Europäische Union

Geld unter Auflagen

Jean-Claude Juncker als Büttel von George Soros: Plakate der ungarischen Regierung in Budapest Foto: imago/EST&OST

In seiner Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Bremen wurde Heiko Maas deutlich: Es sei »bedauerlicherweise insbesondere bei den Rechtspopulisten ein fließender Übergang« festzustellen zu »antisemitischen und rassistischen Tiraden«, so der deutsche Außenminister. Hetzerische Worte würden irgendwann zu Taten, antisemitisch motivierte Straftaten nähmen mittlerweile überall in Europa zu, und das sei »eine Schande«.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft werde sich kommendes Jahr dafür einsetzen, »dass vor allen Dingen auch der Kampf gegen Antisemitismus viel stärker zu einem gesamteuropäischen Thema gemacht wird«, versprach Maas. Verstöße gegen die Grundwerte der EU müssten Konsequenzen haben, nämlich die Ausschüttung von EU-Geldern künftig an die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze zu knüpfen. Dabei geht es um die Unabhängigkeit der Justiz von politischem Einfluss, die Korruptionsbekämpfung und den Schutz der Grundrechte.

DEFIZITE Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahl im Mai, Manfred Weber (CSU), stieß in einem Gastbeitrag für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« zusammen mit dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio in dasselbe Horn: Bei »gravierenden Defiziten« seien immer mehr Menschen »nicht bereit, finanzielle Mittel in einen anderen Mitgliedsstaat zu transferieren oder gar in sensiblen Sicherheitsfragen enger zusammenzuarbeiten«.

Der EU-Haushalt für 2021 bis 2027, im Jargon Mehrjähriger Finanzrahmen (MFR) genannt, ist noch nicht in trockenen Tüchern. In ihm ist festgelegt, wer wofür EU-Fördergelder bekommen kann. Die Kommission hat ein Gesamtvolumen von gut 1,1 Billionen Euro vorgeschlagen. Dem MFR müssen Mitgliedsstaaten zustimmen, und es wird befürchtet, dass Länder wie Polen und Ungarn, gegen die Brüssel bereits formell ein Verfahren wegen Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien nach Artikel 7 des EU-Vertrages eingeleitet hat und die unter finanziellen Sanktionen am ehesten zu leiden hätten, ein Veto einlegen könnten.

Elmar Brok (CDU) sagt,
Orbán habe sich schon öfters
nicht an Versprechen gehalten.

Das bestehende Strafverfahren ist langwierig und beinhaltet hohe Hürden. Es umfasst zwei Mechanismen: Präventionsmaßnahmen im Falle einer eindeutigen Gefahr der schwerwiegenden Verletzung der EU-Werte und Sanktionen, wenn eine solche Verletzung bereits stattgefunden hat. Welche Sanktionen möglich sind, ist nicht klar definiert.

PRÄVENTION Bei beiden Mechanismen muss bislang die endgültige Entscheidung von den Mitgliedsstaaten getroffen werden. Der Präventionsmechanismus erfordert eine Mehrheit von vier Fünftel der Mitgliedsstaaten, während die Feststellung des Vorliegens einer bestehenden Verletzung der Einstimmigkeit bedarf. Der betroffene Mitgliedsstaat nimmt an den Abstimmungen nicht teil. Die Europäische Kommission hat nun vorgeschlagen, im MFR einen einfacheren Mechanismus einzuführen, der es erlauben würde, auf ihren Vorschlag hin per Mehrheitsbeschluss EU-Gelder zu kürzen – allerdings nur für staatliche Institutionen.

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok ist eher skeptisch, ob Kürzungen von Transferzahlungen bei Rechtsstaatsdefiziten ein gangbarer Weg sind, und warnt vor einer Politisierung von juristischen Vorgängen der Rechtsstaatlichkeit. Die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit müsse »exakt mit rechtsstaatlichen Mitteln« erfolgen. Alle sollten zunächst mal vor der eigenen Haustüre kehren. Brok favorisiert die vom französischen Präsidenten Macron ins Spiel gebrachte Idee einer neutralen EU-Demokratie-Agentur. Alle politischen Parteien in Europa müssten sich so an die gleichen Regeln halten und würden auch daraufhin überprüft.

Mit Blick auf die jüngste Plakat-Aktion der ungarischen Regierung von Viktor Orbán gegen den jüdischen Finanzier George Soros und den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker fand der EU-Parlamentarier deutliche Worte: »Dass da bewusst unterschwellig vorhandene antisemitische Ressentiments bedient werden, ist einfach unerträglich. Die Verschwörungstheorie, nach der Soros gezielt muslimische Migranten nach Europa bringt, ist absoluter Blödsinn. Und schlimm ist auch, dass Orbán ständig die Dosis des Gifts erhöht.«

Obwohl Einstimmigkeit gefragt ist, kann sich Heinemann vorstellen, dass in den MFR auch eine Rechtsstaatsklausel Eingang findet.

Der Ungar Orbán habe in einer Sitzung der Europäischen Volkspartei letzte Woche in Brüssel zugesagt, die Plakate abzuhängen und seine Negativkampagne gegen die EU zu beenden, sagte der CDU-Politiker dieser Zeitung. Orbán habe das aber schon einmal versprochen und dann nicht gehalten. Auch müsse er klar für Demokratie, Rechtsstaat und Gewaltenteilung eintreten. »Die Fidesz ist suspendiert, hat kein Stimmrecht, kein Amt und kann an keinen Sitzungen teilnehmen. Außerdem wird ihr Verhalten bis zum Herbst von der Gruppe der Weisen geprüft. Wann machen die Sozialisten Verbindliches gegen die Sozialistische Partei Rumäniens?«, fragt Brok.

PRÄSIDENTSCHAFT Wie Brok glaubt auch der Mannheimer Ökonom Friedrich Heinemann nicht, dass dieses Jahr noch eine Einigung zum MFR und damit auch zur Frage der Konditionalität zustande kommen wird. »Es wird wahrscheinlich wieder auf eine Einigung in letzter Minute hinauslaufen, möglicherweise erst unter der deutschen EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020«, so Heinemann.

Obwohl Einstimmigkeit gefragt ist, kann sich Heinemann vorstellen, dass in den MFR auch eine Rechtsstaatsklausel Eingang findet. »Wie die genau aussehen wird, kann man jetzt noch nicht sagen. Länder wie Polen und Ungarn haben aber ein enormes fiskalisches Interesse daran, dass die EU-Mittel weiter fließen. Es erscheint schwer vorstellbar, dass sie ab 2021 ganz oder teilweise darauf verzichten würden«, sagte Heinemann. Der Steuer- und Finanzexperte warnt auch davor, das populistische und EU-kritische Lager als einen homogenen Block zu betrachten. »Man kann sich dort zwar schnell auf die Ablehnung von Migranten einigen. Wenn es aber um EU-Finanztransfers geht, ist man heillos zerstritten.« Populistische Politiker in Süd- und Osteuropa seien für üppige EU-Fördertöpfe, ihre Gesinnungsgenossen in den Geberländern aber dagegen.

Auch Weber und Di Fabio schlagen einen Expertenrat vor, der alle EU-Mitgliedsstaaten hinsichtlich evaluiert.

FÖRDERGELDER Heinemann ist allerdings skeptisch, einer »politischen Institution« wie der EU-Kommission die Entscheidung darüber anzuvertrauen, Fördergelder zu kürzen. »Die Kommission hätte schon jetzt die Möglichkeit, Gelder aus dem Kohäsionsfonds an gewisse Bedingungen zu knüpfen. Sie macht es nur nicht.« Er favorisiert stattdessen ein unabhängiges Gremium.

Auch Weber und Di Fabio schlagen einen Expertenrat vor, der alle EU-Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Unabhängigkeit ihrer Justiz, der Korruptionsanfälligkeit und der Medienfreiheit evaluiert, »Anhaltspunkte für eine ernsthafte Gefährdung des freiheitlichen Rechtsstaates« aufzeigt und gegebenenfalls die Kommission zum Handeln auffordern soll. Am Ende eines solchen Verfahrens könnten dann Sanktionen stehen, die per Mehrheitsentscheid und nicht einstimmig verhängt würden, schreiben Weber und Di Fabio.

Ob ein solches Projekt realisierbar ist, steht in den Sternen. Aber die Bereitschaft, die Daumenschrauben gegenüber jenen Mitgliedsstaaten anzuziehen, die es mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht so genau nehmen, ist in Brüssel spürbar gewachsen.

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