Washington D.C./Tel Aviv

Geisel-Familien: Netanjahus US-Rede ist »politisches Theater«

Carmit Palty Katzir demonstrierte im Kapitol für die Freilassung der Geiseln. Ihr Bruder Elad wurde tot im Gazastreifen gefunden Foto: picture alliance / Anadolu

Kurz vor Treffen mit US-Präsident Joe Biden und dessen Vize Kamala Harris enttäuscht Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu mit einer von Protesten begleiteten Rede vor dem US-Kongress die Hoffnungen auf eine baldige Waffenruhe in Gaza. Angehörige von acht amerikanisch-israelischen Geiseln kritisierten den Auftritt als »politisches Theater«, wie israelische Medien meldeten. Unter Beifall vor allem aus den Reihen der Republikaner hatte Netanjahu Kritik am Vorgehen in Gaza zurückgewiesen.

»Er hat es versäumt, neue Lösungen oder einen neuen Weg zu präsentieren«, heißt es in einer Erklärung der amerikanischen Angehörigen. »Vor allem hat er es versäumt, sich zu dem Geiselabkommen zu bekennen, das jetzt auf dem Tisch liegt, obwohl Israels ranghohe Verteidigungs- und Geheimdienstbeamte ihn dazu aufgefordert haben«, wurden sie zitiert. Kurz vor Netanjahus Rede bestätigte sein Büro, dass er die für heute geplante Abreise israelischer Unterhändler zu den indirekten Verhandlungen nach Katar abgesagt habe.

Dies sei der »bei weitem schlechteste Auftritt eines ausländischen Würdenträgers« gewesen, der das Privileg gehabt habe, vor dem US-Kongress zu reden, schrieb die frühere Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, auf der Plattform X.

Regierung optimistisch

Die palästinensische Terrororganisation Hamas bezichtigte Netanjahu der Lügen. »Netanjahus Gerede über verstärkte Bemühungen um die Rückkehr der Geiseln ist eine glatte Lüge und führt die israelische, amerikanische und internationale Öffentlichkeit in die Irre«, heißt es in einer Stellungnahme der Terroristen, die den Krieg begannen und sich weigern, die verbleibenden 120 Geiseln freizulassen. Ihr erklärtes Ziel ist eine Vernichtung Israels.

Netanjahu hatte bei seiner Rede entgegen den Hoffnungen von Angehörigen der 120 noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln keine Vereinbarung über eine Waffenruhe im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln angekündigt. Die Abreise einer israelischen Delegation zu den indirekten Verhandlungen in Katar werde außerdem nun erst in der kommenden Woche erwartet, bestätigte eine israelische Repräsentantin. Das genaue Datum sei noch unklar.

Die US-Regierung zeigt sich dennoch erneut optimistisch und sieht die Verhandlungen in der »Schlussphase«. »Es ist an der Zeit, sich zu einigen«, sagte ein hochrangiger US-Regierungsvertreter. Es gebe Fortschritte und man gehe davon aus, dass die Differenzen überwindbar seien. »Es gibt einige Dinge, die wir von der israelischen Seite brauchen, keine Frage«, sagte er. Aber es gebe auch »einige wichtige Dinge«, die nur in den Händen der Hamas lägen. Er gehe davon aus, dass es nächste Woche viel Bewegung geben werde.

Angespanntes Verhältnis

»Ich werde weiter daran arbeiten, den Krieg in Gaza zu beenden, alle Geiseln nach Hause zu bringen und dem Nahen Osten Frieden und Sicherheit zu bringen«, sagte US-Präsident Biden. Sein Verhältnis zu Netanjahu ist wegen dessen Kriegsführung angespannt. Netanjahu wird von Kritikern vorgeworfen, den Krieg zu seinem eigenen politischen Vorteil in die Länge zu ziehen. Er regiert in einer Koalition mit ultra-religiösen und rechtsextremen Parteien, die Zugeständnisse an die Hamas ablehnen und mit der Sprengung der Regierung drohen.

Israelische Soldaten bargen unterdessen bei einem Einsatz im Gazastreifen Medienberichten zufolge die Leichen von mindestens drei weiteren Geiseln. Die »Jerusalem Post« berichtete, eine davon sei eine 56-jährige Einwohnerin eines Kibbuz in der Nähe des Gazastreifens. Während die Angehörigen von weiteren toten Geiseln erführen, setze Netanjahu »seine PR-Tour durch die USA« fort und trete »weiter auf die Bremse« zitierten die »Times of Israel« die Mutter einer der von der Hamas weiter festgehaltenen Geiseln.

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Netanjahus Rede war begleitet von lauten Protesten rund um das Parlamentsgebäude in Washington. Ein Teil der Menge sei gewalttätig geworden, teilte die Kapitol-Polizei mit. Es gab Berichte über mehrere Festnahmen. Bei einer israelfeindlichen Kundgebung wurde die US-Regierung aufgerufen, die militärische Hilfe für Israel einzustellen. Israel wurde ein »Genozid« im Gazastreifen vorgeworfen, an dem sich Biden, Harris und die Spitzen im US-Parlament beteiligten, hieß es. Netanjahu wurde als Kriegsverbrecher bezeichnet. Diese Verschwörungstheorien werden bei entsprechenden Protesten immer wieder durch Israelhasser verbreitet. Dies war bereits vor dem 7. Oktober der Fall.

Vorübergehend festgenommen

Sechs Angehörige israelischer Geiseln, die Netanjahus Rede vor dem Kongress beiwohnten, wurden von der Kapitol-Polizei israelischen Medienberichten zufolge festgenommen und später wieder freigelassen. Sie trugen gelbe Hemden mit der Aufschrift »Seal the deal now« (»Besiegelt den Deal jetzt«). Auch in Israel hatten sich Hunderte von Familienangehörigen versammelt, um Netanjahus Rede zu verfolgen. Sie regierten ebenfalls mit Enttäuschung.

Netanjahu äußerte sich in seiner Rede vor beiden Kammern des US-Kongresses verächtlich über die Proteste. Die Demonstranten stünden auf der Seite des Bösen, »sie stehen auf der Seite der Hamas, sie stehen auf der Seite von Vergewaltigern und Mördern«, sagte er. Direkt an Demonstranten gerichtet sagte Israels Regierungschef mit Blick auf die Verbindungen zwischen der Hamas und dem Iran: »Ihr seid offiziell zu nützlichen Idioten des Iran geworden.« Viele Demonstranten hätten nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprächen.

Netanjahu bekräftigte, der Krieg werde mit einem Sieg über die Hamas enden. Er dankte der Regierung von US-Präsident Biden, den er heute trifft, für die Unterstützung in dem Krieg und bat zugleich um weitere, schnellere Waffenlieferungen. »Gebt uns die Mittel schneller - und wir werden die Arbeit schneller beenden«, sagte Netanjahu. Auch ein Treffen mit der US-Vize und demokratischen Präsidentschaftsbewerberin Kamala Harris ist geplant. Am Freitag besucht Netanjahu den republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump.

Seine Vision für den Tag danach sei »ein entmilitarisiertes, entradikalisiertes Gaza«. Israel wolle den Gazastreifen nicht wieder besiedeln, müsse dort aber auf absehbare Zeit die Sicherheitskontrolle bewahren, sagte Netanjahu. Er sprach von einer zivilen Verwaltung durch »Palästinenser, die Israel nicht zerstören wollen«. Für den Nahen Osten sprach Netanjahu von einem Sicherheitsbündnis von Israel und den USA gegen den Iran. dpa/ja

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