Parteitag

Auf Kurssuche

Alles im Griff: Johannes Ponader umarmt seine Vorgängerin Marina Weisband. Foto: dpa

Nach dem Wirbel um diverse rassistische und antisemitische Äußerungen zum Teil auch führender Mitglieder wollten die Piraten vor ihrem Parteitag am Wochenende in Neumünster ganz sicher sein, dass keine weiteren Negativschlagzeilen entstehen. Auch wenn wichtige Personalenscheidungen anstanden – wie der Bundesvorsitz und der Geschäftsführerposten.

Einzelfälle Das ist nicht ganz leicht bei einer Partei, in der jeder, der gerade mal 20 Unterstützerunterschriften gesammelt hat, für ein Amt kandidieren darf. Und damit drei Minuten lang, live vom Fernsehen übertragen, freie Redezeit hat. Die »Pirantifa«, eine Gruppe antifaschistischer Parteimitglieder, hatte daher in einem eigenen Blog Einzelheiten über Kandidaten gesammelt, die beispielsweise durch antisemitische Äußerungen, rechte Verschwörungstheorien oder gar durch Übergriffe gegen Juden aufgefallen waren.

Zusätzlich produzierten die Pirantifas ein Plakat, auf dem unter der Überschrift »Die Einzelfälle« Merkmale von bei den Piraten eigentlich unerwünschten Gruppen aufgeführt waren: Neonazis, Geschichtsrevisionisten, Rassisten und auch die sogenannten Zinskritiker. Einige der Plakate wurden zwar abgerissen, aber: »Sonst war das ein voller Erfolg, wir mussten sogar schnell einen Drucker kaufen, weil die Leute sie mit nach Hause nehmen wollten«, freute sich die Berliner Piratengruppe über die Aktion.

Auch sonst gab es am Ende viele zufriedene Gesichter: Mit dem 35-jährigen Klaus Peukert war jener Pirat zum Beisitzer des Bundesvorstands gewählt worden, der sich bislang immer am klarsten gegen rassistische und antisemitische Tendenzen bei den Piraten positioniert hatte.

Auch der neu gewählte Parteivorsitzende, der 41-jährige Bernd Schlömer aus Hamburg, gehört zu denjenigen, die sich sehr deutlich gegen Neonazis in der eigenen Partei äußerten. Dass ausgerechnet er dem umstrittenen rechtspopulistischen Magazin »Compact« ein in diesen Tagen erscheinendes Interview gab, bedauerte er gegenüber der Jüdischen Allgemeinen sehr. Er habe sich nicht über das Blatt informiert, heute würde er deren Anfrage »natürlich« ablehnen, erklärte er.

Meinung Schlömer, Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium, möchte in seiner Amtszeit das Profil der Partei schärfen und gleichzeitig auch daran arbeiten, dass auf Probleme mit »einzelnen Mitgliedern fragwürdiger Gesinnung« stärker hingewiesen wird. Gleichzeitig erklärte Schlömer jedoch auch, dass er sich schützend vor Piraten stellen müsse, die sich »unbedacht« äußern. Positionen zu allen Themen wird die Partei laut Schlömer jedoch bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr nicht erarbeitet haben, zum »Spiegel« sagte er: »Wir brauchen bis 2013 nicht zwingend eine Meinung zu Israel.«

Dass es die Piraten in den Bundestag schaffen, glaubt auch Johannes Ponader aus Berlin, als politischer Geschäftsführer ist er Nachfolger von Marina Weisband; die aus der Ukraine stammende Jüdin wollte nicht mehr kandidieren. Der Theaterregisseur Ponader ist ein Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens und gilt als Zinskritiker. Auf YouTube kann man Vorträge und Schulungen von Ponader sehen, die er oft gemeinsam mit Ralph Boes abhält. Boes, Gründer der »Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen« schwärmte in seinen Reden schon davon, dass das kommende »Vierte Reich« durch das Grundeinkommen »das richtige« werden könne.

Die Zinskritiker beziehen sich auf die Theorien des deutschen Freiwirtschaftlers Silvio Gesell, der seine Kritik am Geldwesen mit Hinweisen auf jüdische Wucherer garnierte. Der Ökonom Elmar Altvater attestiert Gesells Theorie, in ihr sei »ein struktureller Antisemitismus angelegt«. In der Tat fanden sich bei den Nationalsozialisten viele Gesell-Anhänger.

Nicht nur seine Nähe zu Gesells Zinskritik, auch der Umstand, dass sein Vertrauter Boes bereits mehrmals rechtsradikalen Internet-Fernsehsendern Interviews gegeben hat, sorgt für Irritation über den neuen politischen Geschäftsführer. Eine Interview-anfrage der Jüdischen Allgemeinen über seine Haltung zu Boes wurde von Johannes Ponader nicht beantwortet.

distanzierung Die Piraten distanzierten sich immerhin auf ihrem Parteitag noch einmal deutlich von rechten Mitgliedern. Eine Erklärung, wonach der Holocaust zur Geschichte Deutschlands und seine Leugnung nicht zur viel propagierten Meinungsfreiheit gehöre, wurde so gut wie einstimmig angenommen. Auch über diesen Antrag hatte es im Vorfeld Diskussionen gegeben.

Dass damit jedoch nicht automatisch jegliche rechten und antisemitischen Äußerungen der Basis unterbleiben, zeigte sich nur wenige Minuten später auf Twitter. Eines sei ihm aufgefallen, schrieb dort ein Pirat während des Parteitags: »Wenn der Zentralrat der Juden seinen Kopf nicht durchsetzen kann, verweisen sie auf den Holocaust und bekommen alles, was sie wollen.«

Austausch

Ministerin Prien würdigt Deutsch-Israelischen Freiwilligendienst

Sie arbeiten in sozialen und jüdischen Einrichtungen in Israel und Deutschland. Bildungsministerin Prien sagt, warum ein solcher Austausch von jungen Leuten aus ihrer Sicht wichtig ist

von Leticia Witte  16.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Brüssel

EU-Kommission kündigt Vorschläge für Israel-Sanktionen an

Dabei wird es offenbar auch um ein mögliches Aussetzen von Handelsvorteilen gehen

 16.09.2025

Gaza-Flottille

Marlene Engelhorn fährt doch nicht nach Gaza

Entgegen reichenweitenstarken Ankündigungen segelt die Millionenerbin nicht mit. Vom trockenen Wien aus erhebt sie weiter Vorwürfe gegen Israel

von Imanuel Marcus  16.09.2025

Feier

Zentralrat der Juden feiert 75-jähriges Bestehen in Berlin

Friedrich Merz ist dabei, wenn der Zentralrat der Juden am Mittwoch in Berlin offiziell sein 75-jähriges Bestehen begeht. Der Kanzler hält die Festrede. Gegründet wurde der Dachverband von 105 Gemeinden am 19. Juli 1950

von Leticia Witte  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Berlin

Wadephul will an Palästina-Konferenz in New York teilnehmen

Der deutsche Außenminister lehnt die Anerkennung eines Staates Palästina weiterhin ab. Bei einem von Frankreich ausgerichteten Treffen zum Thema will er aber dabei sein

 16.09.2025

Berlin

Steinmeier weist polnische Reparationsforderung zurück

Der polnische Präsident Nawrocki bringt das Thema beim Antrittsbesuch erneut vor. Die Antwort des Bundespräsidenten fällt eindeutig aus

 16.09.2025

Celle

Bundesanwalt klagt mutmaßlichen Hisbollah-Helfer an

Dem libanesischen Staatsangehörigen Fadel Z. wird die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen

 16.09.2025