Interview

»Für viele das letzte Mal«

Marian Turski Foto: Marta Kusmierz

Interview

»Für viele das letzte Mal«

Marian Turski über den 27. Januar 1945 und die Gedenkfeier in Auschwitz

von Detlef David Kauschke  19.01.2015 17:59 Uhr

Herr Turski, wie haben Sie den 27. Januar 1945 erlebt?
Ich wurde nicht in Auschwitz, sondern erst am 9. Mai in Theresienstadt befreit. Ich gehörte zu einer Gruppe von 600 Gefangenen, die einige Tage zuvor auf einen Todesmarsch geschickt wurde. Am 27. Januar hatten wir gerade Buchenwald erreicht.

Welche Bedeutung hat das Gedenken am 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz?
Es wird wohl für die meisten Überlebenden eine der letzten Möglichkeiten sein, dass ihre Stimmen nochmals gehört werden. Damals, als Buchenwald befreit wurde, haben die Überlebenden ein Manifest veröffentlicht, unter anderem zu den Lehren aus dem Genozid für die Zukunft. Vielleicht sollten wir nun überprüfen, was davon realisiert wurde. Ich befürchte, es wird keine besonders positive Bilanz. Was in den vergangenen 70 Jahren passierte, belegt nicht unbedingt den Satz, dass Geschichte ein guter Lehrer ist. Aber dennoch: Solange wir Überlebenden noch da sind, ist es wohl unsere Verpflichtung, unseren Nachkommen eine Botschaft zu überbringen. Meine Botschaft kann ich in einem Wort zusammenfassen: Empathie. Auch wenn unser Gegenüber nicht so ist wie wir, nicht so aussieht, nicht die gleiche Meinung oder Religion hat, sollten wir dennoch versuchen, zu verstehen, Empathie zu empfinden.

Es wird derzeit viel von der Zukunft der Juden in Europa gesprochen. Was denken Sie?
Ich bin auch in Sorge in Bezug auf die Zukunft der Juden in Israel! Wenn ich an die Zukunft der Juden in Israel und der Diaspora denke, bin ich gleichermaßen besorgt, aber ich habe keine Angst. Man kann heutzutage schließlich auch fragen, ob unsere Kultur insgesamt bedroht ist. Aber ich glaube nach diesen 70 Jahren, dass Europa verstanden hat, dass der Holocaust nicht nur eine jüdische, sondern eine europäische Dimension hat. Vielleicht war es unser Fehler, dass wir zu lange nach dem Krieg von der jüdischen, statt von der europäischen Tragödie gesprochen haben.

Wie beurteilen Sie den Streit um die Teilnahme des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Gedenken in Auschwitz?
Es wurde entschieden, dass in diesem Jahr die Überlebenden im Mittelpunkt stehen sollen. Auch wenn ich für andere und für mich noch auf ein langes Leben hoffe, wird es für viele die letzte Chance sein, an einem solchen Gedenken teilzunehmen. Vielleicht sollten die Opfer wirklich die Hauptpersonen sein. Und es ist von größter Bedeutung, dass bei dieser Gelegenheit, bei der Überlebende von Auschwitz nochmals ihre Stimme erheben, diejenigen anwesend sind, die die Welt regieren. Wir haben entschieden, Delegationen der Staaten einzuladen, ohne zu benennen, wer ihnen angehört. Aber meiner Meinung nach wäre es angemessen, wenn die politischen Spitzen dieser Staaten mit dabei sind. Russland ist eine große Nation, die ihren Anteil an der Befreiung von Auschwitz hat. Insofern sollte auch der Präsident Russlands teilnehmen, wie übrigens auch der Präsident der Ukraine.

Mit dem Vizepräsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees sprach Detlef David Kauschke.

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025

Antisemitismus

Berliner Treitschkestraße wird am 1. Oktober umbenannt

Der Straßenname erinnert künftig an die im KZ Theresienstadt gestorbene ehemalige Direktorin des früheren jüdischen Blindenheims von Steglitz, Betty Katz (1872-1944)

 17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Ahmetovic: Berlin muss Weg für Israel-Sanktionen freimachen

Der SPD-Politiker fordert, dass die schwarz-rote Koalition ihre »Blockadehaltung« beendet und die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für konkrete Maßnahmen gegen den jüdischen Staat unterstützt

 17.09.2025