Justiz

Prozess gegen Mustafa A.: Eine Tat, drei Zeugen und viele offene Fragen

Der Angeklagte steht mit seinem Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli (l) beim Prozess wegen einer Attacke auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira im Kriminalgericht Moabit. Foto: picture alliance/dpa
Die Anklage

Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft Mustafa A. vor, im Februar 2024 seinen jüdischen Mitstudenten Lahav Shapira vor einer Bar attackiert und schwer verletzt zu haben. Shapira erlitt mehrere Frakturen an Augenhöhle und Nase und eine Hirnblutung. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass antisemitische Motive der Grund für den Angriff waren. Mustafa A. habe Lahav Shapiras Perspektive auf den Nahostkonflikt und seine Religion vermischt, sagte der zuständige Staatsanwalt zu Journalisten am Rande des Prozesses. »Diese Gemengelage machte Lahav Shapira zum Opfer einer Straftat.«

Das Motiv ist für das Strafmaß entscheidend: Sollte kein antisemitischer Beweggrund nachweisbar sein, könnte es im Fall einer Verurteilung bei einer Bewährungsstrafe bleiben. Wenn doch, gilt eine Gefängnisstrafe als wahrscheinlich.

Der Angeklagte

Mustafa A. erklärt sich zunächst nicht selbst, sein Anwalt verliest sein Statement. Es klingt nach einer klassischen Aufstiegsgeschichte: Mustafa A. wird 2000 in Neukölln als Sohn von palästinensischen Flüchtlingen aus dem Libanon geboren. Er wächst mit 5 Geschwistern auf, die 4 Jungs teilen sich ein Zimmer. Mustafa ist gut in der Schule, kommt aufs Gymnasium, macht Abitur, später studiert er auf Lehramt, Geschichte und Philosophie. Er hat keine Vorstrafen.

Ihm »missfiel die Art und Weise«, wie sein Kommilitone Lahav Shapira in der Whatsappgruppe moderiert habe, erklärt er später selbst. Er habe ihn angeschrieben, die beiden hätten sich ausgetauscht. Auch Lahav will Lehrer werden, er ist Administrator in einer Chatgruppe mit über 400 Studierenden. Regelmäßig greift er dort ein, wenn problematische Inhalte gepostet werden. Mustafa A. lobt ihn, als er Kommilitonen zurechtweist, die sich rassistisch über Neuköllner Schulen äußern. Als Lahav Shapira Mitglieder entfernt, weil sie nach seiner Einschätzung antisemitische Inhalte verbreiten, findet er das ungerecht.

Die Folgen des Tritts in das Gesicht von Lahav Shapira sieht man noch heute.

Deswegen habe er Shapira an jenem Abend im Februar 2024 vor einer Bar angesprochen, sagt er. Es habe sich ein Streit entwickelt. Dann habe er zugeschlagen, und schließlich getreten. Er habe unterschätzt, wie stark er Lahav dadurch schädigen könnte, und bereue es. Mustafa A. ist Kickboxer, später werden in seiner Wohnung entsprechende Utensilien und ein Mitgliedsausweis in einem Kampfsportverein festgestellt. Die Folgen des Tritts in das Gesicht seines Kommilitonen sieht man noch heute. Die Gewaltattacke sei eine »Kurzschlussreaktion« gewesen, sagt er.

Der Vorfall und das Medieninteresse haben ihn und seine Familie belastet, sagt Mustafa A. Zwei Monate später stellt er sich selbst im Krankenhaus vor, er habe 10 Paracetamoltabletten und Vitamin D eingenommen, ein Suizidversuch.

Nach dem Krankenhausaufenthalt beginnt A. eine Therapie, absolviert ein Anti-Gewalt-Training. Die Freie Universität erteilt ihm ein Hausverbot, er exmatrikuliert sich selbst und findet einen neuen Job im Vertrieb. Er zieht nach München, lernt eine Partnerin kennen.

Mustafa A. wolle einen Neuanfang, sagt sein Anwalt. In seiner Darstellung klingt es, als sei der Angriff auf Shapira ein Ausrutscher in einem unauffälligen Leben, das glatt bergauf ging. Der Tritt, der seinen Kommilitonen auch töten hätte können, scheint völlig aus dem Nichts zu kommen. Auch seine Psychologin, deren Einschätzung auf Ansinnen des Anwalts verlesen wird, bescheinigt A. eine »einmalige gewaltvolle Handlung« aus dem Affekt.

Das Motiv

Hat ein antisemitisches Motiv bei der Attacke eine Rolle gespielt? »Auf keinen Fall«, meint Mustafa A. »Mir ging es nicht um Politik, sondern mehr um meine Kommilitonen«. Ihm habe der Umgangston von Lahav Shapira nicht gepasst. »Es widerspricht meinem Bild von einem toleranten Miteinander und fairen Gesellschaft«.

Er sei an der Uni nie bei propalästinensischen Veranstaltungen gewesen, behauptet Mustafa A. Bei der brutalen Gewalttat auf offener Straße habe er sich »in seinen Emotionen verloren«.

Die Zeugen

Drei Zeugen werden an diesem Tag vernommen, die den Vorfall direkt mitbekommen haben: Eine Freundin von Lahav Shapira, die ihn an dem Abend begleitete, und zwei junge Menschen, die sich vor einem Imbiss hingesetzt hatten und die Gewalttat beobachteten.

»Ich glaube, der wollte das, was er vor sich hatte, vernichten.«

ein zeuge über mustafa a.

Unterm Strich schildern die drei die Tat ähnlich: Eine sehr kurze Auseinandersetzung zwischen Lahav Shapira und Mustafa A., mal als Streit wahrgenommen, mal als einseitiges, bereits aggressives Ansprechen. Dann ein Schlag, vielleicht zwei, als Lahav am Boden hockt oder liegt der Tritt.

Sie habe »ein dumpfes Knirschen« gehört, sagt eine Zeugin, auch wenn sie ein paar Meter entfernt war. Es sei »Blut gespritzt«, sagt ihr Begleiter. In Mustafas Gesicht habe er »sehr viel Zorn« gesehen. Den Polizisten sagt er später, Mustafa sei ihm wie in einem Blutrausch vorgekommen. »Ich glaube, der wollte das, was er vor sich hatte, vernichten.«

Die Vorgeschichte

Schon am ersten Tag des Prozesses werden Screenshots vorgelegt, die erahnen lassen, in welchem Klima sich Mustafa A. und Lahav zunächst digital begegnen. In zwei Chatgruppen, in denen beide Mitglied sind, und in denen sich Lehramtstudierende eigentlich zu Unithemen austauschen wollen, wird nach dem 7. Oktober 2023 auch der Nahostkonflikt Thema.

Wenn Kommilitonen zu oft den gleichen Demoaufruf teilen oder antisemitische Inhalte posten, habe er sie angeschrieben und auch mal entfernt, sagt Shapira. Er schafft es nicht immer, gelassen zu bleiben. Die Screenshots zeigen auch, dass er bei der Gruppenmoderation gereizt wirkt. Einmal beleidigt er seine Kommilitonen als »pubertäre Wichser«.

Im Dezember 2023 wird an der Freien Universität ein Hörsaal von propalästinensischen und israelfeindlichen Gruppen besetzt, einige davon werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Lahav und ein paar Mitstreiter kommen dazu, er reißt vor dem Hörsaal zwei Plakate ab, die er als antisemitisch einstuft. Es kommt zu einem Geschubse, ihm und anderen jüdischen sowie pro-israelischen Studierenden wird der Zugang zum Hörsaal zunächst verweigert.

Später geht die Auseinandersetzung um die Plakate im Hörsaal weiter. Lahav wird dabei gefilmt. Ein Zusammenschnitt davon landet im Netz, wird über eine Million Mal angesehen. Auch Mustafa sieht das Video. Am Abend, kurz bevor er zuschlägt, wird er Lahav auf das Abreißen der Plakate ansprechen. Er selbst sei nicht vor Ort gewesen.

Nach der Auseinandersetzung vor dem Hörsaal wird in den Unichatgruppen eine Bildkollage mit Fotos von Lahav Shapira geteilt. »Dieser Zionist ist Student an unserer Uni und ist bei jeder Demo dabei um alles zu zerstören und sich als Opfer darzustellen«, so beginnt der Text dazu. Lahav wird als Feind markiert. Er selbst nennt es vor Gericht eine »Hetzjagd«. Er sei mit dem Teufel verglichen worden. In einer zweiten Gruppe fragt jemand: »Ist der Admin Jude?« –»Ja« –»Die regieren nicht nur die Welt sondern auch unsere Whatsappgruppe«. Später schreibt jemand über Lahav, »der braucht mies Schläge«.

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Bei all dem scheint der Angeklagte erstmal nur mitzulesen. Er selbst will nichts Antisemitisches gepostet haben, das bestätigt auch Lahav Shapira. Aber die zwei schreiben sich in einem privaten Chat. Was als nette Unterhaltung beginnt, wird aggressiver. Lahav empfindet bestimmte Aussagen als bedrohlich. Screenshots davon werden an diesem Tag noch nicht im Gericht gezeigt.

Der mögliche Beweis

Einen möglichen Beleg, dass auch Mustafa A. antisemitisch motiviert war, finden sich offenbar nicht in den Chatgruppen. Doch der Staatsanwalt legt gegen Mittag einen Screenshot aus Mustafas A.s Handy vor. Am Tag nach der Attacke hatten Polizistinnen die Wohnung der Familie durchsucht. Dabei wurde ein Handy in Mustafa A. Hosentasche sichergestellt, von dem er zunächst behauptete, es sei gar nicht sein Telefon. Doch die Nummer stimmte.

Auf dem Handy konnte die Polizei ein kurzes Video aus der App Snapchat ausfindig machen. Auf dem dunklen Ausschnitt, so sagt die Polizistin, die die Bilder sicherstellte, seien der Tatort, die Zeugen und wohl auch der verletzte Shapira zu sehen. Das Video wurde untertitelt: »Musti hat diesen Judenhurensohn totgeschlagen polizei full here«.

Wer das Video aufgenommen hat, mit dem Spruch versehen und verschickt hat, soll in den folgenden Prozesstagen geklärt werden. Klar ist, dass damit entweder Mustafa A. selbst oder ein Dritter die Gewalt unmittelbar nach der Tat in einen eindeutigen antisemitischen Rahmen gesetzt haben. Wie sich das auf den weiteren Prozess auswirkt, könnte sich am nächsten Verhandlungstag am kommenden Donnerstag herauskristallisieren.

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