Gesetz

Für gerechte Rente

»Das ist ein sozialpolitischer Skandal«: Volker Beck (M.) mit Abraham Lehrer (l.) und Micha Brumlik in Berlin Foto: Uwe Steinert

»Die Ungerechtigkeit springt doch ins Auge.« Volker Beck, der derzeit noch für die Grünen im Bundestag sitzt, vermag gar nicht zu glauben, dass sein jüngstes Anliegen irgendwann scheitern könnte. Was Beck namens seiner Fraktion in dieser Woche auf den Weg brachte, ist eine »Änderung des Fremdrentengesetzes«. Künftig sollen, so der Plan, jüdische Zuwanderer, die ab Anfang der 90er-Jahre nach Deutschland kamen, rentenrechtlich jenen Zuwanderern, die als deutschstämmige Spätaussiedler einwanderten, gleichgestellt werden.

Am Dienstag hatte Beck in den Bundestag in Berlin zu einem Pressegespräch geladen und mit Experten wie Abraham Lehrer, Vorstandsvorsitzender der ZWST und Vizepräsident des Zentralrates der Juden, und Micha Brumlik, Wissenschaftler und Publizist, seinen Gesetzentwurf vorgestellt und begründet.

lebensleistung Die Ungerechtigkeit, die nicht nur Beck und Lehrer beklagen, zeigt sich in dem Umstand, dass einem Aussiedler alle Altersgeldansprüche, die er in der damaligen Sowjetunion erworben hat, anerkannt werden; »bei jüdischen Zuwanderern hingegen beginnt ihre Rentenbiografie mit Grenzübertritt bei null«, wie Beck sagte. Alles, was sie in ihrem Leben für das Alter erarbeitet haben, »wird vernichtet«.

Abraham Lehrer wies darauf hin, dass Spätaussiedler und Zuwanderer »oft einen sehr ähnlichen Werdegang« haben, und Beck ergänzte: »Das waren manchmal Leute, die gingen zur gleichen Zeit in die gleiche Schule, arbeiteten im gleichen Kombinat.« Aber in Deutschland erhalten die einen für ihre geleistete Arbeit Rente, die anderen werden auf Grundsicherung gesetzt.

Irina Katz, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Freiburg und selbst aus der früheren Sowjetunion stammend, berichtete, dass Russland das einzige Land aus der »Gemeinschaft unabhängiger Staaten« (GUS) sei, der eine kleine Rente auszahlt, dass diese aber in Deutschland auf die Grundsicherung angerechnet würde. Das gelte sogar für Zahlungen, die Überlebende der Leningrader Blockade erhielten.

ausbildung Etwa 2,3 Millionen Spätaussiedler kamen insgesamt aus der GUS in die Bundesrepublik und mehr als 200.000 jüdische Zuwanderer. Von einer gerechteren Regelung würde »etwa ein Viertel« profitieren, wie Abraham Lehrer mitteilte, also ungefähr 50.000 Menschen. Das sind nicht die, die als junge Menschen nach Deutschland kamen, sondern es ist deren Elterngeneration: die Menschen, die in der Sowjetunion oder ihren Nachfolgestaaten jahrzehntelang gearbeitet hatten, oft in hohen Positionen und mit guter Ausbildung.

Die Ungleichbehandlung von Aussiedlern und Zuwanderern wird vom deutschen Recht damit begründet, dass Juden, anders als die nichtjüdischen Deutschstämmigen, nicht zum deutschen Kulturkreis gehörten. Man müsste sie also eher wie andere Flüchtlingsgruppen behandeln.

Für Spätaussiedler, so die gängige Begründung, gebe es eine historische Verantwortung Deutschlands. Beck wies aber darauf hin, dass die Konstruktion der »Kontingentflüchtlinge«, die noch vom Runden Tisch der untergehenden DDR initiiert worden war und von der Bundesrepublik übernommen wurde, gerade mit wachsendem Antisemitismus in der ehemaligen Sowjetunion begründet wurde. Und Bekämpfung von Antisemitismus gehöre zur deutschen Verantwortung.

studie Mit dem Kulturkreis-Argument hat sich Micha Brumlik in einer Studie zu »Aschkenasisches Judentum und nationale Verantwortung« auseinandergesetzt. In dem Gebiet, das heute Deutschland ist, hatten bis ins 12. Jahrhundert immer Juden gelebt. Sie trugen deutsche Namen und sprachen Deutsch beziehungsweise das dem Deutschen sehr verwandte Jiddisch.

»Ab dem 14. Jahrhundert kam es zu massiven antisemitischen Vertreibungen von Juden«, trug Brumlik vor. Etliche der Vertriebenen wichen ins heutige Polen aus, später mussten viele nach Russland ziehen. Die Behauptung vom fehlenden deutschen Kulturkreis erweist sich, so Brumlik, als »völkisch-christlich«.

Wie absurd die Konstruktion eines deutsch-christlichen Kulturkreises ist, wusste Volker Beck mit Blick auf die Stadt, mit der er und Abraham Lehrer verbunden ist, zu illustrieren – Köln. Die jüdische Geschichte geht hier verbürgt mindestens auf das Jahr 321 n.d.Z. zurück. »Es ist also fraglich, ob zuerst Juden oder zuerst Christen in Köln lebten.«

finanzierung Noch auf einen weiteren Punkt, der oft bemüht wird, um Zuwanderer von der deutschen Rentenkasse fernzuhalten, ging Beck ein: die sowjetische Nationalitätenpolitik. Diese verlangte nämlich, dass man nur eine Volkszugehörigkeit angeben durfte: »deutsch« oder »jüdisch«, beides kannte das sowjetische Recht nicht.

Welche Chancen Becks Gesetzentwurf hat, den Bundestag irgendwann erfolgreich zu passieren, ist offen. »Wir hatten gehofft, dass es von anderer Seite kommt«, beantwortete er die Frage, warum das Projekt so spät eingereicht wurde. Gespräche wurden viele geführt, »aber es gibt keinerlei Signale aus anderen Fraktionen«. Nun hofft Beck, dass es im künftigen Bundestag, dem er nicht mehr angehören wird, zu einer Änderung des Fremdrentengesetzes kommt. Eine größere Öffentlichkeit für diesen »sozialpolitischen Skandal« würde helfen.

Behauptungen, das sei nicht zu finanzieren, weist Beck jedenfalls zurück. »Das ist ein Linke-Tasche-Rechte-Tasche-Problem.« Die entstehenden Kosten könnten mit den für die Grundsicherung aufgebrachten Mitteln gegengerechnet werden.

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Tobias Kühn

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025

Kommentar

Martin Hikel, Neukölln und die Kapitulation der Berliner SPD vor dem antisemitischen Zeitgeist

Der bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Güner Balci gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  21.11.2025 Aktualisiert