Falsche Gemeinden

Der Oberrabbiner von Parchim

Ein Kapitel aus dem jüngsten Verfassungsschutzbericht des Freistaates Bayern (Symbolbild) Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Als sich am 2. April 2009 in Zeitz im Süden Sachsen-Anhalts elf Personen trafen, wollten sie vermeintlich eine neue Jüdische Gemeinde bilden. Nach »kurzer Diskussion über die Notwendigkeit der Gründung einer Jüdischen Gemeinde zu Zeitz« riefen sie diese angebliche Jüdische Gemeinde ins Leben. Das zeigt das Gründungsprotokoll des Vereins. Anschließend ließ der frisch gewählte Vorstand den Verein ordnungsgemäß ins Vereinsregister eintragen.

Mehrere Gründer können der Reichsbürger-Szene zugerechnet werden. Darunter waren mindestens drei Anhänger der »Justiz-Opfer-Hilfe«, einer Reichsbürger-Organisation, die sich um die angeblichen Opfer der bundesdeutschen Justiz kümmern will. Auch der Vorsitzende verfügte - zumindest zur Zeit der Gründung - über Verbindungen in die Szene der Reichsbürger. Bis heute ist er in einer Vereinigung aktiv, die von Behörden dem Spektrum zugerechnet wird.

»Persönliche Beziehungen« Die »Jüdische Gemeinde zu Zeitz« stehe »allen Juden offen«, heißt es in der Vereinssatzung. Einige der Gründer geben inzwischen an, keine persönliche Beziehung zum Judentum zu haben. Ob überhaupt ein Jude unter den Vereinsgründern war, ist fraglich.

Besonders perfide: In der bei der Gründung verabschiedeten Satzung heißt es: »Die Jüdische Gemeinde zu Zeitz konstituiert sich unter Aufnahme und Fortsetzung der Traditionen als direkte Nachfolgerin der Jüdischen Gemeinde in Zeitz, die im Holocaust ausgelöscht worden ist.« Schaut man sich die Vereinsgründer an, wirkt dieser Satz wie Hohn: Darunter war ein Mann, der sich im direkten Umfeld von Holocaust-Leugnern bewegt hat.

Die »Jüdische Gemeinde zu Zeitz« ist bis heute als eingetragener Verein aktiv. Der Vereinssitz liegt in der Zeitzer Innenstadt. Doch das Gebäude, das der Sitz dieser Vereinigung sein soll, steht leer, wirkt verwaist. Nicht mal am Briefkasten ist etwas von der angeblichen »Gemeinde« zu lesen. Eigentümer sollen weder der Verein noch Personen aus der Gruppierung sein.

»Gemeinnützige Zwecke« Im Ort selbst kennt niemand diese angebliche jüdische Religionsgemeinschaft. In der Öffentlichkeit tritt der Verein nicht auf. Ob die »Jüdische Gemeinde zu Zeitz« durch das zuständige Finanzamt als gemeinnützig anerkannt ist, bleibt offen. Das Steuergeheimnis verbietet solche Auskünfte. Laut der Satzung jedenfalls verfolge der Verein »ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke«.

Ähnliche Gründungen gab es bereits in Brandenburg, Schleswig-Holstein, Hessen und Sachsen. Zwischenzeitlich hatten vermeintlich jüdische Reichsbürger sogar versucht, einen eigenen Bundesverband zu gründen.
Als Ende 2014 zahlreiche Polizeikräfte ein Gebäude eines mutmaßlichen Reichsbürger-Trios in der Nähe von Bad Driburg in Nordrhein-Westfalen stürmten, entdeckten die Ermittler auch hier Hinweise auf eine angebliche »Jüdische Gemeinde«. Eine der Bewohnerinnen hatte sich auch im Netz als Jüdin ausgegeben. Die Polizisten stellten neben Waffen und Munition auch Nazi-Devotionalien sicher.

Später notierte die Polizei dazu: »Vermutlich zu Tarnungszwecken und zur Irreführung der Behörden firmierte die Gruppe dort unter dem verschleiernden Namen «Jüdische Gemeinde Ahrensbök, Gemeindezweig Bad Hermannsborn».

Antrag auf Fördergelder Was neben der Täuschung von Behörden der Zweck dieser Gründungen von vermeintlich jüdischen Institutionen ist, bleibt unklar. Doch offenbar wollten die Reichsbürger zumindest mit einzelnen Vereinen noch weiter gehen: In Sachsen meldete eine durch Reichsbürger initiierte «Israelitische Religionsgemeinde» vergeblich Ansprüche auf einen alten jüdischen Friedhof an. In Schleswig-Holstein beantragte die «Jüdische Gemeinde Ahrensbök» - ebenfalls vergeblich - Fördergelder bei der Gemeinde.

Anfang 2017 gründete sich im Taunus eine «Jüdische Gemeinde Falkenstein». Diese angebliche Gemeinde ist dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen nicht bekannt, wie auch Nachforschungen des Verfassungsschutzes in Hessen ergaben. Zwar fiel diese vermeintliche «Jüdische Gemeinde» den Verfassungsschützern in der Vergangenheit noch nicht auf. Deren «2. Vizepräsident» kommt aus der Nähe von Falkenstein und soll Behörden durchaus als «Querulant» und Reichsbürger bekannt sein. Inzwischen scheint er nach Aserbaidschan ausgewandert zu sein.

Eine schillernde Person in der Szene der Reichsbürger, die sich als Juden ausgeben, ist der 75-jährige Iwan Götz. Während er lange als Anhänger des Deutschen Reiches und radikaler Antisemit auftrat, bezeichnet er sich seit mehreren Jahren als «Oberrabbiner». Wie das zusammenpasst mit der Leugnung der Schoa, bleibt sein Geheimnis.

«Von Juden organisiert» Am Rande eines «Tags der Reichsdeutschen» in Anklam in Vorpommern sagte Götz 2007 in eine Fernsehkamera: «Diese Reichskristallnacht, das haben alles Juden organisiert» und «den Holocaust gab’s ja nicht». Götz trat damals als Präsident eines «Volks-Bundesrathes» auf, einer der unzähligen vermeintlich legalen Institutionen der Reichsbürger-Bewegung.

Bei seiner antisemitischen Agitation ist der in Russland geborene selbsternannte «Reichsdeutsche» bis heute geblieben. «Hitler wurde von Juden finanziert», behauptete Götz auch jüngst in einem ARD-Interview. Seine geschichtsfälschende These: Die führenden Nationalsozialisten seien entweder selbst Juden gewesen oder durch Juden finanziert worden. Zum «Oberrabbiner» habe er sich selbst ernannt, gab er zu. Die Gründungen der Schein-Gemeinden allerdings wollte er nicht erklären.

Berlin

Der falsche Konsens

Der israelische Militärhistoriker Danny Orbach stellt im Bundestag eine Studie und aktuelle Erkenntnisse zum angeblichen Genozid im Gazastreifen vor – und beklagt eine einseitige Positionierung von UN-Organisationen, Wissenschaft und Medien

 27.11.2025

USA

Staatsanwaltschaft rollt den Fall Etan Patz neu auf

Der jüdische Junge Etan Patz verschwindet am 25. Mai 1979 auf dem Weg zur Schule. Jahre später wird er für tot erklärt

 27.11.2025

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Düsseldorf

Breite Mehrheit im Landtag wirbt für Holocaust-Zentrum in NRW

Große Mehrheit im NRW-Landtag: Fast alle Fraktionen werben für NRW als Standort eines vom Bund geplanten Holocaust-Bildungszentrums. Bayern und Sachsen sind ebenfalls im Rennen

von Andreas Otto  27.11.2025

Terrorismus

Berlin: Waffenkurier der Hamas wohnte in unmittelbarer Nähe zu mehreren jüdischen Einrichtungen

Im Auftrag der Terrororganisation Hamas sollen mehrere Männer jüdische und proisraelische Ziele unter anderem in der Hauptstadt ausgespäht und Waffen eingeschmuggelt haben. Nun berichten »Zeit« und »Welt« über die Hintergründe

 27.11.2025

Bildung

Im Land der Täter

Bis März soll die Entscheidung fallen, wo die Dependance der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland angesiedelt wird

von Michael Thaidigsmann  27.11.2025

München

Uschi Glas: Christen müssen jüdische Mitbürger schützen

Uschi Glas mahnt Christen zum Schutz von Juden. Sie warnt vor neuer Ausgrenzung und erinnert an eigene Erfahrungen nach dem Krieg. Was sie besonders bewegt und warum sie sich Charlotte Knobloch verbunden fühlt

von Hannah Krewer  27.11.2025

Entscheidung

Uni Jena lehnt Prüfung von Kontakten mit israelischen Hochschulen ab

Die Friedrich-Schiller-Universität Jena wird Kooperationen mit israelischen Hochschulen nicht auf mögliche Verbindungen zum Militär überprüfen. Der Senat lehnte einen entsprechenden Antrag von Teilen der Professorenschaft ab

 27.11.2025

Berlin

Prozess um Angriff am Holocaust-Mahnmal: »Tat zugegeben«

Polizisten berichten von der Begegnung mit dem Angeklagten wenige Stunden nach der Tat

 27.11.2025