Puppen getöteter Babys, abgetrennte Gliedmaßen und Transparente mit antisemitischen Karikaturen: Erneut gab es am Wochenende in Langenau bei Ulm Proteste von Anti-Israel-Aktivsten. Sie richten sich vor allem gegen Ralf Sedlak, den Pfarrer der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde. Von einem vergleichsweise großen Polizeiaufgebot bewacht, versammelten sich rund 35 Personen am späten Sonntagvormittag unweit der Martinskirche. Dort fand zu diesem Zeitpunkt ausnahmsweise kein Gottesdienst statt.
Erst am Freitag hatte die Bürgermeisterin von Langenau, Daria Henning (CDU), bekanntgegeben, dass man eine Allgemeinverfügung erlassen habe, um den Anfeindungen gegen Sedlak und gegen Gottesdienstbesucher zu begegnen. »Im Umfeld von Gottesdiensten« seien Kundgebungen in der Nähe der Kirche vorerst verboten, erklärte Henning. Zuvor hatte die Stadtverwaltung sich noch geweigert, diesen Schritt zu gehen.
Am vorvergangenen Sonntag war es dann aber zu Rangeleien zwischen Gottesdienstbesuchern und Aktivisten gekommen. Henning sprach von einer »Eskalation« der seit 20 Monaten anhaltenden Spannungen. Diese rechtfertige nun ein Demonstrationsverbot.
Dennoch wurde am Sonntag unweit des Gotteshauses demonstriert – aber außerhalb der Verbotszone. Bei der Versammlung sei es insgesamt ruhig geblieben und zu keinen Verstößen gegen die Allgemeinverfügung gekommen, sagte ein Sprecher der Ulmer Polizei dieser Zeitung auf Nachfrage. Auch bei den gezeigten Transparenten hätten keine strafrechtlich relevanten Inhalte festgestellt werden können.
Im Mittelpunkt der Proteste vor der Martinskirche steht ein 75-jähriger israelfeindlicher Aktivist. Er war es, der am 15. Oktober 2023 den Gottesdienst in der Martinskirche besuchte und Sedlak niederbrüllte, als er auf das Hamas-Massaker vom 7. Oktober zu sprechen kam. Seitdem protestiert der Mann regelmäßig mit einem Schild vor der Kirche und wirft insbesondere dem Pfarrer wahrheitswidrig vor, das Leid der Menschen in Gaza zu ignorieren.
Vergangenen Dienstag sollte der Mann eigentlich in Ulm vor Gericht erscheinen. Es ging um mehrere Beleidigungsvorwürfe. Doch er ließ sich krankheitsbedingt entschuldigen, angeblich, weil ihm der Vorfall vom 6. Juli zu schaffen machte. Seine eigenen Angaben zufolge wurde er an jenem Sonntag vor der Martinskirche von einem »Mann mit schwarzem Karategürtel« umgestoßen.
Am Sonntag war der Aktivist offenbar so weit wiederhergestellt, um an der Demonstration teilzunehmen. Zu den Teilnehmern gehörte auch Melanie Schweizer. Sie war bis vor kurzem Referentin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Berlin, wurde aber nach zahlreichen israelfeindlichen Äußerungen aus dem Beamtendienst entlassen.
Auf ihren Social-Media-Kanälen veröffentlichte Schweizer am Samstag ein englisches Interview mit dem Aktivisten und behauptete, ein Mann sei wie aus dem Nichts aufgetaucht und habe ihn brutal zusammengeschlagen. Infolgedessen seien die Proteste vor der Kirche nun verboten worden. Schweizer weiter: »Aber wir haben Neuigkeiten: Wir werden am Sonntag um 11 Uhr wieder vor der Kirche in Langenau sein. Kommt vorbei und unterstützt Ulrich und alle, die gegen diesen Völkermord sind.«
Ganz anders stellen andere Beteiligte und Zeugen den Ablauf der Auseinandersetzung dar. Fünf Gottesdienstbesucher seien mit aufgespannten Schirmen, mit dem Rücken zu den Demonstranten auf die Treppe vor dem Hauptportal gekommen, um die Gemeinde »abzuschirmen«. Der Aktivist habe daraufhin verbal die fünf als »Nazi«, »Schlampe« und »alte Lehrer« beschimpft.
Dann habe er von hinten an den Schirmen gezerrt. Zwei seien dabei kaputtgegangen. Ein Schirmträger sei gestürzt. Daraufhin habe ein Mann eingegriffen und versucht, den Aktivisten zurückzudrängen. Es sei zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen, bei der der Aktivist zu Boden gegangen sei. Andere Gottesdienstbesucher und eine Demonstrantin hätten beide dann getrennt.
Bei der Demo an diesem Sonntag brachte der Aktivist sich laut »Südwestpresse« wieder aktiv ein. Er übersetzte unter anderem eine Ansprache eines Israelis, der sich als Nachfahre von Schoa-Überlebenden präsentierte und den deutschen Völkermord an den Herero in Nambia, den Holocaust und die aktuellen Vorgänge im Gazastreifen miteinander in Verbindung stellte. Deutschland sei mitverantwortlich für das, was im Gazastreifen passiere, weil es Waffen liefere an Israel.
Der Aktivist selbst sagt in dem von Schweizer publizierten Video: »Ich bin nicht allein. Wir sind zu zweit. Ja, ich bin manchmal ziemlich oft dort. Vielleicht habe ich damit angefangen, aber ich bin nicht allein. Das Blatt wendet sich. Wir bekommen viel Unterstützung, aber die Leute sind eingeschüchtert. Sie sind eingeschüchtert, weil sie ihren Arbeitsplatz verlieren könnten.«
Seine Attacken gegen Pfarrer Sedlak setzte der Aktivist bei der Kundgebung in Langenau am Sonntag fort. »Waffenruhe reicht uns nicht, Pfarrer vor Gericht«, rief er dem Bericht der »Südwestpresse« zufolge seinen Mitstreitern zu. Welche Verbrechen Sedlak begangen haben soll, erklärte der israelfeindliche Aktivist nicht.
Vergangene Woche hatte der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl, im Interview mit der »Jüdischen Allgemeinen« die Langenauer Bevölkerung aufgefordert, sich mit Sedlak und seiner Familie zu solidarisieren und die Kirchengemeinde gegen die Anfeindungen in Schutz zu nehmen. Einige von ihnen taten dies nun auch und boten den Demonstranten auf der Straße Paroli. Sie mussten sich im Gegenzug Beleidigungen anhören wie »Kindermörderunterstützer« und ähnliches.
Doch auch aus der jüdischen Gemeinschaft wird jetzt Unterstützung für den Pfarrer und die Kirchengemeinde laut. Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD) veröffentlichte am Montag ein Solidaritätsschreiben. Darin heißt es: »Es verdient höchsten Respekt, dass Sie als evangelische Gemeinde – gerade nach dem barbarischen Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 – klar und öffentlich Ihre Solidarität mit den Opfern bekundet und sich entschlossen gegen Antisemitismus und Hass positioniert haben. Ihre Haltung ist ein leuchtendes Beispiel gelebter christlicher Verantwortung und Ausdruck jener Werte, die unsere freiheitliche Gesellschaft im Innersten zusammenhalten.«
Mit »großer Sorge« beobachte man »die fortgesetzten Anfeindungen, Beleidigungen und zuletzt sogar körperlichen Übergriffe vor Ihrer Kirche, ausgelöst durch eine radikalisierte pro-palästinensische Initiative«, so die Rabbiner Avichai Apel, Zsolt Balla und Yehuda Pushkin in ihrem Brief.
Die ORD verurteilte die Entwicklung und erklärte: »Was sich vor Ihrer Kirche abspielt, ist kein legitimer Protest mehr. Es ist eine gezielte und systematische Störung des religiösen Friedens und ein Angriff auf die geistliche Integrität Ihrer Gemeinde.« Andersdenkende würden mundtot gemacht oder gar körperlich bedroht. Das bedrohe den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Die ORD begrüßte ausdrücklich die von der Stadt Langenau erlassene Allgemeinverfügung. Die Sicherung der Religionsfreiheit sei »nicht verhandelbar«, heißt in dem Brief an Pfarrer Sedlak.