Berlin

AfD-Aussteiger warnen vor ihrer früheren Partei

Ohne Worte Foto: Reuters

Zwei Monate vor der Bundestagswahl hat der Autor und ehemalige AfD-Mitarbeiter Christian Hirsch eindringlich vor der Alternative für Deutschland gewarnt. Als er 2015 bei der AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg angeheuert hatte, habe er geglaubt, »dass die undemokratischen Ränder sich irgendwann entfernen« und sich die AfD hin zu einer bürgerliche Partei entwickeln würde, sagte Hirsch Anfang dieser Woche in Berlin. Dies sei eine Fehleinschätzung gewesen.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Die »Völkischen und die Systemstürzler«, die sich im inzwischen formal aufgelösten »Flügel« der AfD zusammengefunden haben, hätten die Partei »systematisch unterwandert«. Es sei falsch, der AfD Geschichtsvergessenheit vorzuwerfen.

SYSTEM »Viele Mitglieder des Systems AfD sind geschichtskompetent, kennen die Geschichte der Weimarer Republik und des Dritten Reiches sehr gut, manchmal sogar besser als ihre Gegner. Nur ziehen sie andere Lehren aus der Geschichte«, heißt es in einer von »20 Thesen aus dem Maschinenraum des Systems AfD«, die Hirsch jetzt vorgestellt hat.

Hirsch hatte im vergangenen April unter dem Pseudonym Ferdinand Schwanenburg einen ins Groteske changierenden Schlüsselroman mit dem Titel »Machtergreifung« veröffentlicht. Die Dystopie erzählt vom Aufstieg der »Deutschlandpartei«.

»Ich habe relativ schnell festgestellt, dass ich hier nicht richtig bin«, sagte der Autor damals der Deutschen Presse-Agentur über seine Zeit bei der AfD. Heute sagt er, die Veröffentlichung des Romans sei seine Art »Buße« zu tun für seine Tätigkeit im Dienste der AfD.

VERFASSUNGSSCHUTZ Zentrale Figur in »Machtergreifung« ist ein skrupelloser, völkisch denkender ehemaliger Feldwebel. Bürgerlich wirkende Politiker benutzt er, um eine harmlose Fassade aufzubauen, hinter der er sein Vorhaben, einen Führerstaat zu etablieren, zielstrebig vorantreibt. Das »parteiinterne Spitzelsystem«, das er in der AfD erlebt habe, sei in der Realität »noch schlimmer als im Roman« geschildert.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet den 2015 vom Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke gegründeten »Flügel« als gesichert rechtsextremistische Bestrebung. Der Inlandsgeheimdienst geht davon aus, dass die Rechtsaußen-Strömung als Netzwerk fortbesteht.

Eine mögliche Einstufung der Gesamtpartei als rechtsextremistischer Verdachtsfall ist aktuell Gegenstand eines Rechtsstreits zwischen der Partei und dem Verfassungsschutz. Eine Beobachtung der gesamten AfD wäre zwar richtig, sagte Hirsch. Sie würde allerdings helfen, »die Macht der Systemstürzler innerhalb der Partei zu konsolidieren«.

JUNGE ALTERNATIVE Rassistische Äußerungen, brutale interne Machtkämpfe und ein aus ihrer Sicht zu großer Einfluss der Rechtsaußen-Strömung in der AfD, haben nun auch zwei junge Mitglieder aus Nordrhein-Westfalen zum Austritt veranlasst. Ihre mit unappetitlichen Auszügen aus Chat-Protokollen garnierte Geschichte erzählen sie jetzt in einem Buch, das jüngst im Europa-Verlag erschienen ist. An »Im Bann der AfD« hat der Journalist Wigbert Löer mitgewirkt, der einige Jahre für den »Stern« über die AfD berichtete.

Zitiert wird in dem Buch auch aus einer Online-Veranstaltung von Angehörigen der Parteijugend mit dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen im vergangenen April. Meuthen habe dort gesagt, in der AfD gebe es verschiedene Strömungen, die politisch weit auseinander lägen. »Trotzdem sind wir unter einem Dach«. Es gebe Zeiten, in denen man diese Sachauseinandersetzung führen müsse, um zu schauen, wo man steht. Und es gebe Zeiten, wie jetzt im Wahlkampf, »in denen das ruhen muss«.

Auf die Frage, wie die Abgeordneten in der nächsten Bundestagsfraktion angesichts so großer Meinungsverschiedenheiten zusammenarbeiten könnten, sagte der AfD-Vorsitzende der Deutschen Presse-Agentur: »Das haben sie in der bisherigen Fraktion getan, und ich gehe davon aus, dass sie es auch in der nächsten Fraktion tun werden.«

BEDENKEN Nicolai Boudaghi war stellvertretender Bundesvorsitzender der Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA). Im September 2020 verließ er die AfD. Er beschreibt, warum es manchen Mitgliedern trotz Bedenken und Kritik schwerfällt, sich von der Partei zu lösen. Boudaghi erklärt, für diese Menschen werde die AfD regelrecht zur Lebenswelt. »Sie begeben sich hinein in ein Milieu, in dem sie sich verstanden und unter ihresgleichen fühlen. Irgendwann versinken sie darin. Draußen erkennen sie dann überwiegend Feinde.«

Alexander Leschik hat der AfD im vergangenen April den Rücken gekehrt. Er hatte sich als Jugendlicher dem AfD-Nachwuchs angeschlossen und räumt ein, damals auch Kontakt zu Mitgliedern der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) gehabt zu haben. »Das bleibt nicht aus, wenn man sich in AfD- und JA-Kreisen bewegt«, stellt er fest. Er habe die IB in Münster 2015 allerdings erst einmal nicht als extrem rechts verortet.

RÜCKKEHR Leschick meint: »Wenn gemäßigte AfD-Politiker es auch künftig an der Seite der extrem rechten Flügler aushalten wollen, müssen sie dafür den Preis dauerhafter Selbstverleugnung bezahlen.« Er kenne einige,
die sagten, dass sie dazu nicht bereit seien. Einige dieser AfD-Mitglieder hätten Mandate in einem Landtag inne oder wollten in den nächsten Bundestag.

Sie überlegten ernsthaft, ihrer Partei nach der Bundestagswahl den Rücken zu kehren. Um diesen moderaten Kräften eine Rückkehr in die Gesellschaft außerhalb der AfD zu erleichtern, sei es wichtig, dass politische Gegner aufhörten, »alle Mitglieder der AfD oder gar ihre Wähler dauerhaft zu diffamieren«.

Erst jüngst hatte Frauke Petry ein Buch über ihre Zeit in der AfD veröffentlicht. Die frühere AfD-Vorsitzende hatte die Partei 2017 verlassen. dpa

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Gaza/Westjordanland

Umfrage: Mehr als die Hälfte der Palästinenser befürwortet die Massaker vom 7. Oktober 2023

Klare Mehrheit der Palästinenser zudem gegen Entwaffnung der Hamas

 21.12.2025

Interview

»Die Zustände für Juden sind unhaltbar. Es braucht einen Aufstand der Anständigen«

Zentralratspräsident Josef Schuster über den islamistischen Anschlag von Sydney und das jüdische Leben in Deutschland nach dem 7. Oktober

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Faktencheck

Berichte über israelischen Pass Selenskyjs sind Fälschung

Ukrainische Behörden ermitteln wegen hochrangiger Korruption. Doch unter diesen Fakten mischen sich Fälschungen: So ist erfunden, dass bei einer Razzia ein israelischer Pass Selenskyjs gefunden wurde

 20.12.2025

Analyse

Ankaras Machtspiele

Manche befürchten schon einen »neuen Iran«. Warum Israel die Türkei zunehmend als Bedrohung wahrnimmt

von Ralf Balke  20.12.2025

Bundestag

Zentralrat verteidigt Weimers Gedenkstättenkonzept

Der Ausschuss für Kultur und Medien hörte Experten zu der Frage an, ob über den Holocaust hinaus auch andere Verbrechen Teil der deutschen Erinnerungskultur sein sollen

 19.12.2025

Frankreich

Drei Jahre Haft für antisemitisches Kindermädchen

Ein französisches Gericht hat eine Algerierin zur einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie einer jüdischen Familie Reinigungsmittel ins Essen, Trinken und die Kosmetika mischte

 19.12.2025

Berlin

Bericht über Missbrauch internationaler Hilfe durch Hamas im Bundestag vorgestellt

Olga Deutsch von der Organisation NGO Monitor sagt, während die Bundesregierung über Beiträge zum Wiederaufbau Gazas berate, sei es entscheidend, auf bestehende Risiken hinzuweisen

von Imanuel Marcus  19.12.2025