Antisemitismus

Gewalt der Sprache

»Wir brauchen Solidarität nicht nur bei körperlichen Angriffen«: Flashmob gegen Judenhass vergangenen Samstag in Berlin Foto: dpa

Der Berliner Rabbiner Daniel Alter wurde vergangene Woche Opfer einer antisemitisch motivierten schweren Körperverletzung. Seine kleine Tochter musste die Attacke auf ihren Vater nicht nur mit ansehen, sondern wurde selbst mit dem Tode bedroht. Die Polizei geht davon aus, dass es sich bei den Tätern um »arabischstämmige Jugendliche« handelt.

Diesem Akt der Gewalt gegen einen jüdischen Geistlichen und gegen seine Tochter geht seit Wochen eine angebliche Debatte voran, getragen von deutschen Mainstreammedien, hämisch kommentiert in Blogs und Zeitungskommentaren, bei der es um die religiös begründete Beschneidung von Juden und Muslimen geht. Die Sprache, in der diese als »Auseinandersetzung« bezeichnete Kampagne gegen Juden und Muslime geführt wird, ist erfüllt von Projektionen, Lügen, Umkehr von Fakten und Respektlosigkeit. Die Protagonisten dieser Kampagne stellen sich selbst dar als Vertreter der Aufklärung, die die Welt retten wollen vor dem angeblich archaischen Unsinn des verdummenden Glaubens. Doch aus ihrer Sprache quillt das alte Vorurteil derer, die die eigentlichen Todfeinde der Aufklärer sind.

mörder Die gefährlichsten Mörder des letzten Jahrhunderts, des Jahrhunderts ihrer Eltern und Großeltern, waren Antireligiöse mit ihrer ganz eigenen Religion. Sie waren keine Aufklärer, sie haben keine selbstbestimmten Menschen gewollt, sondern Sklaven. Sie wollten selbst gottgleich sein und bestimmen, wer als Herr leben darf (sie und ihre Volksgenossen) und wer als Sklave vernichtet wird, ihrer Willkür ausgesetzt, ihrem Sadismus, ihrer Gewalt ausgeliefert. Ein hoher Prozentsatz dieser Mörder waren Akademiker, auch Ärzte. Sie haben millionenfach gemordet und die Überlebenden traumatisiert, sie haben wehrlose Kinder und Säuglinge vor den Augen ihrer Eltern umgebracht. Sie haben uns, die nachfolgenden Generationen, traumatisiert, weil wir bis heute die kalten, mitleidslosen Gesichter dieser Mörder vor uns sehen.

Bei der Kampagne, die wir derzeit erleben, geht es nicht wirklich um die religiös begründete Beschneidung. Es geht um die Umkehrung der Wahrheit. Besonders auffällig ist, dass fast alle Medien brav das Mantra der schweren Traumatisierung durch die Beschneidung der Vorhaut männlicher Kinder herunterbeten und dann besonders schrill und hysterisch reagieren, wenn ihre These wissenschaftlich widerlegt wird, wie es Leo Latasch im Ethikrat getan hat.

rassismus Traumatisiert sind wir Juden, sind unsere Kinder, waren unsere Eltern und Großeltern nicht durch die Zirkumzision unserer männlichen Säuglinge, sondern durch den Holocaust. Traumatisiert sind Muslime durch den dieser Gesellschaft inhärenten Rassismus und die über 16 Jahre hinweg hier in Deutschland begangenen, angeblich über diese gesamte Zeit unentdeckten rassistischen Morde durch die Nazis des »NSU«. Und dadurch, dass die von den Morden betroffenen Familien ständig ebendieser Morde verdächtigt wurden. Nein, wir, unsere Kinder sind nicht durch die Beschneidung traumatisiert, sondern durch rassistische Gewalt, in Wort und Tat.

Dass Rabbiner Daniel Alter und seine kleine Tochter von, wie die Berliner Polizei sie bezeichnet, »arabischstämmigen« Jugendlichen attackiert, verletzt und terrorisiert wurden, ist eine fürchterliche Folge der allgemeinen, enthemmten und entsolidarisierenden Stimmung gegenüber Juden und Muslimen. Offenbar reagieren manche Opfer von Rassismus mit Gewalt gegenüber anderen Minderheiten. Diese Art von verblödeter Verrohung ist kein Freibrief für Verbrechen, sie ist widerlich und gefährlich und muss bestraft werden.

hetze Noch ekelhafter aber ist die Erklärung »Religionsfreiheit kann kein Freibrief für Gewalt sein« des Professors Matthias Franz von der Universität Düsseldorf, die flugs 700 Ärzte, Juristen, Psychoanalytiker und andere Akademiker unterschrieben haben. Denn diese Erklärung enthält verbale Gewalt durch Verdrehungen, Pseudowissenschaftlichkeit, Gerüchte und Hetze und ist immer noch im Internet nachzulesen.

In der ARD wurde am 29. Mai, knapp einen Monat vor der Erklärung der 700, die jüngste Statistik des Bundeskriminalamts über Gewalt gegen Kinder vorgestellt. Danach kamen 2011 in Deutschland jede Woche drei Kinder durch Gewalt zu Tode, 14.000 Kinder wurden Opfer sexueller Gewalt, und täglich wurden 17 Fälle von Kinderpornografie entdeckt. Und das, sagt BKA-Chef Jörg Ziercke, sei nur die Dunkelziffer. Professor Franz und seine 700 Kollegen jedoch beschäftigen sich mit zirkumzisierten Penissen von Juden und Muslimen.

Wir freuen uns über die Solidarität, die wir nach dem Überfall auf Rabbiner Alter und seine Tochter erfahren haben. Wir brauchen diese Solidarität. Aber nicht nur, wenn einer von uns körperlich attackiert wird, sondern auch gegen die Sprache der Gewalt, wie wir sie in den vergangenen Wochen und Monaten erlebt haben. Wir müssen uns aber auch selbst starkmachen. Mein gottseliger Vater hat immer gesagt: »Diesmal wandern die anderen aus.«

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