Meinung

An der Seite Israels

Protest gegen Demokratieabbau: Demonstration in Tel Aviv am 18. März Foto: Flash90

Die israelische Innenpolitik bewegt wie nie zuvor die politische Welt auch außerhalb Israels. Zuletzt erhitzte hierzulande der Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu die Gemüter. Das Medienecho war eindeutig: Das Land wäre dabei, die Demokratie gänzlich abzuschaffen. Schon der Besuch an sich wurde infrage gestellt.

In einigen Kommentaren entstand dabei der Eindruck, bei dem jüdischen Staat handle es sich um das 17. Bundesland, dem man den Weg weisen müsse. Dieser Ton verkennt die komplexe Geschichte und Gegenwart des Landes, und es mangelt aus meiner Sicht in einigen Schreibstuben auch an Gespür und Wissen über die israelische Gesellschaft sowie das politische System und den Entstehungsprozess des modernen israelischen Staates.

stolz Es geht dabei nicht darum, dass die politische Kritik an der jetzigen israelischen Regierung ausbleiben sollte. Im Gegenteil, ich bin dem Bundeskanzler dankbar für seine klaren Worte, die er während des Staatsbesuches von Benjamin Netanjahu gefunden hat. Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Jüdinnen und Juden in aller Welt – aber bei Weitem nicht nur sie – sind stolz darauf.

Die Demons­tranten sehen sich als Patrioten und kritisieren trotzdem – oder deswegen, je nach Blickrichtung – ihre Regierung auf das Schärfste.

Die Juden stehen fest an der Seite Israels und wollen dies auch weiterhin tun. Das gilt gerade angesichts der von der jetzigen rechtsnationalen Regierung geplanten Justizreform, nach der unter anderem Entscheidungen des Obersten Gerichts mit einfacher Regierungsmehrheit in der Knesset aufgehoben werden könnten. Der drohende Fatalismus, der mit einem solchen Abbau demokratischer Strukturen in Gang gesetzt werden könnte, muss klar artikuliert werden. Aber diese Warnung verliert an Wert, wenn der Ton des Protests überzogen wird.

Niemand käme auf den Gedanken, die französische Regierung infrage zu stellen, weil der Staatspräsident in dem Land umstrittene Sozialreformen gegen breiten und zum Teil heftigen gesellschaftlichen Protest am Parlament vorbei durchsetzt. Bezogen auf Israel wird besonders deutlich, dass es einen Unterschied zwischen politischer Kritik und dem pauschalierten Hass gegen das Land gibt.

frankreich Die Demons­tranten sehen sich als Patrioten und kritisieren trotzdem – oder deswegen, je nach Blickrichtung – ihre Regierung auf das Schärfste. Diese Haltung ist das, was den Unterschied zwischen dem als Israelkritik versteckten Antisemitismus und legitimer Kritik an der Regierung ausmacht. Anders gesagt: Was im Falle Frankreichs völlig abwegig klingt, sollte es bei Israel nicht weniger sein.

Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten.

Dass es in Israel einer Justizreform bedarf, ist in dem Land weitestgehend Konsens. Der auf Gewohnheitsrechten basierende Einfluss des Obersten Gerichts gegenüber Parlament und Regierung ist kaum noch zeitgemäß. Im Einkammersystem Israels bildet das Gericht jedoch auch den einzigen Schutz vor einer »Tyrannei der Mehrheit«. Eine einseitige Schwächung seiner Position wäre also kaum im Sinne der liberalen Tradition des Landes, die der Ministerpräsident vergangene Woche eindrücklich im Bundeskanzleramt unterstrich.

Wenn Netanjahu an diese Tradition glaubt, sollte diese Reform nicht gegen weite Teile der israelischen Gesellschaft und ihrer politischen Repräsentation durchgesetzt werden. Der israelische Staatspräsident Isaac Herzog hat unlängst dazu aufgerufen, die Reform nicht ohne die Opposition umzusetzen. Zu wichtig ist diese für das demokratische Israel so entscheidende Wegmarke. Das Korrektiv von Präsident Herzog ist wohltuend, und auch ich wünsche mir diesen Weg.

reform Dass eine wirksame Reform in politisch ruhigeren Zeiten versäumt wurde, stellt sich nun als Manko heraus. Die beeindruckenden und in aller Regel friedlichen Proteste in dem Land zeigen jedoch die Liberalität und Vitalität der israelischen Demokratie. Die Anzahl der Demonstranten ist beachtlich. Hinzu kommt, dass die Eliten im Land hör- und sichtbar Stellung beziehen; von großen Wirtschaftsunternehmen bis zu Offizieren der Armee.

Viele Israelis sind allerdings auch frustriert. Sie wollen endlich eine rasche Veränderung ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation, wollen einen Ausweg aus dem jahrelangen politischen Stillstand und dem festgefahrenen Konflikt mit den Palästinensern. Einen Teil dieser Gruppe weiß eine Regierung, die in weiten Teilen populistisch bis extremistisch agiert, für sich zu gewinnen. Diese bewusst vorangetriebene Spaltung der Gesellschaft ist gefährlich.

Die Aufgabe einer Regierung sollte genau das Gegenteil sein: zusammenführen und Gräben überwinden.

Die Aufgabe einer Regierung sollte genau das Gegenteil sein: zusammenführen und Gräben überwinden. Gerade in Israel muss das nicht im luftleeren Raum geschehen. Jüdische Werte sind in ihrem Kern auf die Idee der Gemeinschaft ausgerichtet. Die jüdische Geschichte ist indes voll von Erfahrungen, den Zusammenhalt ebendieser zu brechen – ob von außen oder von innen. Wir haben uns noch immer erfolgreich dagegen gewehrt.

In wenigen Tagen feiern wir Jüdinnen und Juden in Israel und überall auf der Welt Pessach, das Freiheitsfest. Mit dem Auszug aus Ägypten wird aus einer Schicksalsgemeinschaft ein Volk; das jüdische Volk, auf dem Weg in das Gelobte Land. Diese Erinnerung prägt die Einheit jüdischen Lebens bis heute. Der jüdische Staat spielt dabei eine zentrale Rolle, für uns hier in der Diaspora und besonders für alle seiner Bürgerinnen und Bürger. Es gibt schließlich nur einen.

Der Autor ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Berlin

Nietzard entschuldigt sich für Israel-Video

Erst vor wenigen Tagen sorgte die Grüne-Jugend-Chefin für Empörung. Der Beitrag wurde überarbeitet

 07.06.2025

Glosse

Gretas Törn

Wird es den zwölf Aktivisten, unter ihnen die Klima- und Palästina-Ikone Greta Thunberg, gelingen, Israels Seeblockade zu durchbrechen? Die Welt wartet gespannt

von Michael Thaidigsmann  06.06.2025

Bundestag

SPD-Rufe nach Prüfung von Waffenlieferungen an Israel lauter

Unterschiedliche Positionen zwischen Sozialdemokraten und Union werden immer deutlicher

 06.06.2025

Colorado

Angreifer von Boulder wollte »alle zionistischen Menschen töten«

Mohamed Sabry Soliman wird in 118 Punkten angeklagt

 06.06.2025

Rheinland-Pfalz

»Aus Beutebeständen« - NS-Raubgut in rheinland-pfälzischen Museen

Viele kleine Museen in Rheinland-Pfalz haben bisher nicht danach geforscht, ob NS-Raubgut in ihrem Besitz ist. In den Sammlungen von vier dieser mehr als 400 Museen sah eine Kunsthistorikerin nun genauer nach

von Norbert Demuth  06.06.2025

Washington D.C.

US-Regierung sanktioniert Richterinnen des Strafgerichtshofs

Amerika geht gegen den IStGH vor. Hintergrund ist auch der wegen angeblicher Kriegsverbrechen Israels ausgestellte Haftbefehl gegen Ministerpräsident Netanjahu

 06.06.2025

Berlin

Grüne-Jugend-Chefin nennt Hamas-Massaker »militärische Operation«

Jette Nietzard verharmlost den Terror der Hamas und verbreitet Verschwörungstheorien über Israel. Die JSUD verlangt ihren Rücktritt

von Imanuel Marcus  06.06.2025 Aktualisiert

Washington D.C.

Bundeskanzler Merz kritisiert Antisemitismus unter Migranten

Bei seinem Antrittsbesuch in Washington wird der Kanzler auf verschiedenste Themen angesprochen. Auch der Judenhass in der Bundesrepublik ist darunter

 06.06.2025

Interview

»Es findet ein Genozid statt« – »Israel muss sich wehren«

Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad über ihre langjährige Freundschaft, was sie verbindet – und was sie nach dem 7. Oktober 2023 trennt

von Philipp Peyman Engel  06.06.2025 Aktualisiert