Olympia

Der Geist der Spiele

Foto: Reuters

Viel wird derzeit darüber diskutiert, ob die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi, die am Freitag beginnen, nicht besser hätten boykottiert werden sollen. Viele Politiker bleiben der Eröffnungsfeier in der Schwarzmeerstadt fern – aus Protest gegen die staatliche Diskriminierung Homosexueller und andere Menschenrechtsverletzungen.

US-Präsident Barack Obama hat stattdessen mit Billie Jean King eine berühmte lesbische Ex-Sportlerin in die US-Delegation berufen. Ein sympathisches politisches Zeichen. Doch wie Obama haben auch Bundespräsident Joachim Gauck und Israels Premier Benjamin Netanjahu ihre Abwesenheit wohlweislich nicht begründet. Nur die EU-Kommissarin Viviane Reding sagt offen, sie fahre nicht, weil dort Minderheiten unterdrückt werden.

Weltspektakel Für Boykott mag in vielen Fällen die Moral sprechen, aber dagegen spricht immer der Sport – und zwar deswegen, weil er genau dann politisch am wirksamsten ist, wenn er nur Sport ist. In Sotschi will Putin mit dem Weltspektakel Zustimmung zu dem erheischen, was er für ein modernes und starkes Russland hält: Heute ein extrem teures Wintersportevent, 2018 findet dann in Russland die Fußball-WM statt, und für 2024 bewirbt sich Sankt Petersburg um die Sommerspiele.

Wäre also ein Fernbleiben angemessen? Die Geschichte der olympischen Boykotte ist lang, sie kennt aber kein erfolgreiches Beispiel. 1980 etwa blieben die meisten Staaten des Westens Moskau fern, offiziell wegen des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan. 1984 boykottierte das Gros der Ostblockstaaten quasi als Revanche Los Angeles, angeblich wegen Sicherheitsbedenken. Nie hat der Boykotteur die von ihm erwünschten Ergebnisse erzielt.

Auch wenn man sich die Geschichte des israelischen Sports anschaut, der oft Opfer von willkürlichen Ausschlüssen wurde (und wird), lässt sich nicht behaupten, Boykott sei sinnvoll. Israel hat nie selbst boykottiert, sondern stets reklamiert, ein Recht auf Sport zu haben. So wurde das Land stärker.

Das Recht auf Teilhabe zu erstreiten, ist die Botschaft des Sports. Der Sport mit seinen universellen Grundsätzen passt zu demokratischen Ländern, passt zu einem Land wie Israel: Alle Athleten sind am Start gleich, ohne Ansehen ihrer Religion, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder ihrer sexuellen Orientierung. Weil diese Regeln überall gelten, entfaltet der Sport seine Kraft, Menschen zusammenzuführen.

Judenverfolgung Der britische Autor und Comedian Stephen Fry beklagt die Anfeindungen von Schwulen und Lesben in Russland. In einem Offenen Brief zieht er sogar Parallelen zur nationalsozialistischen Judenverfolgung. Und er erinnert – als Jude und Homosexueller – an die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Putin wiederhole auf unheimliche Weise die wahnsinnigen Verbrechen, und die Welt schaue erneut zu, so Fry.

Den Verweis auf Berlin 1936 liest und hört man auch anderswo dieser Tage. Dieser läuft Gefahr, die Monstrosität der NS-Verbrechen zu relativieren. Aber wenn man sich schon auf den falschen Vergleich einlässt, sollte man auch Folgendes betrachten: Von den Nazispielen 1936 in Berlin etwa glauben bis heute die meisten Menschen, niemand habe sie boykottiert. Doch das stimmt nicht, es ist nur vergessen. Die Regierung der spanischen Republik entsandte aus guten politischen Gründen keine Sportler zu Hitlers Propaganda-Spektakel. Und viele einzelne, meist jüdische, Sportler blieben dem Ereignis fern. Ihnen wurde dann in ihrer Heimat vorgeworfen, sie trügen damit die Politik in den Sport, die Spiele würden zusätzlich politisch instrumentalisiert.

Doch weder an die einsame Boykottentscheidung der spanischen Regierung noch an die mutig und moralisch handelnden einzelnen Sportler erinnern sich noch viele Menschen.

Brücken Es heißt ja immer, der Sport sei völkerverbindend, er baue Brücken zwischen Menschengruppen, die auch heute noch »Rassen« genannt werden, er überwinde Schranken, lehre Kinder soziales Verhalten und sei gesund. All diese – wirklichen oder angeblichen – Vorzüge des Sports sind politisch.

Dass der Sport damit Ausdruck der bürgerlichen Gesellschaft ist, kann man kritisieren und überwinden wollen. Und erst recht darf man infrage stellen, ob das Internationale Olympische Komitee ein guter Sachwalter des Sports ist. Aber hinter den zivilisatorischen Fortschritt namens Weltsport darf man nie zurückfallen.

Also gilt: Der Sport und damit die Grundgedanken des Sports müssen die Welt erobern – auch die Teile der Welt, in denen elementare Menschenrechte verweigert werden. Der Sport ist ein Menschenrecht wie die freie Rede: Indem er ausgeübt wird, entsteht eine freie Gesellschaft. Der Sport ist nämlich eine durch und durch liberale Veranstaltung. Boykott wirkt einfach nicht – auch da nicht, wo er aus moralischen Gründen dringend geboten ist oder war.

Judenhass

AJC Berlin: »pro-palästinensische« Demos erinnern an Querdenker

Israelfeindliche Demonstranten und Querdenker? Aus Sicht des Direktors des American Jewish Committee gibt es da durchaus Gemeinsamkeiten. Was er jetzt von der deutschen Zivilgesellschaft erwartet

von Johannes Peter Senk  14.07.2025

Berlin

Lahav Shapira verklagt FU: Prozess beginnt Dienstag

Der attackierte Student wirft seiner Universität vor, zu wenig gegen Antisemitismus auf dem Campus getan zu haben

 14.07.2025 Aktualisiert

Berlin

Israelfeindliches Protestcamp im Regierungsviertel muss umziehen

Als Alternativstandorte wurden den etwa 60 Bewohnerinnen und Bewohnern der Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof oder eine Wiese im Tiergarten hinter dem Haus der Kulturen der Welt angeboten

 14.07.2025

München

Im Herzen ist sie immer ein »Münchner Kindl« geblieben

Seit 40 Jahren ist Charlotte Knobloch Präsidentin der IKG München. Sie hat eine Ära geprägt und das Judentum wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt

von Christiane Ried  14.07.2025

Jubiläum

Münchner Kultusgemeinde feiert Wiedergründung vor 80 Jahren

Zum Festakt werden prominente Gäste aus Politik und Gesellschaft erwartet

 14.07.2025

Dänemark

Mullah-Spion nach Deutschland überstellt

Der 53-jährige Däne mit afghanischen Wurzeln soll für den Iran jüdische und pro-israelische Ziele in Berlin ausspioniert haben

 14.07.2025

Essay

Wie es zur Katastrophe von Srebrenica kam

Vor 30 Jahren wurden 8372 Bosniaken ermordet - es war der erste Genozid in Europa seit der Schoa

von Alexander Rhotert  14.07.2025

Baden-Württemberg

Schoa-Relativierung vor Kirche in Langenau

Weil ein Pfarrer die Massaker vom 7. Oktober verurteilte, steht er im Visier israelfeindlicher Aktivisten. Zur jüngsten Kundgebung reiste auch Melanie Schweizer an

von Michael Thaidigsmann  14.07.2025

Berlin

Linke und Wegner streiten um israelische Flagge vor Rotem Rathaus

Die Linken-Fraktion im Bezirk Mitte fordert den Senat auf, die israelische Nationalflagge abzuhängen. Der Regierende Bürgermeister weigert sich und erhebt Vorwürfe gegen Die Linke

 14.07.2025