Interview

»Die AfD wird so schnell nicht wieder verschwinden«

Herr Lewandowsky, die Alternative für Deutschland feierte dieser Tage ihr zehnjähriges Bestehen als Partei. Wie groß ist ihr Wählerreservoir, und hat sie es vermocht, es in den letzten Jahren zu vergrößern?
Das Wählerpotenzial der AfD hat sich in den letzten Jahren verfestigt. Die Menschen wählen AfD nicht mehr nur aus vagem Protest, sondern auch aus Überstimmung mit den sehr rechten Positionen der Partei im politischen Spektrum. Und sie wählen AfD, weil diese Partei wie keine zweite die Kritik bis hin zur Ablehnung der liberalen Demokratie artikuliert. Hier stimmen Partei und Wählerschaft überein. Außerdem sehen wir, dass viele AfD-Wähler sich ein Stück weit »eingemauert« haben. Mit anderen Worten: Von allen Parteien in Deutschland hat die AfD mittlerweile den prozentual größten Anteil an Stammwählern. AfD-Wähler sind am wenigsten bereit, auch einmal die Wahl einer anderen Partei in Betracht zu ziehen. Das bedeutet: Sie können von den Mainstream-Parteien nicht mehr erreicht werden - zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt.

Gilt das in besonderem Maße für Ostdeutschland, wo die AfD besonders stark ist, oder auch im Westen?
Wir erkennen in ganz Deutschland eine relativ starke Verankerung der Partei bei ihrer Wählerschaft, wobei sie in Ostdeutschland nochmals deutlich größer ist.

Die AfD wird uns also in den nächsten Jahren als politische Kraft erhalten bleiben?
Ja. Wer bestimmte rechte politische Einstellungen hat, wird die AfD wählen, weil diese das entsprechende Programm dafür liefert. Die Partei hat sich in ihrem Potenzial, das ich auf circa zehn bis 15 Prozent der Wählerschaft schätze, festgesetzt.

In der Vergangenheit gab es immer wieder rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien wie »Die Republikaner«, die gute Ergebnisse bei Landtagswahlen einfuhren, kurze Zeit später aber wieder in der Versenkung verschwanden. Warum ist das bei der AfD anders?
Es liegt unter anderem daran, dass die Union unter Führung Angela Merkels deutlich in die politische Mitte gerückt ist. Es gab in der Folge spürbare Absetzbewegungen am rechten Rand der CDU. Alexander Gauland und andere wanderten ab. Zudem hat die AfD davon profitiert, dass sie nicht nur aus einem plötzlich aufgekommenen Protestpotenzial entstanden ist wie zuvor die Republikaner, sondern ein Zusammenschluss verschiedener Netzwerke war, die viel breiter ausdifferenziert waren, als es der rasche Gründungsprozess auf den ersten Blick vermuten ließe. Da gab es Ökonomen, da war die Gruppe um Beatrix von Storch, und von Anfang an auch die Rechtsaußen. Einige der Gründerväter sind natürlich mittlerweile wieder weg, aber die Partei konnte in den ersten Jahren enorm davon profitieren, dass sie relativ breit aufgestellt war.

Und dann kam die Flüchtlingskrise …
Genau. Alexander Gauland nannte die nicht umsonst etwas zynisch einen »Glücksfall« für die AfD. Es war dieses Thema, das der Partei enorm gute Wahlergebnisse bescherte. Die AfD schafft es immer wieder, das gemeinsame Krisennarrativ auf verschiedene Ereignisse anzuwenden. Im Grunde ist das immer die gleiche Erzählung: »Wir sind in der Krise, die da oben nehmen uns unsere Demokratie weg, dabei sind wir doch die eigentlichen Demokraten.« So lautete das Narrativ während der Euro-Krise, während der Flüchtlingskrise und auch jüngst in der Corona-Pandemie.

Welche Leute wählen AfD?
Es sind überwiegend Menschen, die politisch sehr weit rechts stehen, unzufrieden sind mit der Demokratie und möglicherweise ein anderes System wollen – eine illiberale Demokratie zum Beispiel. Man kann es so auf den Punkt bringen: Wer rechts ist, aber immer noch halbwegs zufrieden ist mit der Demokratie, wählt wahrscheinlich weiterhin die Union. Aber wer rechts ist und unzufrieden, der wählt heutzutage AfD.

Wie können die etablierten Parteien, vor allem die CDU, aber auch die anderen, mit diesem Phänomen umgehen?
Die Union ist in einer sehr schwierigen Situation. Der Versuch, die AfD durch Themensetzung wieder einzufangen, ist nämlich nicht zwingend von Erfolg gekrönt. Das geht zumindest aus den Erkenntnissen und Daten hervor, die uns vorliegen. Das liegt daran, dass die AfD nicht nur aufgrund thematischer Übereinstimmungen gewählt wird, sondern auch wegen Unzufriedenheit mit der Demokratie und einem tiefen Misstrauen in die regierenden Eliten. Das bedeutet, dass die sogenannten Mainstream-Parteien – was nicht despektierlich gemeint ist – ein hohes Risiko eingehen, wenn sie versuchen, die AfD-Wähler thematisch dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Denn viele blocken jeden Versuch ab, sie zurückzugewinnen. Hinzu kommt, dass die Union, wenn sie nach rechts rückt, riskiert, moderat-konservative Wähler zu verschrecken.

Welchen Stellenwert haben antisemitische Verschwörungstheorien bei der AfD?
Antijüdische Einstellungen sind zumindest in der Wählerschaft der AfD relativ weit verbreitet. Das kann man messen, wenn man beispielsweise die Frage stellt, ob jemand glaubt, dass Juden zu viel Einfluss und Macht in der Welt ausüben. Die Zustimmung zu dieser Aussage ist im AfD-Spektrum relativ hoch ausgeprägt, gerade im Vergleich zu den Anhängern anderer Parteien. Hinzu kommen oft noch andere problematische Einstellungen: Rassismus, Ausländerfeindlichkeit et cetera.

Die AfD schwingt sich dennoch ab und an zum Freund Israels und der Juden auf. Wie passt das zusammen?
Das hat vor allem damit zu tun, dass man das als antimuslimische Position ausspielen will. Das ist aber kein genuiner Einsatz für den Staat Israel, da geht es vielmehr um vordergründige, taktische Erwägungen.

Was würde passieren, wenn die AfD aus einer Wahl als stärkste Kraft hervorginge? Wie sollten die anderen Parteien damit umgehen?
Das würde vor allem die Union in die Zwickmühle bringen. Die hat sich ja bislang zuvörderst dem Kampf gegen die politische Linke verschrieben. Die Strategie von Friedrich Merz könnte sich auch als kontraproduktiv erweisen, weil er die CDU-Landesverbände in gewisser Weise in die Arme der AfD treibt. In Thüringen könnte ein solches Szenario durchaus bald Realität werden. Die CDU sitzt dort in einer Falle: Entweder sie koaliert mit der Linkspartei oder mit der AfD. Beides würde sie vor eine immense interne Zerreißprobe – nicht nur in den jeweiligen Bundesländern – stellen. Insofern muss das für Friedrich Merz ein absolutes Horrorszenario sein.

Strebt die AfD überhaupt eine Regierungsbeteiligung an, oder gefällt sie sich in der Rolle der Fundamentalopposition?
Alexander Gauland sagte einst einmal, solange wir nicht 50 Prozent plus eine Stimme haben, sollten wir in keine Regierung eintreten. Auf Bundesebene ist das auch kein Thema. Aber auf Landesebene könnte eine Regierungsbeteiligung durchaus attraktiv sein für die Partei. Ein Ministerpräsident Björn Höcke – ich sage nicht, dass er das wird – hätte parteiintern noch mehr Macht, als er jetzt schon hat. Für wahrscheinlicher aber halte ich, dass die AfD als stärkste Kraft versuchen wird, die anderen Parteien vor sich herzutreiben und zu schwierigen Kompromissen zu nötigen. Sie braucht dann nur abzuwarten und kann sich als Stabilitätsanker präsentieren.

Wenn Sie zehn Jahre vorausblicken, wo sehen Sie die AfD dann im Vergleich zu heute: stärker, schwächer oder gleich stark?
Der Status auf dem Wählermarkt hängt sehr davon ab, wie sehr der Partei bestehende Krisen in die Hände spielen und wie sehr sie Krisen ausschlachten kann. Ich glaube nicht, dass die AfD so schnell wieder verschwinden wird; ich wäre zumindest überrascht, wenn sie es täte. Aber ich wäre gleichermaßen überrascht, wenn aus ihr eine der großen Parteien in Deutschland werden würde.

Mit dem Politikwissenschaftler und Populismusforscher Marcel Lewandowsky, der momentan an der Universität Greifswald tätig ist, sprach Michael Thaidigsmann.

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