnete 1965 ein nationales Wahlrechtsgesetz. Seitdem haben alle US-Amerikaner das Recht zu wählen, unabhängig von Herkunft, Einkommen und Hautfarbe.

Den Helden James Chaney, Michael Schwerner und Andrew Goodman wird sechs Jahrzehnte nach ihrer Ermordung weiterhin gedacht. Vor der Mt. Nebo Missionary Baptist Church in Philadelphia, Mississippi, wurde eine kleine Gedenkstätte für sie eingerichtet. An Landstraßen in dem Bundesstaat weisen Schilder auf die Morde hin – an drei Helden, die mit ihren Aktionen ein Ziel verfolgten: gleiche Rechte für alle Amerikaner. (mit epd)

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