Frankfurt

»Antisemitisches Gift«

Der Sänger und Bassist Roger Waters bekundet bei einem Konzert in Kalifornien im Jahr 2016 seine Solidarität mit den Palästinensern. Foto: imago

Seit Juli 2022 ist Roger Waters auf Welttournee. Mit This Is Not A Drill (»Das ist keine Übung«) macht der wegen antisemitischer und israelfeindlicher Aussagen höchst umstrittene Sänger und Bassist im Mai auch in fünf deutschen Städten Station. Zwei für Ende April im polnischen Krakau angesetzte Gigs von Waters wurden dagegen im September vergangenen Jahres abgesagt. Grund war, dass der Veranstalter den 79-Jährigen wegen »prorussischer Propaganda« nicht mehr auftreten lassen wollte. Der Stadtrat von Krakau erklärte den Briten sogar offiziell zur Persona non grata, zur unerwünschten Person.

Als die Stadt Frankfurt am Main im Februar dieses Jahres entschied, den Mietvertrag für das am 28. Mai in der Festhalle vorgesehene Konzert zu kündigen, zeigte sich Waters schwer empört. Er wies seine Kölner Anwälte an, gegen das Auftrittsverbot Beschwerde einzureichen. Auch der Stadt München drohte er mit juristischen Schritten, sollte sie es den Frankfurtern nachtun und den Vertrag mit dem Konzertveranstalter kündigen. Trotz beträchtlichen Drucks aus der Kommunalpolitik verwarf München daraufhin entsprechende Pläne.

Die Waters-Konzerte in Berlin, Köln und Hamburg werden wohl wie geplant stattfinden, den Protesten örtlicher jüdischer Gemeinden zum Trotz. Einzig Frankfurt war standhaft geblieben. Der Magistrat der Stadt und das Land Hessen hatten die Messegesellschaft angewiesen, den im Herbst geschlossenen Vertrag zur Überlassung der Festhalle zu kündigen. Doch nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts vergangene Woche, demzufolge diese Kündigung nicht rechtens war, könnte Waters nun auch in Frankfurt auftreten.

urteil Im Verbund mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen plant die Jüdische Gemeinde Frankfurt für den Fall der Fälle bereits eine Protestaktion. »Wir werden das nicht einfach so hinnehmen«, sagte Michaela Fuhrmann, Abteilungsleiterin für politische Beziehungen, der Jüdischen Allgemeinen. Watersʼ Antisemitismus werde in der Erläuterung zum Verwaltungsgerichtsbeschluss als eine akzeptable Meinung beschrieben, was sie nicht sei.

Zuvor hatte die Gemeinde das Urteil in einer Pressemitteilung bereits scharf kritisiert – auch, weil die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts zwar anerkannt hatte, dass Waters sich in seiner Bühnenshow »offenkundig einer an die nationalsozialistische Herrschaft angelehnten Symbolik« bediene, er bei einer Absage dennoch in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung und Kunstfreiheit unzulässigerweise beschränkt werde und daher einen »Verschaffungsanspruch auf Zugang« zur angemieteten Halle habe.

Obschon in der Pogromnacht 1938 an gleicher Stelle rund 3000 Juden festgehalten, misshandelt und in die Konzentrationslager deportiert worden seien, lasse sich auch für diesen besonderen Ort keine so »schwerwiegende Beeinträchtigung des Geltungs- und Achtungsanspruchs der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden« ableiten, der ein Verbot des Auftritts rechtfertigen würde, urteilten die Richter. Sie stützten sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der Kunst- und Meinungsfreiheit hohe verfassungsrechtliche Güter seien.

Auch in anderen deutschen Städten werden Protestaktionen erwartet.

Die Jüdische Gemeinde wies die Argumentation der Kammer zurück: »Die Gerichte können noch so oft von historischer Lehre sprechen, die damit dem höchsten Gut der Meinungsfreiheit Schutz gewährt – wenn sie aber nicht in der Lage sind, propagiertem Judenhass Einhalt zu gebieten, sind die Lehren falsch gezogen worden.« Man werde »nicht tatenlos dabei zusehen, wie ein Judenhasser wie Roger Waters sein antisemitisches Gift verbreitet«. Auch in anderen deutschen Städten, in denen Waters-Konzerte stattfinden, werden Protestaktionen erwartet.

Die Frankfurter Stadtverwaltung gab auf Anfrage dieser Zeitung bekannt, man bedauere, dass »das Gericht unserer Argumentation nicht gefolgt ist, da wir nach wie vor den Auftritt von Roger Waters für eine schwere Belastung halten«. Gemeinsam mit dem Land Hessen, das 40 Prozent der Anteile an der Betreibergesellschaft für die Festhalle hält, prüfe man nun das weitere Vorgehen. Bis Redaktionsschluss war nicht bekannt, ob die Stadtverantwortlichen das Urteil akzeptieren oder Beschwerde bei der nächsthöheren Instanz, dem hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel, einlegen würden.

Hessens Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker sagte der Jüdischen Allgemeinen, er befürworte die »Ausschöpfung aller rechtlichen Mittel«. Waters sei einer der führenden Vertreter des israelbezogenen Antisemitismus, er dürfe nach Möglichkeit keine Plattform bekommen.

Jubel Das ehemalige Pink-Floyd-Mitglied Waters jubelte hingegen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt habe ihm bescheinigt, dass er kein Antisemit sei, behauptete er auf seinem Instagram-Account.

Sprach’s und lancierte gleich weitere Tiraden: »Können wir bitte aufhören, Kritik an der Politik der Regierung des rassistischen Apartheidstaates Israel mit Antisemitismus zu verwechseln!«, schrieb er in dem sozialen Netzwerk. Und weiter: »Können wir dem deutschen Volk dazu gratulieren, dass es Gesetze hat, die die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks schützen? Und sie auffordern, auf ihre Regierung einzuwirken, damit sie aufhört, friedliche BDS-Demonstrationen, die zur Unterstützung unserer unterdrückten Brüder und Schwestern in Palästina organisiert werden, zu verbieten und gewaltsam niederzuschlagen.«

Er könne es kaum erwarten, so Waters weiter, seine »Botschaft der Liebe und des Friedens« nach Deutschland zu bringen, gemeinsam mit seinen »Brüdern und Schwestern in der BDS-Bewegung«.

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