Berlin

»Geste der Menschlichkeit«

Entscheidung im Bundestag Foto: dpa

Der Bundestag hat am Donnerstag mit den Stimmen aller Fraktionen eine Gesetzesänderung bezüglich der Versorgung von Schoa-Überlebenden, die in NS-Ghettos gearbeitet haben, beschlossen. Die Neuregelung des Ghettorentengesetzes (ZRBG), die von Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles eingebracht worden war, ermöglicht es allen Berechtigten, ihre Rente rückwirkend von 1997 an zu beziehen. Bislang war dies nur möglich, wenn ein Rentenantrag bis 2003 eingegangen war.

Eine solche Neuregelung war vom Zentralrat der Juden, der Claims Conference und dem Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte und anderen Verbänden seit vielen Jahren gefordert worden. Zuletzt war sie im Jahr 2013 von der damaligen schwarz-gelben Bundestagsmehrheit abgelehnt worden.

Zentralrat Der Zentralrat der Juden begrüßt die neue Rentenregelung. Man sei froh und erleichtert, dass der Deutsche Bundestag endlich das Gesetz über nachträgliche Renten-Zahlungen an frühere Ghetto-Arbeiter auf den Weg gebracht hat, sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann: »Die Regelung, für die wir uns jahrelang eingesetzt haben, war überfällig und kommt für viele Menschen leider zu spät. Dennoch werden die Überlebenden mit ihren besonderen Biografien endlich ernst genommen. Die deutsche Politik kommt damit ihrer historischen Verantwortung nach und verdient für diese Regelung ausdrücklich Respekt. Das neue Gesetz ist eine Geste der Menschlichkeit.«

Der Zentralrat hofft, so Graumann weiter, dass die Bundesregierung nun auch eine Regelung für die in Polen lebenden Anspruchsberechtigten finden wird.

ANSPRUCH Für die Claims Conference begrüßte deren Deutschland-Repräsentant Rüdiger Mahlo den Beschluss. »Es handelt sich nicht um eine Entschädigungszahlung, sondern um einen Rentenanspruch, der unter grausamsten Bedingungen erarbeitet wurde. Endlich widerfährt den Berechtigten ein Mindestmaß an Gerechtigkeit, auf das sie so lange warten mussten.«

Greg Schneider, Executive Vice President der Claims Conference, sagte: »Beinahe 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erhalten die ehemaligen Ghetto-Arbeiter endlich die ihnen zustehenden gesetzlichen Rentenzahlungen für ihre im Ghetto geleistete Arbeit. Für viele der hoch betagten Überlebenden stellt die mögliche Auszahlung einer über die Jahre aufgelaufenen Summe eine spürbare Hilfe für den Lebensabend unter oft bedrückend armen Bedingungen dar.«

»Das Gesetz ist eine gute Lösung, für deren Erarbeitung wir Frau Ministerin Nahles wirklich dankbar sind. Wenn es nun noch gelingt, eine Ungleichbehandlung polnischer Überlebender zu vermeiden, könnten wir mit der Umsetzung des ZRBG erstmals zufrieden sein. Leider wird der bittere Beigeschmack, den die jahrelangen Verzögerungen verursacht haben, immer bestehen bleiben«, betont Jost Rebentisch vom Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte.

WAHLMÖGLICHKEIT Nun können die früheren Ghettoarbeiter wählen zwischen einer rückwirkenden Einmalzahlung bis zum Jahr 1997, wofür sie künftig eine Minderung der monatlichen Rente hinnehmen müssten, oder aber dem Verzicht auf diese rückwirkende Zahlung, wofür die monatliche Rente in der bisherigen Höhe bliebe.

Es handelt sich noch um rund 40.000 Schoa-Überlebende, die diese Ghettorenten empfangen und von der Neuregelung profitieren. Sie werden nun von der Deutschen Rentenversicherung direkt angeschrieben. In Anbetracht des hohen Alters der Menschen rechnen Experten damit, dass die meisten sich für die endlich eingeräumte Möglichkeit einer rückwirkenden Zahlung aussprechen.

NACHBESSERUNG
Dem Bundestagsbeschluss war Ende Mai noch die Forderung einer Nachbesserung durch den Bundesrat vorangegangen. Die Länderkammer forderte die Bundesregierung auf, zu prüfen, ob nicht jüdische Ghettorentner aus den ehemaligen Staaten der Sowjetunion auch zu den Empfängern der Rente gerechnet werden sollten. Sie, wie auch in Polen lebende jüdische Schoa-Überlebende, hatten bislang keinen Anspruch auf diese Altersversorgung.

Meinung

Wahlen in Ostdeutschland: Es gibt keine Zeit zu verlieren

In Mecklenburg-Vorpommer und Sachsen-Anhalt wird im September gewählt. Es steht viel auf dem Spiel: Eine AfD-Regierung könnte großen Schaden anrichten. Leidtragende wären nicht zuletzt die jüdischen Gemeinden

von Joshua Schultheis  10.11.2025

Medien

So erzeugt man einen gefährlichen Spin

Wie das Medienunternehmen »Correctiv« den Versuch unternimmt, die Arbeit des israelischen Psychologen Ahmad Mansour fragwürdig erscheinen zu lassen

von Susanne Schröter  10.11.2025 Aktualisiert

Würzburg

Zentralrat der Juden fordert mehr Zivilcourage gegen Hass

Beim Gedenken an die Novemberpogrome in Würzburg hat Juden Schuster die grassierende Gleichgültigkeit gegen Judenhass kritisiert

 10.11.2025

Gedenken

Bundespräsident Steinmeier fordert Widerstand gegen Rechtsextreme

Die Demokratie sieht der Bundespräsident so bedroht wie nie seit der Wiedervereinigung. Das Staatsoberhaupt erklärt, was nun aus seiner Sicht passieren muss

von Martina Herzog  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Wien

Österreichs Regierung mit neuer Strategie gegen Antisemitismus

KI-gestützte Systeme zum Aufspüren von Hate Speech, eine Erklärung für Integrationskurse, vielleicht auch Errichtung eines Holocaust-Museums: Mit 49 Maßnahmen bis zum Jahr 2030 will Wien gegen Antisemitismus vorgehen

 10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025

Berlin

»Besetzung gegen Antisemitismus« an TU Berlin

Nach pro-palästinensischen Universitätsbesetzungen in der Vergangenheit haben nun Studierende ein Gebäude an der TU Berlin besetzt, um gegen Antisemitismus zu protestieren. Sie machen dem Allgemeinen Studierendenausschuss Vorwürfe

 10.11.2025

Antisemitismus

Rabbinatsstudent am Berliner Hauptbahnhof beschimpft

Der angehende Rabbiner aus Deutschland war am 9. November auf dem Weg zu einer Gedenkveranstaltung für die Novemberpogrome. Sein Urgroßvater hat die Schoa überlebt

 10.11.2025