Vatikan

»Alte antijüdische Beweggründe«

Johannes Heil über die Aktenfunde, das Umfeld von Pius XII. und die Rolle jüdischer Historiker bei der Aufarbeitung

von Ayala Goldmann  04.05.2020 09:41 Uhr

Johannes Heil Foto: HFJS

Johannes Heil über die Aktenfunde, das Umfeld von Pius XII. und die Rolle jüdischer Historiker bei der Aufarbeitung

von Ayala Goldmann  04.05.2020 09:41 Uhr

Herr Heil, Hubert Wolf und sein Team haben in der »Zeit« erste Ergebnisse ihrer Forschung in den Vatikanischen Archiven veröffentlicht, mit weitreichenden Schlüssen über Akten zu Pius XII. Hatten Sie damit gerechnet?
Ich hätte nicht gedacht, dass so schnell, nach nur einer Woche vor der Schließung der Archive wegen Corona, greifbare Ergebnisse kommen. Ich bin Berater bei diesem Pilotprojekt, das aber ausschließlich bei der Universität Münster liegt. Dabei geht es um Stichproben in den Archiven. Das Ziel ist, zu sehen, ob es Sinn macht, ein langfristiges Projekt auf zwölf Jahre zu beantragen – in Kooperation mit der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS).

Mindestens 10.000 Bittschriften verfolgter Juden sollen im Vatikan liegen.
Ja, jedes dieser Dokumente ist auf seine Art und Weise dramatisch direkt. Und in der Menge gibt es wahrscheinlich kaum einen vergleichbaren Bestand an Stimmen unmittelbar aus der Bedrohungssituation der nationalsozialistischen Verfolgung. Für das Gesamtprojekt ist das nur ein Seitenaspekt, aber für die jüdische Geschichte und Holocaustforschung ein extrem wichtiger Bereich. Allein das würde es rechtfertigen, dass man gründlich darangeht, diese Materialen digital aufbereitet und zugänglich macht – nicht nur für die wissenschaftliche Aufarbeitung, sondern auch, um diesen Menschen eine Stimme zurückzugeben.

Wie will sich die HfJS an diesem Projekt beteiligen?
Wir müssen erst abwarten, wie der Befund nach dem Pilotprojekt tatsächlich aussieht. Das wird mit Sicherheit ein ganz wichtiger Bereich sein. Ich muss aber deutlich sagen: Das ist nicht das Einzige, was mich daran interessiert. Auch die Fragen der vatikanischen Haltung, interne Konflikte oder unterschiedliche Positionen im Vorfeld der Gründung des Staates Israel oder bei den Verhandlungen zwischen Deutschland, Israel und der Claims Conference zum Luxemburger Abkommen 1952 sind genauso interessant. Auch daran haben wir vonseiten der jüdischen Geschichte und der Jüdischen Studien Interesse. Sicher ist, dass wir uns im Herbst gemeinsam in Rom treffen und Sichtungen vornehmen werden, sodass auch ich den Bestand jüdischer Zuschriften an den Vatikan anschauen und mir ein eigenes Bild machen kann.

Wie beurteilen Sie die vorläufigen Ergebnisse des Teams um Hubert Wolf, was Pius XII. und die Schoa angeht?
Das hat mich nicht überrascht. Bei der Frage, ob sie sich zur Schoa offen äußern, ging es für die Verantwortlichen im Vatikan nicht nur um politische Erwägungen oder darum, ob man sich traut. Sondern auch der alte Antijudaismus prägte ganz massiv die vorherrschende Meinung.

Sie beziehen sich auf das antijüdische Dokument des Vatikan-Mitarbeiters Angelo Dell’Acqua, der 1967 Kardinal wurde. Es fehlt in der offiziellen Sammlung »actes et documentes« des Vatikan.
Dell’Acqua wurde befördert und dadurch offenbar ruhiggestellt. Sein Zeugnis ist eine Einzelstimme, zu der aber andere hinzukommen werden. Was mich in seiner Aktennotiz sehr erschreckt, sind der Zynismus und die Abwertung gegenüber »orientalischen Katholiken« wie dem Erzbischof von Lemberg, dessen Zeugnis über die Judenvernichtung für unglaubwürdig erklärt wurde.

Jüdische Historiker wie Robert S. Wistrich aus Jerusalem sind im Jahr 2001 aus einer internationalen katholisch-jüdischen Historikerkommission ausgestiegen – mit dem Argument, bei verschlossenen Archiven könne man die Rolle von Pius XII. nicht beurteilen. Hatten sie recht?
Natürlich hatten sie recht. Damals wurde behauptet, die wesentlichen Akten seien bekannt gemacht worden. Das war, wie man bei der ersten Stichprobe von Hubert Wolf feststellte, glatt gelogen.

Hat die Seligsprechung von Pius XII. noch Chancen?
Ich nehme an, die wird auf Eis bleiben. Aber ganz unabhängig von der persönlichen Haltung Pius’ XII. zeigt sich: In seinem Umfeld wurde so gewirkt, dass es keine Unterstützung für die Juden gab, die über das unmittelbar Menschliche – die Solidarität einzelner Gemeinden, Kirchen und Klöster – hinausging. Und das auch aus alten antijüdischen Beweggründen.

Mit dem Professor für Religion, Geschichte und Kultur des europäischen Judentums an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg sprach Ayala Goldmann.

Bundestagswahl

»Die Bürger haben ihr Urteil über die Ampel längst gefällt«

Der Wahlforscher Stefan Merz von Infratest dimap über die Stimmungslage eine Woche vor der Bundestagswahl

 17.02.2025

Bundestagswahl

Zentralratspräsident Schuster mahnt zur Kompromissfähigkeit

Schuster schreibt der kommenden Legislaturperiode des Bundestags »eine Schlüsselrolle für unsere Demokratie« zu

 17.02.2025

Nachruf

Der Mutmacher

Peter Finkelgruen über den am Samstag im Alter von 92 Jahren verstorbenen FDP-Politiker Gerhart Baum

von Peter Finkelgruen  17.02.2025

Bayern

Trumps Vizepräsident besucht KZ-Gedenkstätte Dachau

US-Vizepräsident J.D. Vance ist in Deutschland eingetroffen, um die Außenpolitik der Regierung Trump zu präsentieren. Vorher wirft er aber einen Blick zurück in die Vergangenheit

von Michael Fischer  14.02.2025

Nahost

Israels Außenminister fordert »klaren Kurs« der Bundesregierung

Deutschland solle sich nicht nur zu Israels Sicherheit bekennen, sondern auch so handeln, sagt Gideon Sa’ar im Interview mit der »Welt am Sonntag«

 14.02.2025

Google

Google Calendar streicht den Internationalen Holocaust-Gedenktag

Neben anderen Gedenktagen sind im Google Calendar auch die mit jüdischem Bezug verschwunden. Das Unternehmen dementiert, dass man damit den Anti-Diversitäts-Vorgaben der Trump-Regierung gehorche

 14.02.2025

Faktencheck

Szene aus »Markus Lanz«-Sendung mit Robert Habeck weiter abrufbar

In der Debatte um Verschärfungen in der Migrationspolitik war Robert Habeck in einer TV-Sendung zu Gast. Nun teilen Nutzer eine Aussage, die nachträglich gelöscht worden sei. Doch das stimmt nicht

 14.02.2025

Frankfurt am Main

Haya Schulmann widerspricht Gutachten zu antisemitischem Vorfall beim Hessischen Rundfunk

Ein Gutachten kommt zu dem Schluss, dass kein Fehlverhalten vorgelegen habe. Die betroffene Informatikprofessorin bleibt jedoch bei ihrer Darstellung

von Imanuel Marcus  14.02.2025

Anstieg

Rechtsextreme Straftaten 2024 auf Rekordhoch

Immer mehr rechtsextreme Straftaten in Deutschland - Nach 2023 reißt 2024 erneut die Höchstmarke mit weit über 41.000 Delikten, wie die »taz« berichtet. Die Zahlen sind allerdings noch vorläufig

 14.02.2025