Interview

»Es gibt kein Ende der Geschichte«

Bundesjustizminister Heiko Maas Foto: dpa

Herr Minister, 2010 legte das Auswärtige Amt eine Untersuchung zu seiner NS-Belastung seit Gründung der Bundesrepublik vor, zahlreiche weitere Ministerien gaben ähnliche Forschungsarbeiten in Auftrag, so 2012 auch das Justizministerium. Das Ergebnis, das sogenannte »Rosenburg-Projekt«, stellen Sie am 10. Oktober der Öffentlichkeit vor. Zu welchem Ergebnis ist die Kommission gekommen?
Von den Führungskräften im Ministerium bis 1973 waren mehr als die Hälfte ehemalige NSDAP-Mitglieder, jeder fünfte war ein alter SA-Mann. Die Folgen dieser personellen Kontinuität waren fatal: Die Strafverfolgung von NS-Tätern wurde hintertrieben, die Diskriminierung einstiger Opfer fortgesetzt, und alte Gesetze wurden nur oberflächlich entnazifiziert. Das Justizministerium hat kein Recht geschaffen, sondern neues Unrecht.

Wie sind die Juristen und Historiker an das Thema herangegangen?
Die Wissenschaftler hatten völlige Freiheit hinsichtlich der Schwerpunkte und der Methoden ihrer Forschung. Das Ministerium hat für totale Offenheit gesorgt, sämtliche Personalakten und auch bislang geheime Verschlusssachen haben wir offengelegt.

Inwiefern arbeitet die Studie heraus, wie sich die Karrieren von Angestellten, die bereits während der NS-Zeit im Justizministerium arbeiteten, nach 1949 fortsetzten?
In der jungen Bundesrepublik wurde Erfahrung in der Nazi-Justiz offenkundig höher geschätzt als rechtsstaatliche Haltung. Das führte dazu, dass der frühere Experte fürs »Rasserecht« anschließend fürs Familienrecht zuständig war und Juristen, die zahllose Todesurteile zu verantworten hatten, das Strafrecht der Bundesrepublik prägten.

Wie weitreichend waren die Folgen dieser Kontinuitäten bei der Strafverfolgung von NS-Tätern?
Das erste Gesetz des Bundesjustizministeriums im Jahr 1949 war ein Amnestiegesetz! Auch in Einzelfällen wurde man aktiv. Max Merten war erst im Reichs- und dann zeitweilig im Bundesjustizministerium tätig. Dazwischen hatte er als Kriegsverwaltungsrat in Griechenland 45.000 Juden ausgeplündert und ihre Deportation nach Auschwitz organisiert. Das Ministerium sorgte dafür, dass der einstige Kollege in Deutschland straffrei blieb und holte ihn sogar aus griechischer Haft heraus.

Welche Rolle spielt neben der Übernahme von belasteten Juristen in den Dienst des BMJ die inhaltliche Auseinandersetzung mit der NS-Justiz in der Studie – etwa im Hinblick auf NS-ideologisch gefärbte Gesetze?
Viele Opfer der Nazis wurden in der jungen Bundesrepublik erneut diskriminiert. Etwa Homosexuelle. Bis in die 1960er-Jahre beharrten die Juristen aus dem Ministerium auf dem Nazi-Paragrafen § 175 StGB – und sie taten das mit den Argumenten der Nazis: Der Röhm-Putsch habe ja gezeigt, wie gefährlich die Cliquen-Bildung unter schwulen Männern sei.

Worauf liegen weitere Themenschwerpunkte des Berichts?
Viele Juristen passten sich nur äußerlich der demokratischen Erneuerung an; vom Geist des Grundgesetzes waren sie nicht durchdrungen. Sie waren bloße Rechtstechniker. Ab 1959 entwarfen sie etwa ein geheimes Kriegsrecht. Vom Grundgesetz nicht gedeckt, war darin sogar eine Neuauflage der berüchtigten »Schutzhaft« vorgesehen.

Welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?
Es gibt kein Ende der Geschichte. Auch heute gibt es Gefahren für Humanität und Freiheit, denen Juristinnen und Juristen an ihrem jeweiligen Platz widerstehen müssen. Das Wissen um die Geschichte schärft die Sinne dafür, wenn Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit infrage gestellt werden. Deshalb starten wir im Ministerium ein neues Fortbildungsprogramm. Das Unrecht, das deutsche Juristen im 20. Jahrhundert angerichtet haben, sollte auch Pflichtstoff der Juristenausbildung werden.

Mit dem Bundesjustizminister sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.

»Die Akte Rosenburg – Das BMJ und die NS-Zeit« wird am 10. Oktober im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz der Öffentlichkeit vorgestellt.

Judenhass

AJC Berlin: »pro-palästinensische« Demos erinnern an Querdenker

Israelfeindliche Demonstranten und Querdenker? Aus Sicht des Direktors des American Jewish Committee gibt es da durchaus Gemeinsamkeiten. Was er jetzt von der deutschen Zivilgesellschaft erwartet

von Johannes Peter Senk  14.07.2025

Berlin

Lahav Shapira verklagt FU: Prozess beginnt Dienstag

Der attackierte Student wirft seiner Universität vor, zu wenig gegen Antisemitismus auf dem Campus getan zu haben

 14.07.2025 Aktualisiert

Berlin

Israelfeindliches Protestcamp im Regierungsviertel muss umziehen

Als Alternativstandorte wurden den etwa 60 Bewohnerinnen und Bewohnern der Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof oder eine Wiese im Tiergarten hinter dem Haus der Kulturen der Welt angeboten

 14.07.2025

München

Im Herzen ist sie immer ein »Münchner Kindl« geblieben

Seit 40 Jahren ist Charlotte Knobloch Präsidentin der IKG München. Sie hat eine Ära geprägt und das Judentum wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt

von Christiane Ried  14.07.2025

Jubiläum

Münchner Kultusgemeinde feiert Wiedergründung vor 80 Jahren

Zum Festakt werden prominente Gäste aus Politik und Gesellschaft erwartet

 14.07.2025

Dänemark

Mullah-Spion nach Deutschland überstellt

Der 53-jährige Däne mit afghanischen Wurzeln soll für den Iran jüdische und pro-israelische Ziele in Berlin ausspioniert haben

 14.07.2025

Essay

Wie es zur Katastrophe von Srebrenica kam

Vor 30 Jahren wurden 8372 Bosniaken ermordet - es war der erste Genozid in Europa seit der Schoa

von Alexander Rhotert  14.07.2025

Baden-Württemberg

Schoa-Relativierung vor Kirche in Langenau

Weil ein Pfarrer die Massaker vom 7. Oktober verurteilte, steht er im Visier israelfeindlicher Aktivisten. Zur jüngsten Kundgebung reiste auch Melanie Schweizer an

von Michael Thaidigsmann  14.07.2025

Berlin

Linke und Wegner streiten um israelische Flagge vor Rotem Rathaus

Die Linken-Fraktion im Bezirk Mitte fordert den Senat auf, die israelische Nationalflagge abzuhängen. Der Regierende Bürgermeister weigert sich und erhebt Vorwürfe gegen Die Linke

 14.07.2025