Antisemitismus

Europäische Unis sind Hotspots des Judenhasses

Studenten besetzen die Sciences-Po-Hochschule in Paris (April 2024) Foto: picture alliance / abaca

In ganz Europa hat der Antisemitismus seit dem 7. Oktober 2023 dramatisch zugenommen. Besondere Hotspots: die Universitäten. Ein Bericht der Organisationen »European Union of Jewish Students« (EUJS), »B’nai B’rith International« (BBI) und »democ« hat nun einen genaueren Blick auf die Lage an Hochschulen in neun europäischen Ländern, darunter Deutschland, geworfen.

Er kommt zu einem dramatischen Befund: Es herrsche ein »Klima der Angst und Ausgrenzung«. Jüdische Studierende und Lehrende würden ausgegrenzt, zum Schweigen gebracht, belästigt und sogar körperlich angegangen, ohne dass Unileitungen energisch dagegen vorgingen. Die Freiheit der Wissenschaft, folgert das Papier, sei für Juden nicht mehr selbstverständlich.

Selbst Professoren träten häufig mit offener Agitation gegen Israel in Erscheinung. Manche hätten selbst antisemitische Inhalte verbreitet, andere sich solidarisch mit radikalen antiisraelischen Studierenden gezeigt, konstatiert der Bericht.

Protest an der Vrije Universiteit Amsterdam (Mai 2025)Foto: picture alliance / Anadolu

Ein Dozent an der Universität für angewandte Kunst in Wien erklärte, jeder, der Israels Existenzrecht Israels anerkenne, erkenne auch Imperialismus, Kolonialismus und Rassismus an. Ein Doktorand an der Akademie der bildenden Künste der österreichischen Hauptstadt teilte den sozialen Medien den Satz: »Der Tod Israels ist nicht nur eine Drohung. Er ist eine moralische Verpflichtung und die einzig akzeptable Lösung.« Und ein britischer Professor schrieb auf seinen Social-Media-Accounts: »Die Leichtigkeit, mit der Juden, ob gewöhnliche oder einflussreiche, die Verstümmelungen des Krieges beschreiben, zeugt von einer gelassenen Grausamkeit.«

»Professoren betreiben Mainstreaming von Antisemitismus«

Zahlreiche europäische Hochschulen seien im Zuge des Krieges in Gaza »zu Arenen geworden, in denen antisemitische Rhetorik, Diskriminierung und sogar Gewalttaten an der Tagesordnung sind«, so das Papier. Die Normalisierung antisemitischer Einstellungen im akademischen Umfeld sei bereits vor den Terrorangriffen der Hamas am 7. Oktober 2023 zu beobachten gewesen, habe sich seitdem jedoch »exponentiell verstärkt«.

Häufig reagierten nichtjüdische Universitätsangehörige gleichgültig auf Anfeindungen gegen ihre jüdischen Kommilitonen. Zu den treibenden Faktoren für Judenhass zählen nach Ansicht der Autoren des Berichts die radikalen Studentengruppen an Universitäten, von denen viele nach den Anschlägen das Massaker der Hamas als Ausdruck von »Befreiung« oder »Gerechtigkeit« gelobt hätten. Protestformen seien von US-Hochschulen nach Europa importiert worden. Man erlebe mittlerweile ein »konsequentes Mainstreaming« von Professoren und Kursen, die eine einseitige, antiisraelische Sichtweise auf den israelisch-palästinensischen Konflikt einnähmen. Dies gehe oft mit der Weigerung einher, die Erfahrungen jüdischer Studierender mit Antisemitismus anzuerkennen.

Die Leitungen der Hochschulen versagten oft im Kampf gegen Judenhass. Zwar konzedieren auch die Autoren des Berichts, dass Protest ein wesentlicher und wertvoller Bestandteil des universitären Lebens sei. Dennoch seien Campusproteste, Zeltlager und Demonstrationen nach den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 vielfach eskaliert und hätten zu Belästigung und Gewalt geführt, was ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit der Universitäten aufkommen lasse, die Sicherheit und das Wohlergehen ihrer Studierenden zu gewährleisten.

Genauer unter die Lupe nimmt der Bericht die Situation an Hochschulen in Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Österreich, Spanien und Schweden. Auch Einzelfälle werden dokumentiert. So wurden an der medizinischen Fakultät der Université Toulouse-III-Paul-Sabatier in Frankreich wurden die Worte »Sale juive crève« (»Stirb, dreckige Jüdin«) zusammen mit einem Hakenkreuz auf den persönlichen Gegenständen einer jüdischen Studentin gefunden.

Der Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion Belgiens (UEJB) wurde in der Nähe eines von Demonstranten besetzten Campusgebäudes körperlich angegriffen, als er sein Auto abholen wollte. Als ein Passant eingreifen wollte, behauptete der Angreifer, der Angriff sei notwendig gewesen, weil der UEJB-Chef schließlich Jude sei. Am College of Europe in Brügge wurde das Zimmer eines Studenten aus Marokko mit antisemitischen Graffiti und Hakenkreuzen verwüstet.

Unterstützung von außerhalb der Hochschulen

Besonders heftig und häufig sind die Vorfälle an belgischen Hochschulen. Vergangene Woche wurde bekannt, dass der diesjährige Abschlussjahrgang an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Université libre de Bruxelles (ULB) die radikale französische Europaabgeordnete Rima Hassan als Namenspatin ausgewählt hat, was vor allem in der jüdischen Gemeinschaft Belgiens Empörung ausgelöst hat. Hassan gehört nämlich zu den schärfsten Kritikern Israels im Europaparlament und war im Juni Teil der »Freedom Flotilla«, die versuchte, die israelische Seeblockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Mehrfach hat sie die Massaker vom 7. Oktober 2023 relativiert.

Protest an der Brüsseler Hochschule ULBFoto: picture alliance / Middle East Images

Die Campus-Proteste würden häufig von radikalen außeruniversitären Organisationen wie Samidoun unterstützt, die Verbindungen zu Terrornetzwerken hätten, konstatiert der Bericht weiter. Auch nationale und lokale Ableger von BDS-Gruppen oder neu gegründete Gruppen wie die Dachbewegung in Katalonien, »Ciutadants per Palestina« (»Bürger für Palästina«), oder der schwedische Ableger der Umweltbewegung Fridays for Future unter Beteiligung der Klimaaktivistin Greta Thunberg mischten bei den Protesten an Hochschulen mit.

Die Auswirkungen des feindseligen Umfelds auf jüdische Studierende seien »erheblich«. Jüdische Studierende berichten vielfach von Angst, Isolation und Entrechtung im akademischen Raum. Daher sei die Einführung von Verhaltenskodizes gegen Antisemitismus oder die Benennung von Ansprechpartnern für jüdische Studierende unerlässlich, so die Autoren der Studie.

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