Islamverbände

Dicke Luft

Die Teilnahme des Zentralrats der Muslime an der Solidaritätskundgebung des Zentralrats der Juden wird kritisiert. Foto: Marco Limberg

Im Koordinationsrat der Muslime (KRM), der 2007 gegründeten Arbeitsplattform von Deutschlands vier größten Islamverbänden, herrscht derzeit dicke Luft. Der Grund: Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, besser bekannt unter dem Namen DITIB, erhob am 9. März in einer Erklärung massive Vorwürfe gegen den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime (ZMD), Aiman Mazyek. Dieser habe durch sein Verhalten den Eindruck entstehen lassen, »die im KRM vertretenen Verbände seien mit Ausnahme des ZMD beim Thema Antisemitismus unkritisch oder unsensibel«. Sogar von einem Vertrauensbruch war die Rede.

Auslöser des Clinchs war die Teilnahme Mazyeks an der vom Zentralrat der Juden veranstalteten Kundgebung gegen Antisemitismus am 14. September vergangenen Jahres in Berlin. Dabei habe Mazyek sich im Vorfeld zunächst gegen eine Teilnahme ausgesprochen, um dann den anderen Verbandsvertretern weniger als eine Stunde vor Beginn der Demonstration zu erklären, dass er nun doch hingehen werde, so lautet der Vorwurf.

signal »Eingeladen waren der Zentralrat der Muslime und DITIB«, erklärt Mazyek. »Wenn es denn überhaupt eine Abstimmung gegeben hätte, dann nur zwischen diesen beiden Islamverbänden und nicht im KRM.« Zudem wundert sich der Zentralratsvorsitzende, warum DITIB erst im März ein Ereignis zur Sprache bringt, das bereits ein halbes Jahr zurückliegt. »Unmittelbar nach der Kundgebung gegen Antisemitismus hat es ja keinerlei Reaktionen gegeben.« Aber nicht nur deshalb erscheint ihm die von DITIB geäußerte Kritik absolut unverständlich. »Was ist das überhaupt für ein Signal nach außen?«, fragt Mazyek und hofft: »Ich gehe weiter davon aus, dass in der Haltung gegen Rassismus und Antisemitismus unter uns bei aller Meinungsverschiedenheit absolut Konsens herrscht.«

Den Streit als Ausdruck einer Rivalität der beiden Islamverbände zu deuten, hält Mazyek für irreführend. »Lasst uns sachlich weiter über Inhalte und Qualität, wie Islam in Deutschland gestaltet wird, streiten und nicht darüber, wer der größte Verband ist. Quantitativ ist das natürlich DITIB.«

DITIB-Generalsekretär Bekir Alboga sieht das ein wenig anders. »Die Teilnahme an einer solchen Kundgebung hätte nur über den Koordinationsrat beschlossen werden dürfen«, meint der Islamwissenschaftler und Referatsleiter für interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit. »Dort werden in brüderlicher Zusammenarbeit alle Angelegenheiten, die die Muslime in Deutschland betreffen, diskutiert und dann eine gemeinsame Vorgehensweise beschlossen.« Dafür sei der KRM eigens geschaffen worden. »Diese Beratungstradition wollten wir einfach nicht preisgeben.« Intern habe es nach der Demonstration vom 14. September Gespräche mit Mazyek gegeben, aber ohne greifbare Ergebnisse. »Deshalb die späte Reaktion.«

Andere Verbände, die im KRM sitzen, dürften nicht gerade glücklich über die Tatsache sein, dass ausgerechnet zum Thema Antisemitismus in der Öffentlichkeit ein erbitterter Streit ausgetragen wird. Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrats, dessen größter Mitgliedsverein die Milli-Görüs-Gemeinden sind, die als Sammelbecken türkischer Islamisten gelten, erklärte gegenüber der Islamischen Zeitung, dass solche Differenzen doch besser intern geklärt werden sollten.

konkurrenz Für Nina Ahadi dagegen sind diese Streitigkeiten im Koordinationsrat nichts Neues oder gar Überraschendes. »Selbstverständlich geht es um Einfluss und Macht«, glaubt die 1. Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime. »Mazyek hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel kürzlich nach Saudi-Arabien begleitet oder war auch bei der Mahnwache am Brandenburger Tor anlässlich der Anschläge von Paris ganz vorne mit dabei.« Damit ist der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime zu so etwas wie zum Gesicht des Islam in Deutschland und gefragten Ansprechpartner der Bundesregierung geworden. »Das passt DITIB natürlich überhaupt nicht.«

Und es gibt eine ethnische Komponente. »Hinter DITIB steht die Türkei, während im Zentralrat vor allem arabische Muslime das Sagen haben.« Letztendlich dreht sich Ahadis Einschätzung nach alles um die Frage, wer die Muslime in Deutschland repräsentiert. »Und die absolute Mehrheit von ihnen ist mit keinem der im Koordinationsrat vertretenen Islamverbände einverstanden oder fühlt sich gar von ihnen vertreten.«

Interview

»Diskrepanzen zwischen warmen Worten und konkreten Maßnahmen«

Nach dem Massaker von Sydney fragen sich nicht nur viele Juden: Wie kann es sein, dass es immer wieder zu Anschlägen kommt? Auch der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, sieht Defizite

von Leticia Witte  22.12.2025

Washington D.C.

Kritik an fehlenden Epstein-Dateien: Minister erklärt sich

Am Freitag begann das US-Justizministerium mit der Veröffentlichung von Epstein-Akten. Keine 24 Stunden später fehlen plötzlich mehrere Dateien - angeblich aus einem bestimmten Grund

von Khang Mischke  22.12.2025

Australien

Behörden entfernen Blumenmeer für die Opfer von Bondi Beach

Die Regierung von New South Wales erklärt, man habe sich vor dem Abtransport der Blumen eng mit der jüdischen Gemeinde abgestimmt

 22.12.2025

Sydney

Attentäter warfen Sprengsätze auf Teilnehmer der Chanukka-Feier

Die mutmaßlichen Attentäter Naveed und Sajid Akram bereiteten sich auf das Massaker vor. Ihre Bomben explodierten nicht

 22.12.2025

New York

Tucker Carlson ist »Antisemit des Jahres«

Die Organisation StopAntisemitism erklärt, ausschlaggebend seien Beiträge, in denen er erklärten Judenhassern, Holocaustleugnern und extremistischen Ideologen eine große Bühne geboten habe

 22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Gaza

Das Problem mit der Entwaffnung

Die Hamas weigert sich strikt, die Waffen niederzulegen. Was Zustimmung in der palästinensischen Bevölkerung findet und den Friedensplan stocken lässt

 21.12.2025 Aktualisiert

Interview

»Die Zustände für Juden sind unhaltbar. Es braucht einen Aufstand der Anständigen«

Zentralratspräsident Josef Schuster über den islamistischen Anschlag von Sydney und das jüdische Leben in Deutschland nach dem 7. Oktober

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025