Berlin

Was steht im neuen Vertrag der Koalition?

Haben sich auf eine Zusammenarbeit verständigt: Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Christian Lindner am 15. Oktober 2021 Foto: picture alliance/dpa

Mehr als 51.000 Worte umfasst die Vereinbarung für die Bildung der künftigen Bundesregierung, die am Mittwoch in Berlin von den Vorsitzenden von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP sowie dem designierten Bundeskanzler Olaf Scholz vorgestellt wurde. Auf den 177 Seiten finden sich auch Aussagen, die besonders für die jüdische Gemeinschaft von Interesse sein dürften.

So soll, wenn es nach den Ampelkoalitionären geht, jüdisches Leben in Deutschland »in seiner Vielfalt« gefördert werden. Erstmals bekommt dieses Thema sogar einen eigenen Absatz in einem Koalitionsvertrag. »Den Schutz von Jüdinnen und Juden und ihren Einrichtungen werden wir gemeinsam mit den Ländern gewährleisten. Es ist ein beschämender und schmerzlicher Zustand, dass diese in Deutschland dauerhaft bewacht werden müssen«, stellt das Papier fest.

AUFWERTUNG Deshalb müssten die »Prävention, sensibilisierende Aus- und Fortbildungen sowie eine entschlossenere Verfolgung und Dokumentation antisemitischer Vorfälle« vorangetrieben werden.

Auch die Ampel sieht Israels Sicherheit als Staatsräson an.

Auch das Amt des in der vergangenen Legislaturperiode eingesetzten Antisemitismusbeauftragten Felix Klein will man stärken. Zudem soll der 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus aufgewertet werden.

Die bereits von der Großen Koalition im Koalitionsvertrag 2018 vereinbarte, aber bislang nicht umgesetzte Regelung zur finanziellen Besserstellung von jüdischen Zuwanderern soll nach dem Willen der Koalitionspartner bald kommen. In der Vereinbarung heißt es dazu: »Wir setzen den geplanten Fonds aus der 19. Wahlperiode zur Abmilderung von Härtefällen aus der Ost-West-Rentenüberleitung auch für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler um.«

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Damit scheint auch eine von Vertretern von Grünen und FDP in der Vergangenheit aufgebrachte Forderung vom Tisch zu sein, über eine Einmalzahlung hinaus eine rentenrechtliche Gleichstellung jüdischer Zuwanderer mit der Gruppe der Spätaussiedler zu erreichen. Der grüne Europapolitiker Sergey Lagodinsky sprach auf Twitter von einer »äußerst enttäuschenden Entwicklung« und fügte hinzu: »Leider war hier ein Koalitionspartner nicht bereit, konkrete Fortschritte für die Betroffenen zu machen. Das ist sehr enttäuschend. Und muss noch aufgearbeitet werden.«

NAHOSTPOLITIK Außenpolitisch setzt die künftige Bundesregierung unter Führung des nun designierten Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) ebenfalls auf Kontinuität. Der Koalitionsvertrag enthält die von der noch amtierenden Kanzlerin Angela Merkel geprägte und mittlerweile berühmt gewordene Formel »Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson.«

Die bereits 2018 vereinbarte, aber bislang nicht umgesetzte Regelung zur finanziellen Besserstellung von jüdischen Zuwanderern soll nach dem Willen der Koalitionspartner bald kommen.

Man wolle sich als Bundesregierung »weiter für eine verhandelte Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 einsetzen«, heißt es in dem Papier, und weiter: »Die anhaltende Bedrohung des Staates Israel und den Terror gegen seine Bevölkerung verurteilen wir.«

Der Koalitionsvertrag begrüßt ausdrücklich die vor rund einem Jahr beschlossene Normalisierung der Beziehungen Israel und mehreren arabischen Staaten. Das umstrittene UN-Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser (UNRWA) soll auch weiterhin deutsche Finanzspritzen erhalten. Angesichts der in den letzten Jahren bekannt gewordenen Fälle von Schulbüchern an UNRWA-Schulen, in denen zum Hass und zur Gewalt gegen Israel aufgerufen wird, wollen die Koalitionäre aber »einen unabhängigen Monitoringprozess unterstützen, um Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.« Nähere Angaben dazu macht das Dokument aber nicht.

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ISRAEL Wie schon in den vergangenen Legislaturperioden will sich die künftige Bundesregierung auch für den Nahost-Friedensprozess stark machen. »Einseitige Schritte erschweren die Friedensbemühungen und müssen unterbleiben. Von der palästinensischen Seite erwarten wir Fortschritte bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Dies gilt ebenso für den Verzicht auf jede Form von Gewalt gegen Israel. Wir fordern den Stopp des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus.«

Zudem soll der Aufbau eines deutsch-israelischen Jugendwerks in die Wege geleitet werden. Den Nahen und Mittleren Osten definiert die Ampelkoalition als »Teil unserer zentralen Interessen«. Es gebe dort noch zahlreiche Potenziale auszuschöpfen.

In den Vereinten Nationen, die Israel ebenso häufig wie obsessiv an den Pranger stellen, will die neue Bundesregierung künftig mehr gegenhalten: »Wir machen uns stark gegen Versuche antisemitisch motivierter Verurteilungen Israels«, heißt es im Vertrag. Das Auswärtige Amt wird künftig von Bündnis90/Die Grünen besetzt werden. Voraussichtliche Nachfolgerin von Heiko Maas (SPD) ist die grüne Parteivorsitzende Annalena Baerbock. Sie sagte bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags, man wolle künftig eine »aktive Außenpolitik« betreiben, bei der der »Dialog« im Mittelpunkt stehe.

IRAN Die ehemalige grüne Kanzlerkandidatin wird sich auch des Iran-Themas annehmen müssen. Anfang nächster Woche findet in Wien eine neue Verhandlungsrunde zum Atomprogramm des iranischen Regimes statt. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: »Wir setzen uns für einen zügigen Abschluss der Nuklearverhandlungen mit Iran (JCPoA) ein und erwarten die Umsetzung des Abkommens durch alle Signatarstaaten.«

Das iranische Raketenprogramm, Irans aggressive Regionalpolitik und Aufrüstung sowie die Unterstützung terroristischer Aktivitäten gefährden Israels Frieden und Sicherheit massiv, betont die Ampel.

Der Iran müsse »zur vollständigen und dauerhaften Einhaltung seiner Verpflichtungen gegenüber der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) zurückkehren«, so die Vereinbarung. Die Koalitionäre sprachen zudem die Erwartung aus, dass die iranische Regierung »eine deutliche Verbesserung der prekären Menschenrechtslage und die Freilassung aller politischen Gefangenen« vorantreibe.

VERTRAUEN »Die Bedrohung des Staates Israel, das Raketenprogramm, die aggressive Regionalpolitik und Aufrüstung sowie die Unterstützung terroristischer Aktivitäten gefährden Frieden und Sicherheit massiv. Gemeinsam mit unseren Partnern in der Golfregion wollen wir vertrauensbildende Maßnahmen fördern und die begonnenen Annäherungsprozesse unterstützen«, so das Papier.

Doch auch hier bleibt die Vereinbarung im Unkonkreten. Wie sich Deutschland im Fall des Scheiterns der Gespräche in Wien positionieren will, sagt der sie nicht. Vom Iran erwarte man sich aber »eine deutliche Verbesserung der prekären Menschenrechtslage und die Freilassung aller politischen Gefangenen.« Ob die Aufforderung in Teheran gehört wird, darf bezweifelt werden.

Lesen Sie dazu mehr in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen am 2. Dezember.

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