Interview

»Björn Höcke ist die prägendste Figur für die AfD-Ideologie«

Herr Schindler, ohne Björn Höckes Wohlwollen geschieht in der AfD kaum etwas – dabei sitzt er nicht einmal im Bundesvorstand. Wie hat er es geschafft, einer der mächtigsten Männer der Partei zu werden?
Tatsächlich gibt es mittlerweile mehrere Tonangeber und Strippenzieher, die Höcke inhaltlich nahe sind, aber persönlich noch besser vernetzt und mächtiger sind. Langfristig gesehen ist Björn Höcke aber die prägendste Figur für die AfD-Ideologie und der zentrale Treiber der Radikalisierung der Partei. Höcke hat von Beginn an eine eindeutige ideologische Orientierung geboten und wurde zum Sprachrohr von besonders Radikalen. Die Gründung des völkisch-nationalistischen Flügels wurde zu einer Loyalitätsgemeinschaft, aber auch einem Machtzentrum. Auch nach der Auflösung bestehen die Netzwerke und Höckes Rolle als Führungsfigur fort. Außerdem ist es Höcke gelungen, Kritiker aus der Partei zu drängen – sowohl in seinem Landesverband als auch auf Bundesebene.

Welchen Einfluss hatte Höckes Familie auf seine rechtsextreme Weltanschauung?
Björn Höcke sagt selbst, er sei in einer »hochpolitischen Familie« aufgewachsen. Meine Recherchen zeigen, dass schon sein Vater im Kollegenkreis mehrfach mit Rechtsextremismus aufgefallen ist. Seine Großeltern, die als Konsequenz aus der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten fliehen mussten, spielten ebenfalls eine große Rolle beim Aufwachsen von Höcke. Sie engagierten sich in der Landsmannschaft Ostpreußen, einem Vertriebenenverband, der damals immer wieder revisionistische Forderungen vertreten hat. Höcke hat seine Großeltern als Jugendlicher mehrmals zu Treffen der Landsmannschaft begleitet. Heute verbreitet er zur Vertreibung der Deutschen immer wieder selbst stark überhöhte Opferzahlen. Das ist ein beliebtes Stilmittel geschichtsrevisionistischer Argumentationen – mit dem Ziel, ein Gegennarrativ zu den NS-Verbrechen aufzubauen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass Höckes rechte Gesinnung auch in seiner Zeit als Lehrer immer wieder durchgeschienen ist. Wie konnte er trotzdem so lange der Wolf im Schafspelz bleiben?
Höcke ist ab und zu aufgefallen, etwa mit Leserbriefen in Regionalzeitungen. Er hat auch einen Leserbrief in der »Jungen Freiheit« veröffentlicht, weil er sich sicher sein konnte, dass seine Kollegen diese rechte Zeitung nicht lesen würden. Dann gibt es noch das Pseudonym »Landolf Ladig«. Unter diesen Namen sind offen rechtsextreme Texte in Zeitschriften des militanten Neonazis Thorsten Heise erschienen. Dem Soziologen Andreas Kemper fielen im Jahr 2014 zahlreiche Überschneidungen zwischen »Ladigs« und Höckes Texten auf. Sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz als auch die frühere AfD-Spitze sind überzeugt, dass es sich hierbei um Björn Höcke handelt. Wenn man davon ausgeht, dass dies zutrifft, war Höcke als Lehrer durchaus vorsichtig. Meine Recherchen für das Buch zeigen, dass er dennoch mehrfach bei Kollegen und Schülern aufgefallen ist.

»Höckes völkischer Antikapitalismus lehnt sich an den der Nationalsozialisten an und ist strukturell antisemitisch.«

frederik schindler

Wie würde Björn Höckes Wunschdeutschland aussehen?
Höcke wünscht sich eine ethnisch möglichst homogene völkische Gemeinschaft und sieht sich selbst an ihrer Spitze. Das zeigt eine Analyse seiner Reden und Schriften, die er in den letzten zwölf Jahren veröffentlicht hat.

Wie will er das erreichen?
Dazu macht er Andeutungen in seinem Buch »Nie zweimal in denselben Fluß«, etwa wenn er davon schreibt, dass ein »großangelegtes Remigrationsprojekt« notwendig sei, für das es »wohltemperierte Grausamkeit« brauche. Er sagt auch, die neue politische Führung werde »schwere moralische Spannungen auszuhalten« haben. Sie müsse »aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen«. Und er kündigt einen möglichen »Aderlass« an, bei dem man leider ein paar »Volksteile« verlieren werde, die »zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen«. Offensichtlich wären also nicht »nur« Migranten betroffen, sondern auch politische Gegner.

Jüdinnen und Juden sind in seinen Reden auffallend abwesend. Welche Rolle spielt das Judentum in Höckes Weltbild?
Höcke verwendet gelegentlich antisemitische Chiffren. Sein völkischer Antikapitalismus, den ich im Buch intensiv analysiere, lehnt sich an den Antikapitalismus der »Konservativen Revolution« und der Nationalsozialisten an und ist strukturell antisemitisch. Er spricht zwar nicht direkt von »schaffendem« und »raffendem« Kapital, nutzt aber ähnliche Kategorien, die zwischen Real- und Finanzwirtschaft trennen. Höcke spricht außerdem von »Globalisten« oder vom »internationalen Geldmachtkomplex mit seiner krakenartigen Machtstruktur«. Er nennt Altkanzlerin Angela Merkel eine »Kundin« des jüdischen Finanzinvestors George Soros und spricht vom »entarteten Finanzkapitalismus«, der das Volk schädige. Wenn er sagt, dass »nicht Völker und nicht Nationen« ursächlich für Völkermorde gewesen seien, sondern »die wenigen Dunkelmänner im Hintergrund, die von Gier und Machtwillen und Machtstreben zerfressen sind« und denen »das Handwerk« gelegt werden müsse, bedient er ein zentrales Verschwörungsnarrativ und ruft zu aktiver Gegenwehr gegen die angeblichen Schuldigen auf. Diese Erzählung einer kleinen und unsichtbaren Minderheit, die alles Übel verantwortet und von Gier und Machtstreben angetrieben ist, ist ebenfalls strukturell antisemitisch. Wenn man das Zitat etwa auf den Holocaust bezieht, stellt es zudem eine klare Relativierung dar. Die Judenvernichtung war schließlich kein geheimes Elitenprojekt weniger finsterer Strippenzieher, sondern wurde von Millionen Deutschen mitgetragen, unterstützt oder geduldet.

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Wie kann ein so offensichtlich rechtsextremer Politiker bei den Wählern so beliebt sein?
Seine Anhänger sind wie er selbst überzeugt, dass er der »Deutschlandretter« sei und zu Unrecht verteufelt werde. Teilweise wird jede Recherche über Höcke als Lüge oder Verschwörung abgetan. Die ständige Inszenierung als Tabubrecher hilft ihm. Sein Wortschatz fasziniert viele. Er ist kein Opportunist, sondern handelt aus Überzeugung. Viele AfD-Wähler fühlen sich zudem vom sonstigen politischen System entfremdet. Und natürlich nutzt der AfD auch die Schwäche der anderen Parteien.

Die AfD-Co-Chefin Alice Weidel sieht Björn Höcke schon als Minister in einer kommenden Bundesregierung. Sieht er das auch so?
Höcke sieht sich langfristig an der Spitze der AfD, will Weidel also irgendwann ablösen. Regieren will er erst dann, wenn die AfD nicht mehr Juniorpartner sein müsste. Sein nächstes Ziel ist das Ministerpräsidentenamt in Thüringen.

Frederik Schindler ist Redakteur der »Welt« und »Welt am Sonntag«. Sein Buch »Höcke: Ein Rechtsextremist auf dem Weg zur Macht. Die AfD und ihr gefährlichster Vordenker« ist am 15. September im Verlag Herder erschienen und enthält ein Vorwort von Robin Alexander. Das Gespräch führte Nils Kottmann.

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